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Danuta

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Zufällig kam ich vor einigen Wochen mit einer Dame ins Gespräch, die als „Event-Managerin“ für einen Berliner Erotik-Club tätig ist. („Zufällig“ heißt, nebenbei bemerkt, daß ich selbst nicht dort gewesen bin.) Wir wollen sie „Danuta“ nennen und annehmen, daß sie aus Polen käme.

Der Club bietet ein anspruchsvolles Programm; es gibt nicht etwa nur Striptease und Table-Dance, sondern Aufführungen etwa von Stücken des Marquis de Sade, Performances und „Motto-Parties“ sowie „Orgien für Anfänger und Fortgeschrittene“, über deren Ablauf man sich im Internet oder in einschlägigen Handbüchern informieren kann – auch bei Orgien gibt es einen Knigge, bestimmte Dresscodes und Verhaltensmaßregeln aller Art. Selbst in Zeiten einer neuen „spätrömischen Dekadenz“ ist durchaus nicht alles erlaubt (und selbstverständlich hatten gerade antike Orgien ihre ritualisierten Muster).

Daß es dies alles gibt, ist nichts Besonderes, und Wowereits Berlin ist ja für seine vielfältige Party-Kultur bekannt. Was mich hingegen sehr verwunderte, war das, was „Danuta“ über ihr Privatleben erzählte. Dieses weicht außerordentlich von dem radikalen Hedonismus ab, den sie offiziell propagiert und auch mit einer gewissen Inbrunst vertritt – einerseits.

Von einem Extrem zum anderen

Andererseits liest sie neben de Sade oder Wilhelm Reich auch Kant und lobt den Kategorischen Imperativ oder die Ordensregeln des Benedikt von Nursia. Sie hat ein erwachsenes Kind, lebte zeitweise monogam, zeitweise als alleinerziehende Mutter, und hat längere Zeit sogar auf dem Land in einem Kloster zugebracht, von wo sie – insbesondere von Freitag bis Sonntag – zur Arbeit fuhr. Überhaupt schwärmte sie sehr vom Landleben und würde am liebsten auf einem Bauernhof wohnen.

Sicherlich ist dies kein Fall von Schizophrenie, wie man meinen könnte, sondern eher ein Ausdruck von Langeweile und Überdruß bzw. ein Zeichen dafür, mit welcher Wucht das Pendel von der einen auf die andere Seite zurückschlägt. Nur in der Mitte hängt es anscheinend nie; immer ist es in Bewegung, schwankt von einem Extrem zum anderen. In der Mitte wäre wohl ein nach traditionellen Maßstäben „normales Familienleben“ anzusiedeln, das in einer Stadt wie Berlin jedoch auch nur eine Möglichkeit unter vielen ist.

Man kann die Verdrängung des Normalen durch die verschiedenen Varianten des Extremen beklagen, aber vielleicht kann man diesem Beispiel von „Danuta“ auch noch etwas mehr entnehmen.

Mönchische Askese und „dekadenter“ Orgiasmus

Zunächst wäre da der naheliegende Befund, daß auch die totale Orgie, wie allzu oft das Eheleben, irgendwann langweilig wird. Selbst das Kloster erscheint dann, zumal wenn es nur eine aufkündbare Option ist, attraktiver, weil es mit zeitweiligen Anforderungen, Leistungen und Willensentscheidungen verbunden ist. Zweitens sind – gerade für einen kritischen Blick auf die sexuelle Revolution oder zumindest auf deren völlige Verselbständigung – die „Täter“ bzw. Protagonisten durchaus Opfer ihrer eigenen Ideologie. Drittens ist aber auch zu bedenken, daß es Ursachen dafür gibt, warum das Hängen des Pendels in der Mitte auf die Dauer nicht befriedigt.

Offenbar hat die bürgerliche Gesellschaft, anders als die der Antike oder der archaischen Welt, das Orgiastische nicht hinreichend zu integrieren vermocht: Allein für den militärischen Bereich theoretisch akzeptiert und damit zugleich externalisiert (weil meistens doch kein Krieg stattfand und wenn, dann so geführt wurde, daß „Berserkerwut“ nicht mehr vonnöten war), konnte es im wesentlichen nur in den Sublimationen von Literatur und Kunst ein Dasein fristen und war in der weitgehend liberalisierten und pazifizierten Nachkriegszeit, in der eine traditionelle Sittlichkeitsbastion nach der anderen geschleift wurde, dazu verurteilt, schließlich ins Leere zu laufen oder in sein Gegenteil umzuschlagen.

Familiäres Leben, mönchische Askese und „dekadenter“ Orgiasmus sind letztlich drei Grundformen menschlicher Existenz, die jeweils ihr Eigenrecht haben, auch wenn allein das erstere den Fortbestand der Gemeinschaft sichert. Damit es diese Aufgabe erfüllen kann, ist die Einbindung der anderen Lebensformen und ihrer spezifischen Leistungen (Sinnstiftung und Triebregulierung) jedoch notwendig.

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