Dem deutschen Film gelingen gelegentlich treffende Parabeln, wenn auch nicht unbedingt mit Absicht. So beschreibt Michael Gwisdek, der am 9. November für das ZDF in „Das Wunder von Berlin” den Opa der Familie spielte, seine Rolle als Walter Kaiser als rein „komischen Alten”.
Tatsächlich geistert Opa Kaiser immer etwas wunderlich herum, wirkt schrullig, erzählt ohne jeden Eifer ein paar Geschichten aus der Wehrmacht und aus Stalingrad – und Regisseur Roland Suso Richter läßt ihn über dem Anblick der Fernsehübertragung der Maueröffnung sanft entschlafen.
Das ist besser getroffen als gezielt. Denn es gehört zu den Merkwürdigkeiten des Vereinigungsprozesses, daß sich mit ihm in der Tat ein endgültiger Abschied jenes alten Deutschland vollzogen hat, das Kaiser im Film repräsentierte. Natürlich hat das unter anderem biologische Gründe, aber nicht nur.
Auch Mitteldeutschland war ein besiegtes und besetztes Land
So lange die Mauer stand, blieb die Deutsche Frage immer erkennbar offen und mit ihr die Möglichkeiten, die Traditionen und vielleicht auch die Drohungen, die sich für manchen damit verbanden. Keine rosa Popbeleuchutung und kein englischer Singsang, wie sie am Montag während der Einigungsfeiern vorzugsweise das Brandenburger Tor umwaberten, verdeckten die Tatsache, daß es sich bei Mitteldeutschland um ein besiegtes und besetztes Land handelte.
Die DDR, „Der Doofe Rest”, wie damals die häufige und noch gar nicht ostalgische Selbstbezeichnung lautete, stand nicht nur räumlich in der Mitte zwischen dem ausgemordeteten deutschen Leben in Ostdeutschland und den längst im altklugen postnationalen Dämmer verschlafenden Westen.
Kopfsteinpflaster und preußischer Stechschritt
Vom Kopfsteinpflaster über den preußischen Stechschritt bis hin zum selbst von der SED gepflegten Bewußtsein, daß man es 1933-45 mit einer deutschen Regierung zu tun gehabt hatte, die nur eine Möglichkeit von vielen politischen Entwicklungen gewesen war, nicht weniger und nicht mehr: Die DDR konservierte auf vielen Ebenen die Notwendigkeit, aber auch die Möglichkeit eines ehrlichen deutschen Neuanfangs als geschlagenes Land, das gleichwohl einige unangenehme Fragen an die Sieger zu stellen hätte.
Die praktisch totale Übernahme des bundesrepublikanischen politischen und wirtschaftlichen Systems durch die „Neuen Länder” samt des Geschichtsbilds und der Staatsräson, beseitigte diese Situation. Dies geschah um einen hohen Preis, der beim Jammer über die finanziellen Transferleistungen vielen gar nicht aufgefallen ist. So gesehen, ist dem ZDF mit „Walter Kaiser” das passende Bild zu zwanzig Jahren Mauerfall gelungen.