Angela Merkel fürchtet sich vor eigenen Äußerungen, die „vielleicht im Widerspruch zu etwas stehen könnten, was sie vor zehn Jahren gesagt hat“, schreibt der Spiegel in seiner neusten Ausgabe. Deswegen verliere sich die Kanzlerin gerne im Ungefähren.
Aus ganz anderem Holz ist da Peer Steinbrück. Der schafft es, in kürzester Frist die eigenen Aussagen zu konterkarieren. Trotzig hat er eben noch den Bild-Redakteuren im Interview erklärt: „Dann bin ich eben der Schuldenkaiser.“ Der Minister rückte mit diesem „Na und?“ das schlimme Erbe der großen Koalition – die weiter ausufernde Staatsverschuldung – in den Bereich unbedeutender Nebensächlichkeiten.
So weit, so schlecht. Doch dann machte Steinbrück eine bemerkenswerte inhaltliche Kehrtwende und prangerte in der vergangenen Woche die „Rentengarantie“ seiner eigenen Genossen an.
Einseitige Belastung kommender Generationen
Erst sagte Steinbrück in der Frankfurter Rundschau: „Ich habe große Zweifel, ob das für die nachfolgende Generation das richtige Signal ist.“ Und: „Der jetzigen Rentnergeneration geht es insgesamt so gut wie niemals einer zuvor.“ Die Springer-Boulevardpresse (die überwiegend von Rentnern gelesen wird) wollte darin sogleich eine Beleidigung aller Rentner erkannt haben.
Die Wahrheit ist: Steinbrück hat recht. Auch mit der nächsten Aussage, die er hinterherschob: Die eigentlichen „Gekniffenen“ seien die 25 bis 35jährigen, die „Kinder in die Welt setzen wollen“. Es stelle sich langsam die Frage, ob die einseitige Belastung der kommenden Generationen nicht „grenzwertig“ sei.
Eben war Schuldenmachen noch okay. Jetzt sind Rentenzusagen, die vor dem Wahltermin gemacht werden, plötzlich falsch, weil sie zukünftige Generationen über Gebühr belasten. Ja, was denn nun?
Es gibt drei mögliche Ursachen für Steinbrücks Richtungswechsel. Erstens: Er glaubt tatsächlich, daß das große Geldverplempern von Union und SPD falsch war und tut jetzt so, als habe er nichts damit zu tun. Zweitens: Er wollte seinem Parteigenossen und Kabinettskollegen Olaf Scholz in die Parade fahren, der für die Rentengarantie verantwortlich ist. Scholz will neuer SPD-Fraktionschef nach der Wahl werden, heißt es. Sieht Steinbrück in Scholz einen Konkurrenten?
Sozialstaat plündert die Jungen aus
Drittens: Steinbrück glaubt nichts von dem, was er sagt; aber er ahnt, daß das miserable Abschneiden der Partei bei der Europawahl auf die jüngeren Wähler zurückzuführen ist, die der SPD den Rücken kehren. Die entsprechenden Daten werden erst im August veröffentlicht, aber die ersten Indizien sprechen dafür, daß die SPD vor allem bei den Jüngeren (18 bis 30 Jahre) verloren hat.
Natürlich hat Steinbrück die Wahrheit gesagt. Der Sozialstaat plündert die Jungen aus. Sie wissen das. Gerade solche, die unpolitisch sind und sich nichts aus langatmigen Bundestagsdebatten machen, sind ungehalten. Längst hat sich bei ihnen herumgesprochen, daß sie die Zeche bezahlen müssen.
CDU/CSU/SPD-Politiker nehmen normalerweise mehr Rücksicht auf die Belange der Rentner, weil es von denen mehr gibt, weil sie öfter zur Wahl gehen und weil sie treuer die Volksparteien wählen. Deswegen werden die jüngsten Aussagen Peer Steinbrücks auch bald vergessen sein. So wie all die anderen Halb- und Unwahrheiten, Andeutungen oder Forderungen, die wir in diesem Jahr noch als Wahlkampfgeklüngel serviert bekommen werden.