Was tun aus dem Dienst entlassene Geheimdienstchefs normalerweise? Sie verschwinden dezent aus dem Licht der Öffentlichkeit, ziehen sich ins Private zurück und tauchen irgendwann allenfalls in elitären Hintergrundzirkeln der Sicherheitsdienste auf, halten sich aus der Tagespolitik aber vornehm heraus.
Ganz anders Hans-Georg Maaßen, der als Chef des Verfassungsschutzes im November 2018 von Horst Seehofer in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurde. Maaßen hatte sich offensichtlich nicht davon abbringen lassen, die Realität in der Frage unkontrollierter Migration zu beschreiben, und er zählte zu der Gruppe der Chefs von Sicherheitsdiensten, die Merkels Grenzöffnung im Herbst 2015 intern als schwere Fehlentscheidung kritisiert haben.
Die Nerven liegen blank
Maaßen hat sich Anfang des Jahres als CDU-Mitglied der innerparteilichen Oppositionsgruppe „Werte-Union“ angeschlossen. Seit seinem Beitritt ist das Interesse an dieser kleinen konservativen Basisströmung sprunghaft gewachsen. Daß Maaßen von wahlkämpfenden CDU-Gliederungen in Sachsen und Brandenburg demonstrativ eingeladen wurde und sich CDU- und AfD-Anhänger dort quasi in den Armen lagen, muß die Chefetage im Konrad-Adenauer-Haus zur Weißglut gebracht haben. So ruhig Angela Merkel kürzlich bei einem „Bürgerdialog“ in Stralsund Kritik an sich abperlen läßt, so sehr scheinen intern die Nerven angesichts der heraufziehenden Wahlschlappen blank zu liegen.
Nicht anders zu erklären ist die unprofessionelle Äußerung von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die in einem autorisierten Zeitungsinterview Spekulationen über einen Parteiausschluß von Maaßen Nahrung gab. Am Wochenende verhedderten sich sie und ihr Stab in Widersprüche und mußten schließlich zurückrudern.
Arroganter Affront gegen Merkel-Kritiker
Kramp-Karrenbauers Äußerung, sie sehe bei Maaßen „keine Haltung, die ihn mit der CDU noch wirklich verbindet“, wirkt jedoch als arroganter Affront gegen Merkel-Kritiker nach. Die gibt es gerade im Osten zuhauf, was auch einer der wichtigsten Gründe dafür ist, daß sowohl in Brandenburg als auch in Sachsen die CDU am 1. September von der AfD deklassiert werden könnte.
Der CDU dürfte die Schadenfreude über die Selbstzerstörung der SPD inzwischen im Halse stecken bleiben, ihr droht nämlich das gleiche. Das Parteiestablishment hat längst bundesweit die Weichen für komfortable Bündnisse mit den Grünen, auf Länderebene auch unter Einschluß der Linkspartei gestellt. Hierfür werden fröhlich die letzten Grundpositionen geopfert. Um den Preis, weitere Kernwähler der alten CDU in die Arme der AfD zu treiben. Maaßen und die Werte-Union stehen für eine politisch alternative Option, für die es – derzeit – noch keine Mehrheiten gibt.
JF 35/15