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Wehrpflichtdebatte: Für Deutschland sterben?

Wehrpflichtdebatte: Für Deutschland sterben?

Wehrpflichtdebatte: Für Deutschland sterben?

Soldat vor der der Flagge Deutschlands: Wofür wir kämpfen. Foto: KI
Soldat vor der der Flagge Deutschlands: Wofür wir kämpfen. Foto: KI
Soldat vor der deutschen Flagge: Wofür wir kämpfen. Foto: KI
Wehrpflichtdebatte
 

Für Deutschland sterben?

Mit ihrer ambivalenten Haltung zur Wehrpflicht macht sich die AfD in einem patriotischen Themenbereich, der eigentlich als Domäne der Rechtskonservativen gilt, in höchstem Maße angreifbar. Ein Essay von Konstantin Fechter.
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Am 7. Oktober 2023 wurden nicht alle Israelis von den Schergen der Hamas überrascht. Die Soldaten des beduinischen Aufklärungsbataillons Gadsar 585 konnten im Sand der Negevwüste Zeichen lesen, die Satelliten, Bewegungssensoren und Drohnen nicht zu identifizieren vermochten. Anhand der Fußspuren entlang der Grenzzäune erkannten die Beduinen, daß bewaffnete Eindringlinge in großer Anzahl unterwegs waren. Als der Morgen dämmerte, befanden sich die Männer von Gadsar 585 schon in zahlreichen Gefechten mit den palästinensischen Todesschwadronen.

21 beduinische Israelis fielen während der Terrorangriffe der Hamas. Unter ihnen Ibrahim Kharuba, dessen letzte Worte lauteten: „Es ist meine größte Ehre, für euch und den Staat Israel zu sterben.“ ­Kharuba wurde posthum die Tapferkeitsmedaille verliehen, Israels höchste militärische Auszeichnung.

Die militärische Entschlossenheit des Minderheitenbataillons Gadsar 585 ist deshalb so bemerkenswert, weil der israelische Staat ein angespanntes Verhältnis zur Beduinenkultur hat. Die wenigsten ihrer Siedlungen sind offiziell anerkannt oder auf Karten vermerkt. Viele sehen sich mit Zwangsräumungen konfrontiert und sind von der kommunalen Infrastruktur ausgeschlossen – eine hoffnungslose Lage, die von zahlreichen Menschenrechtsorganisationen kritisiert wird. Und dennoch ist dies für die Beduinen kein Grund, ihrem Staat die Treue zu verweigern. Der Kampf für ihre Bürgerrechte und ihre permanente Wehrbereitschaft stellen zwei Seiten einer Medaille dar.

Eine Topographie der deutschen Ängste

Im Vergleich zu Israel verfügt die Berliner Republik über kaum ausgeprägte Abwehrkräfte gegen innere und äußere Bedrohungen. Peter Sloterdijk attestierte jüngst dem ganzen europäischen Kontinent, Produkt eines nahezu abgeschlossenen Verharmlosungsprozesses zu sein. Denn „ginge es nach den Vorlieben der Europäer – und ihrer sensiblen Jugendlichen vor allem –, würde von höchster Stelle ein allgemeines Ernstfallverbot verhängt. Für sie kommt jeder reale Notstand einem Verfassungsbruch gleich, jeder Starkregen einem Anschlag auf die Menschenwürde.“

Doch die Dramaturgie des Kontinents ist noch nicht zum Stillstand gekommen. Europa hat es zurück auf die Weltkarte geschafft. Zwar nicht mehr als Epizentrum kultureller Ausstrahlungskraft, jedoch als rot markierter Beuteraum. Und jenseits von Dnjepr, Bosporus und Gibraltar werden immer wieder gute Gründe gefunden, warum Land und Habe des weißen Mannes den Besitzer zu wechseln hätten.

Mit der Debatte um die Reaktivierung des Wehrdienstes ist eine Frage des Grundsätzlichen in das Vakuum des postpolitischen Frührentnertums der Bundesrepublik eingedrungen. Sie ist Ausdruck eines Gefühls von Unsicherheit und Bedrohung. Angesichts der Eruptionen einer in Entstehung begriffenen multi­polaren Weltordnung stellt diese Emotionslage eine angemessene instinktive Reaktion auf den desaströsen Stand der bundesrepublikanischen Wehrfähigkeit dar. Topographien der deutschen Ängste ergeben, daß drei von vier Bundesbürgern (in Ost wie West) militärische Konfrontationen in Europa fürchten.

Lesen Sie das Plädoyer gegen die Wehrpflicht von Thorsten Hinz hier.

Rechte lassen sich in die Rolle des Systemblockierers drängen

Verschärfend trifft die Wahrnehmung äußerer Bedrohung auf innenpolitische Desorientierung. Der Dienstdiskurs wühlt eine zutiefst verunsicherte Nation auf und ist aus diesem Grund allein durch seinen inhärenten Bekenntnischarakter begrüßenswert. Insbesondere die deutsche Oppositionsbewegung muß einen Weg finden zwischen der Aufrechterhaltung des ihr eigenen thymotischen Mobilisierungspotentials und patriotischer Glaubwürdigkeit.

Denn gerade aus dem schrillen Protestraum des dissidenten Aktivismus werden allzu schnell Fundamentaleinwände gegen die Wehrpflicht geschleudert. Die Bundeswehr? Eine durchgegenderte Trümmertruppe. Sicherheitspolitik? Gefährliche Konfrontationslust unter US-imperialer Hegemonie gegen den unbesiegbaren Russen. Der Dienst am Land? Es fehlt der große Wurf eines sinnstiftenden Nationskonzepts.

Folgt man dieser nationalpessimistischen Argumentationslinie, findet sich am Ende der Erregungsspur jedoch nur eine libertäre Form der Dienstverweigerung. Die soziokulturellen Rahmenbedingungen der Berliner Republik erscheinen als unpassend, also setzt man aus. So aber funktioniert Volk nicht. Daß nun selbst nationalkonservative bis rechte Stimmen entschieden gegen die Renaissance der Verteidigungsbereitschaft eintreten, verweist auf die Misere der deutschen Oppositionsbewegung, die sich schrittweise in die Rolle eines Systemblockierers drängen läßt.

Deutschlands Eliten sind nicht herrschsüchtig, sondern überfordert

Denn noch immer gilt das Diktum eines der ersten deutschen Landwehrbefürworter, Carl von Clausewitz: „Die Bewaffnung des Volkes, d. h. die Landwehreinrichtung, gibt einen Widerstand nach außen, der durch kein stehendes Heer erreicht werden kann.“ Erst dieser Wehrgeist – die Bereitschaft, kollektiv und unter Zurückstellung politischen Streits zu den Waffen zu greifen – gewährleistet die biopolitische Unversehrtheit des Staatsvolks gegenüber raumfremden Mächten. Als Garant der existentiellen Grundlagen des Staatsvertrages stellt er das nationalstaatliche Minimum dar und steht als Teil der staatspolitischen Substanz jenseits tagespolitischer Befindlichkeiten.

Trotzdem bleibt eine Wehrpflichtdebatte für jede Oppositionsbewegung eine Herausforderung. Denn eine Opposition, welche diesen Namen verdient, zeichnet sich in erster Linie durch ein Kooperationsverbot gegenüber den Regierungsparteien aus. Verstößt sie dagegen, wird schnell der Vorwurf erhoben, daß sie nun selbst mit den Mächtigen paktiere und deren Irrwege unter anderem Banner fortführe. Doch in den grundsätzlichen Fragen der kollektiven Sicherheit erwarten die meisten Bürger eine unbedingte Überparteilichkeit.

Da die Opposition über keine Handlungsverantwortung verfügt, kann sie ihre Legitimation ausschließlich aus einer Bereitschaftshaltung für ein besseres Regieren ableiten. Für diese bedarf es jedoch demonstrativer Verpflichtungsgesten. Eine temporäre Fundamentalverweigerung hinsichtlich der Landesverteidigung wäre nur überzeugend, wenn die derzeitige Staatsführung verbrecherische Absichten offenbaren würde. Die Eliten der Berliner Republik zeichnen sich jedoch vielmehr durch ein Regime der Improvisation aus, bei dem die Drangsalierung oppositioneller Akteure keinem diktatorischen Imperativ entspricht, sondern ein Symptom der Überforderung im Austarieren eines integrativen Gemeinwesens darstellt.

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Ein Verrat muß nicht aktiv stattfinden

Ist eine Regierung jedoch nur schlecht und nicht per se bösartig, befindet sich der Widerstand gegen die von ihr praktizierte Außenpolitik permanent in einem Spannungsverhältnis zwischen Ordnung und Verrat. Margret Boveri widmete diesem Nexus in ihrer vierbändigen Bestandsaufnahme „Der Verrat im 20. Jahrhundert“ eine umfassende Betrachtung. Für Boveri ergab sich mit Beginn der Französischen Revolution eine grundlegende Neubewertung des Verrats, der sich nun nicht mehr als Bruch der feudalen Treuedualität zwischen Lehnsherr und Gefolgsmann begreifen ließ.

Durch die Einbindung des einzelnen in nationale Kollektive potenzierten sich die Irritationen für sein Loyalitätsempfinden aufgrund wechselnder politischer Losungen. Verrat war nicht mehr Bruch mit der eigenen Identität, sondern eine Hinwendung zu anderen Gruppierungen und Versprechen. Das wandelte insbesondere im ideologischen 20. Jahrhundert den Verrat von der Randerscheinung zum Massenphänomen: „Denn der Verrat ist in unserem Leben zum Alltagsbegriff geworden, so umfassend, als habe er sein eigenes geheimes und so undurchsichtig-mächtiges Reich auf einer Ebene errichtet, die sich nicht mit Völkern, Nationen, Verfassungen, Glaubensgemeinschaften deckt, aber doch alle zerstörend oder verwandelnd durchdringt.“

Margret Boveri protokolliert den Verrat als politische Geste. Angesichts einer in Unordnung geratenen Weltlage, die sich in der Konfrontation zwischen Rußland und der europäischen Allianz mit tödlichem Ernst manifestiert, gewinnen ihre Worte an Aktualität. Dabei ist es unerheblich, ob der einzelne in diese Konfliktkonstellation einwilligt oder nicht. Entscheidend ist, daß entsprechende Erwartungen der Kollektive an ihn gerichtet sind. Verrat muß keine aktive Handlung sein.

Es ist ein Verdikt, das in Momenten der Entscheidung auch über die Bekenntnisfreien verhängt wird. Dante Alighieri betont dieses Neutralitätsverbot in der „Göttlichen Komödie“ durch den Verweis auf das Antinferno, eine Vorhölle, in der sich diejenigen Engel sammeln, die beim Aufstand Luzifers für niemanden Partei ergriffen haben.

Wer für Souveränität einsteht, muß für die Wehrpflicht sein

Für eine Partei wie die Alternative für Deutschland besteht die Gefahr, die Debatte um den Wehrdienst als ein Erregungsthema neben vielen zu verkennen. Konzessionen an das Milieu der Aufgebrachten verblassen angesichts der immer klarer konturierten Gegenerzählung aus dem Lager der etablierten Parteien. Diese brandmarkt die AfD zunehmend erfolgreich als pro-russische Kollaborationsbewegung. Ein Vorstoß der thüringischen Regierung aus jüngster Zeit (die JF berichtete) stellt die parlamentarischen Anfragen der Partei gar unter Spionageverdacht.

Solche Vorwürfe wiegen schwerer als die üblichen Diffamierungskampagnen. Während der Verrat im Verborgenen stattfindet, ist Kollaboration eine öffentliche Geste der Hinwendung zu fremden Mächten. Der vehemente Widerstand einiger AfD-Politiker gegen den Aufwuchs nationaler Verteidigungsfähigkeiten kann als sichtbarer Vertrauensbruch und als Aufkündigung des Gesellschaftsvertrages ausgelegt werden.

Mit ihrer ambivalenten Haltung zur Wehrpflicht macht sich die Partei im höchsten Maße angreifbar in einem patriotischen Themenbereich, der eigentlich als Domäne der Rechtskonservativen gilt. Denn wer nationale Selbstbehauptung fordert, kann nicht gegen die Wehrpflicht argumentieren. Sie ist die Prämisse von Souveränität und einem autonomen Gemeinwesen. Selbst wenn man diese für die Bundesrepublik nur eingeschränkt gegeben sieht, wäre die Reaktivierung der Wehrpflicht ein entschiedener Schritt hin zu ihrer Wiedererlangung.

Sollte die Partei in den Kernfragen der vitalen Sicherheitsinteressen Deutschlands als nicht mehr vertrauenswürdig gelten, wären die langfristigen Folgen unabsehbar. Das Kainsmal des Verräters ermöglicht zahlreiche Optionen in einem rechtsstaatlich äußerst fragwürdigen Verbotsverfahren gegen die AfD. Im Fall einer Verbotsandrohung wird sich Widerstand gegen die Aushöhlung des Rechtsstaates erheben – auch außerhalb oppositioneller Kreise. Sollte die AfD zu diesem Zeitpunkt in dem gefestigten Ruf einer Kollaborationsbewegung stehen, werden jedoch selbst ihre Unterstützer Argumentationsschwierigkeiten hinsichtlich der Unrechtmäßigkeit eines Verbots haben.


Konstantin Fechter, geb. 1988 in Stralsund, arbeitete nach einem Psychologiestudium an der Universität Heidelberg in Gefängnissen, betreute Opfer von Gewaltverbrechen und ist derzeit in einem Sicherheitsunternehmen als Berater für strategische Operationen beschäftigt.

Wir dokumentieren den Text mit freundlicher Genehmigung von „Cato – Magazin für neue Sachlichkeit“. Erschienen in Heft 1/26.

Soldat vor der deutschen Flagge: Wofür wir kämpfen. Foto: KI
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