Die Buchmesse Leipzig verabschiedet sich von X, löscht aber nicht einfach ihren Account, sondern zeigt noch mal Haltung mit einem letzten Tweet, der hühnerbrüstig konstatiert, daß die Entwicklungen der Plattform unter Elon Musk im Widerspruch zu den Werten der Buchmesse Leipzig stünden. Welche Werte das sind, läßt man offen, deutet aber eine Vision von Demokratie und Meinungsfreiheit an.
Andere Meinungen stören empfindlich
Augenscheinlich fühlen sich die mutigen Visionäre jetzt nicht nur analog, sondern auch digital von anderen Meinungen empfindlich gestört. Der Unternehmer Elon Musk, der sich spätestens seit seinem Engagement für Trumps Wahlkampf bei den alimentierten Progressiven diskreditierte, hat hier in geradezu pawlowscher Reflexhaftigkeit eine für Linke typische Umbewertung seiner Person erfahren. Die Enttäuschung über ihn, der sich mit dem Kauf der Plattform explizit für den Erhalt von Meinungsfreiheit und Demokratie einsetzt, wandelt nun nach Liebesentzug die Bewunderung folgerichtig in Aggression um. Aber die Macher der Leipziger Buchmesse lassen nach.
Mit diesem letzten Tweet verabschieden wir uns von X. Die Entwicklungen der Plattform unter Elon Musk stehen im Widerspruch zu unseren Werten. Die gezielte Verbreitung von Fake News und Extremismus sind unvereinbar mit unserer Vision von Demokratie und Meinungsfreiheit. #eXit pic.twitter.com/4vK32swEa9
— Leipziger Buchmesse (@buchmesse) November 25, 2024
Noch im März dieses Jahres war das Zeichen zur Eröffnungsveranstaltung, das von Sachsen aus in die Welt gesendet wurde, stark, stärker, sehr, sehr stark! Auf drei reckte das Publikum die vorbereiteten und auf jedem Platz ausgelegten weltbunten Plakate „Demokratie wählen Jetzt“ in die Höhe. Die überlieferterten ikonographisch anmutenden Fotos künden von einer 99,9%igen Mitmachquote – die Politprominenz der ersten Reihe, Monate später von der Realität der Wahlergebnisse eingeholt, glänzt dazu breit grinsend in komödiantischer Manier.
Ab in die kränkelnde Blase
Internationale Beobachter schüttelten damals angesichts der nordkoreanisch totalitären Anmutung die Köpfe, die Eröffnung allerdings war nur der Auftakt für ein Feuerwerk politischer Endsieg-Torpedie. Eine Buchmesse als Veranstaltung für Agitprop, flankiert von Regenbogen-Fahnen und als Bühne für NGOs, Parteistiftungen und einiger einschlägig bekannter gemeinnütziger Demokratiakteure wird allerdings langfristig nicht überleben.
Der eilig herbeigeführte X-Tod ist da, wenn auch unbewußt, schon jetzt ein Rückzug aus der kritischen Öffentlichkeit mitten hinein in eine kränkelnde Blase.
Daß dies ein Auftakt für eine Neuausrichtung der Leipziger Buchmesse ist, bleibt zu befürchten. Etwas inkonsequent agiert man allerdings, denn endgültig gelöscht ist der Account bis jetzt noch nicht.
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Susanne Dagen, Jahrgang 1972, ist Buchhändlerin, Verlegerin und Kommunalpolitikerin in Dresden. Sie leitet das Buchhaus Loschwitz, das zahlreiche Schriftsteller anzieht. Zudem verlegt sie die „Exil“-Reihe. 2015 und 2016 erhielt sie den Deutschen Buchhandlungspreis.