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Buchhaus Loschwitz: Sensibel für Ungerechtigkeiten

Buchhaus Loschwitz: Sensibel für Ungerechtigkeiten

Buchhaus Loschwitz: Sensibel für Ungerechtigkeiten

Dagen
Dagen
Susanne Dagen in ihrer Buchhandlung in Dresden: In der Rolle der widerständigen Ost-Frau Foto: Martina Meckelein
Buchhaus Loschwitz
 

Sensibel für Ungerechtigkeiten

Begleiter, Kompaß, Anstifter und Unterhalter: Das Buchhaus Loschwitz von Susanne Dagen feiert sein 25jähriges Bestehen. Trotz medialer Anfeindungen und Verleumdungen findet die Buchhändlerin: Demokratie benötigt Opposition und keine Opportunisten.
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Wer eine lokale Zeitung liest am Dresdner Elbhang, an dessen Briefkasten klebt überproportional häufig für die Landeshauptstadt ein blaues Schildchen. Die Zusteller haben hier nicht die marktbeherrschende Sächsische Zeitung einzustecken, sondern die Dresdner Neuesten Nachrichten (DNN). Diese sind zwar nichts anderes als eine Lokalausgabe des ehemaligen SED-Bezirksblattes Leipziger Volkszeitung, aber in der Vorstellung des in den Villen zwischen Blauem Wunder, Weißem Hirsch und Pillnitz lebenden Ur-Dresdner Bildungsbürgertum wird noch immer die legendäre Union bezogen, die zu DDR-Zeiten zumindest im Kulturteil viel hintergründiger war als alle anderen Dresdner Medien.

Nach einem kurzen Höhenflug im ersten Nachwendejahr wurde die Union von der Süddeutschen Zeitung gekauft, verlor mit aus Westdeutschland importierten Journalisten Glaubwürdigkeit und Auflage, wurde abgestoßen und Teil der DNN, deren Dresdner Kulturteil noch immer von einer ehemaligen Union-Redakteurin geleitet wird.

Diese Vorgeschichte ist wichtig, um zu verstehen, wie die Menschen am Dresdner Elbhang ticken. Sie sind wie der Wein, der hier auf den Weinbergen gedeiht, empfindlich, unverwechselbar und etwas für Genießer. Uwe Tellkamp hat in seinem Roman „Der Turm“ diesen sehr eigenen Menschenschlag beschrieben. Und er könnte eine Fortsetzung schreiben, am Beispiel einer kleinen, idyllisch gelegenen Buchhandlung im alten Dorfkern nahe dem Körnerplatz und ihrer hellwachen Inhaberin Susanne Dagen, die anscheinend immun ist gegen die Anfeindungen aller selbsternannten Vertreter einer „Zivilgesellschaft“, die weit ins linksextremistische Lager reicht, aber alles als undemokratisch ausschließt, was rechts der Mitte beheimatet ist.

Es geht nicht um Wahrheit

Geboren 1972 in Dresden-Bühlau als Tochter eines kroatischen Chemikers und einer Kunstwissenschaftlerin an den Staatlichen Kunstsammlungen – der Großvater Arzt, die Großmutter Sängerin –, wächst Dagen als Einzelkind einer alleinerziehenden Mutter, umgeben von kunstsinnigen Menschen, auf. Sie lernt deren konservatives Denken kennen, auch ihr Taktieren im sozialistischen System. Nach dem Zusammenbruch des SED-Regimes macht Dagen eine Lehre als Buchhändlerin, lernt ihren Lebenspartner, den aus dem Westen stammenden Michael Bormann kennen, und verwirklicht im März 1995 mit ihm ihren Traum: eine kleine Buchhandlung in Dresden-Loschwitz. Später ist das benachbarte Kulturhaus dazugekommen, für Veranstaltungen.

Wie wichtig Autorenlesungen in einer gemütlichen Atmosphäre sind, hatte Anfang der 1990er Jahren bereits der Buchhändler Wolfgang Richter bis zu seinem Suizid in seiner Kult-Buchhandlung „Richters“ in der Äußeren Neustadt bewiesen. Auch Dagen begreift Lesungen als „Garant für unikates Erleben“. Ging es bei „Richters“ im Szeneviertel eher rustikal zu, setzt sie am Elbufer auf „Veranstaltungen mit andächtigem Saloncharakter“. Ein Konzept, das Anklang findet. Zu den Veranstaltungen kommen Wahrheitssuchende, die sich auch nach dem Ende der SED-Diktatur nicht vorschreiben lassen wollen, mit wem sie über welches Thema diskutieren dürfen.

Dagens Konzept wird ausgezeichnet, sie erhält 2015 und 2016 den Deutschen Buchhandlungspreis in der Kategorie „besonders herausragend“. Vielleicht hätte sie ihn auch 2017 erhalten, wenn nicht der Spiegel, das gegen seine sinkende Auflage kämpfende, verrottete einstige „Sturmgeschütz der Demokratie“, einen seiner Autoren mit einem Beitrag über Pegida beauftragt hätte.

Starautor Alexander Osang, selbst in der DDR sozialisiert und mit Dagen persönlich bekannt, so schildert es die Buchhändlerin später, schlägt bei ihr auf und bittet um Rat. Ob sie Literatur zum Thema habe und was sie von der ganzen Sache halte? Dagen erzählt ihm von ihrem Interesse an der neuen Protestbewegung, empfiehlt Sebastian Hennigs Buch „Pegida: Spaziergänge über den Horizont. Eine Chronik“ und gibt den Hinweis, daß „unter der ganzen Pegida-Bewegung ein wesentlicher Ost-West-Konflikt schlummert“.

Spiegel-Mann Osang dreht und wendet die im privaten Gespräch dahingeplauderten Worte so lange, bis er sich sicher sein kann, daß sie im falschen Kontext die richtige Skandalwirkung erzielen würden. Es geht nicht um Wahrheit, sondern um Auflage. Aus Dagens Interesse für das Phänomen Pegida wird so im Mai 2016 die Pegida-Versteherin.

Gesinnungswächter üben Boykott

Später zieht die Zeit nach. Wer Pegida versteht, müsse auch mit den Äußerungen von deren Vordermann Bachmann übereinstimmen, und hatte dieser nicht auf einem Foto mit Oberlippenbärtchen als Adolf Hitler posiert? Zeit im Osten enttarnt selbstgerecht den kleinen Buchladen mit angeschlossenem Kulturhaus als Hort der Ewiggestrigen, was den „sogenannten und ausgesprochenen Generalboykott“, so Dagen, gegen die Buchhändlerin verstärkt.

Die meisten Alteingessenen am Elbhang lesen beide Berichte – wie stets – zwischen den Zeilen, sortierten die Lüge von der Wahrheit, denken sich ihren Teil und greifen zum Kulturteil der DNN. Die Neuzugezogenen jedoch glauben der Druckerschwärze und heulen empört auf. So waren sie also von der doch so sympathisch wirkenden blonden Frau hintergangen worden. Keinen Schritt mehr würden sie in ihren Buchladen tun.

In der DDR wäre Dagen vom Neuen Deutschland als „kaputter Typ“ bezeichnet worden und hätte Berufsverbot erhalten, im Deutschland des 21. Jahrhunderts gehen die Gesinnungswächter ähnlich vor: Kauft nicht bei Dagen. „Ich hätte allerdings nicht gedacht, daß danach so ein Sturm über mich hereinbricht“, gesteht die Buchhändlerin in einem Interview. Dagen, die sich in der „Rolle der widerständigen Ost-Frau“ sieht, muß sich in Dresdner Medien rechtfertigen. Deren Kulturredakteure fühlen sich provoziert, weil Dagen die Reihe „Aufgeblättert. Zugeschlagen. Mit Rechten lesen“ veranstaltet, Compact und Sezession Interviews gegeben hat. Es gibt sehr persönliche, ihr nahegehende Angriffe in den sozialen Netzwerken. Noch Ende Januar 2019 werden Hakenkreuze geschmiert.

Aber sie wird nicht nur geächtet, es gibt auch viele, die fest zu ihr stehen. Daß Geradlinigkeit, Offenheit und Widerstand zwar nicht vor Repressionen schützen, aber vor Erpressung, diese Lektion hat Dagen als Jugendliche in der DDR gelernt. So stärken sie die Angriffe auf die Unabhängigkeit ihrer Buchhandlung. Sie wird noch sensibler für Ungerechtigkeiten.

Ein halbes Jahr nach Erscheinen des Zeit-Beitrags (Dagen: „Der Artikel war eine Frechheit“) initiiert sie die „Charta 2017“, in der sie dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels vorwirft, einen „Gesinnungskorridor“ vorzugeben, und kritisiert, daß „unsere Gesellschaft nicht mehr weit von einer Gesinnungsdiktatur entfernt“ sei. Namhafte Autoren unterschreiben. Vorausgegangen ist die Stigmatisierung sogenannter neurechter Verlage auf der Frankfurter Buchmesse.

Hatte Dagen gegenüber der Zeit noch versichert, keine Politikerin zu sein, sich keiner Partei andienen zu wollen und keiner Bewegung vorstehen zu wollen, wird sie im März 2018 ins Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung berufen. Dieses Engagement endet, als sie für ein Stadtratsmandat kandidiert. Seit September 2019 sitzt sie für die Freien Wähler im Dresdner Stadtrat und im Stadtbezirksbeirat von Dresden-Loschwitz.

Rausschmiß von einer Tagung war rechtswidrig

Zuvor hatte sie noch einmal für Schlagzeilen gesorgt, als sie nicht hinnimmt, daß sie von einer Tagung im Deutschen Hygiene-Museum wegen angeblicher Kontakte zur rechtsextremistischen Szene ausgeschlossen wird. Die Rolle der Inquisition übernehmen in diesem Fall neben staatlich alimentierten linken Vereinen die Bundeszentrale für politische Bildung, das Deutsche Hygiene-Museum, das Institut für Kommunikationswissenschaften der Technischen Universität Dresden und die Katholische Akademie des Bistums Dresden-Meißen.

Diese begründen in einer gemeinsamen Stellungnahme den Rausschmiß: „Die Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen (Buchhaus Loschwitz) hat in der Vergangenheit mehrfach ihre Unterstützung rechter Akteure und Ideologien bekundet.“ Sie positioniere sich damit am rechten Rand des politischen Meinungsspektrums, und obwohl man damit den „grundsätzlich offenen und demokratischen Diskurscharakter der Tagung punktuell“ einschränke, sei diese Zugangsbeschränkung „zum Schutz einzelner Teilnehmer*innen sowie zur Sicherstellung eines angstfreien Sprechens und Diskutierens“ sinnvoll.

Der Rauswurf sei rechtswidrig, urteilt das Landgericht Dresden später. Dagen seien keine Kontakte zur rechtsextremen Szene nachzuweisen, es habe keine Gründe gegeben, sie auszuschließen.

Dagen bleibt dabei, eine Konservative, eine Bürgerliche zu sein und zu diesen Werten zu stehen. Demokratie benötige Opposition und keine Opportunisten. 2019 überrascht sie die Dresdner Literaturfreunde mit ihrer hintersinnig „70 Jahre DDR“ benannten Gesprächsreihe, an der neben Uwe Tellkamp auch der CDU-Bundestagsabgeordnete und frühere Bürgerrechtler Arnold Vaatz, die Journalisten Michael Klonovsky, Jan Fleischhauer und Alexander Wendt, die Lyriker Uwe Kolbe und Christian Lehnert, die Autorinnen Vera Lengsfeld und Monika Maron mitwirken.

„Liederabende, Gesprächsrunden und ein offenes Haus für demokratische Auseinandersetzung runden unseren Begriff von Kultur umfassend ab“, schreibt Dagen auf ihrer Internetseite. Auch in diesem Jahr will die Buchhändlerin im Rahmen unterschiedlicher Veranstaltungsreihen „Begleiter, Kompaß, Anstifter und Unterhalter“ sein.

Am 7. März feierte sie ganz öffentlich „25 Jahre Buchhaus Loschwitz“.

> Die Bände aus der „EXIL“-Reihe sind im JF-Buchdeinst erhältlich.

Susanne Dagen in ihrer Buchhandlung in Dresden: In der Rolle der widerständigen Ost-Frau Foto: Martina Meckelein
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