Nicht nur zufriedene Leser, die eine Auflage nach der anderen wegkaufen, sondern darüber hinaus auch begeisterte Literaturkritiker, was könnte einem Verlag noch Besseres passieren? Vielleicht, wenn der Autor gute Chancen hat, bald Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika zu werden? Nicht für den Ullstein-Verlag. Nachdem der Nominierungsparteitag der Republikaner vor zwei Wochen James David Vance zum „Running Mate“ von Donald Trump wählte, ließ jener den Vertrag für dessen 2017 auf Deutsch veröffentlichte Bestseller-Autobiographie „Hillbilly-Elegie“ auslaufen.
Es klingt wie eine enttäuschte Liebe. „Zum Zeitpunkt des Erscheinens lieferte das Buch einen wertvollen Beitrag zum Verständnis des Auseinanderdriftens der US-Gesellschaft“, sagte eine Ullstein-Sprecherin dem Spiegel. Mittlerweile vertrete Vance jedoch an Trumps Seite, dessen Gegner er früher noch war, selbst eine „aggressiv-demagogische, ausgrenzende Politik“. Scheidungsanwälte kennen das. Da wird versucht, dem Ex-Partner noch eins auszuwischen, auch wenn der einzige, dem geschadet wird, eigentlich man selbst ist. So auch der Ullstein-Verlag.
Ein kleiner Verlag nutzt den Ullstein-Abgang
Die Gunst der Stunde nutzte der kleine Yes-Verlag und sicherte sich die brachliegenden Rechte an der deutschen Ausgabe. „Wir haben das Buch ganz kurzfristig bei der Agentur in Amerika eingekauft, als wir erfahren haben, daß Ullstein die Rechte nicht verlängert hat“, freute sich der merklich gutgelaunte Co-Geschäftsführer Oliver Kuhn. Anfang August soll das längst vergriffene Buch wieder in die Läden kommen. Schon jetzt steht es auf Platz 1 der Amazon-Bestseller. Die Chance auf einen Coup steht sehr gut. Gebrauchte Exemplare erzielen Spitzenpreise, die englische Ausgabe stürmt wieder die Verkaufsregale.
So ist es nun einmal. Des einen Haltung ist des anderen Glück. Im Grunde genommen zeigt der Boykott des Ullstein-Verlags in Nuce das Elend der heutigen Zeit auf. „Hillbilly“ hieß im amerikanischen Englisch ursprünglich so viel wie „Hinterwäldler“. Heute steht der Begriff synonym für die – nicht nur weiße – Arbeiterschicht, an der die Segnungen der Globalisierung vorbeigehen, die stattdessen die gerne verschwiegenen Folgen ernten. Mit „Hillbilly-Elegie“ zeichnet Vance, der in sozial sehr schwierigen Verhältnissen aufgewachsen ist, ein Porträt dieser Schicht, ihrer Wünsche und Ängste.
Das offene Erfolgsgeheimnis des Rechtspopulismus
Zuhören ist aber nicht die Stärke des linken Hegemons. Unzählige Politiker, Journalisten, Filmemacher oder eben auch Buchverleger, die ganz genau wissen, wo die Gesellschaft hinzustreben hat. Wer sich dem verschließt, wird als dumm, unverständig, eben „hinterwäldlerisch“ zur Seite geschoben. „A basket of deplorables“, einen Korb voller Bedauerlicher nannte die damalige Präsidentschaftskandidatin und Trump-Konkurrentin Hillary Clinton 2016 diese Schicht. Der Ausgang ist bekannt. Trump gewann die Wahl, dank dieser „Bedauerlichen“. Und er gedenkt es wieder zu tun.
Es ist das offene Erfolgsgeheimnis des sogenannten Rechtspopulismus: Begegne dem Arbeiter mit Respekt. Das heißt vor allem, belehre ihn nicht. Und schon gar nicht beschimpfe ihn als „Rassisten“, wenn er die Früchte seiner Arbeit an Leute abtreten soll, die nicht zu den „Bedauerlichen“ gehören, sondern die auf der schönen, sonnigen und arbeitsfreien Seite des Lebens stehen. Stattdessen kümmere dich darum, daß er möglichst viel behält von dem, was ihm zusteht. Wozu zwangsläufig der Verzicht auf hochtrabende wie kostspielige Ideologieprojekte gehört.
Die „Bedauerlichen“ als dekorativer Hintergrund
Als dekorativen Hintergrund läßt der Linke die „Bedauerlichen“ gerne gelten. Das Buch habe ihm geholfen, „mein eigenes Verständnis für das zu schärfen, was für eine moderne, fortschrittliche, ich würde sagen sozialdemokratische Politik im 21. Jahrhundert wichtig ist“, bekannte Bundeskanzler Olaf Scholz. Aber bitte auch wirklich nur als Dekoration. „Tragisch“ nannte Scholz Vance‘ Weg in die Politik, wo er von einem Gegner zu einem Unterstützer und nun Weggefährten Trumps wurde. Daß er das nur wurde, weil Trump als einziger zuhören wollte, auf diese Idee kommt Scholz natürlich nicht.
Überhaupt fällt Linken außer übergehen, verschweigen, verbieten oder eben Bücher aus der Auslage nehmen nicht viel an politischen Ideen ein. Noch ist die linke Hegemonie ungebrochen. Noch kann die erste Präsidentschaft Trumps als ein Betriebsunfall abgetan werden. Noch ist Ullstein weiterhin einer der größten Verlage. Doch ist das wirklich ein Erfolgsrezept für die Zukunft? Oder gilt eher jene Lebensweisheit, die Vance‘ neuer Kamerad im Kampf ums Weiße Haus äußerte. „Every woke turns into shit.“