Anzeige
Anzeige

Wirtschaftskrise in den europäischen Ländern: Die Zukunft der EU: Auf den Kern besinnen

Wirtschaftskrise in den europäischen Ländern: Die Zukunft der EU: Auf den Kern besinnen

Wirtschaftskrise in den europäischen Ländern: Die Zukunft der EU: Auf den Kern besinnen

EU und Deutschland
EU und Deutschland
Die deutsche Nationalflagge und die Flagge der Europäischen Union (EU): Wird es neue Schulden geben? Foto: picture alliance/ Andreas Gora
Wirtschaftskrise in den europäischen Ländern
 

Die Zukunft der EU: Auf den Kern besinnen

Die neuerdings zu vernehmende Vorstellung, das Kraftzentrum der EU werde sich nach Osten verlagern, bleibt ein Hirngespinst. Deutschland und Frankreich zusammen stehen noch immer für gut 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aller 27 Mitgliedsstaaten. Scheitert also Deutschland, scheitert auch Europa. Ein Kommentar von Bruno Bandulet.
Anzeige

Wird Deutschland wieder einmal wie schon vor zwei Jahrzehnten zum kranken Mann Europas? Wenn der Winter kalt wird und das Gas ausgeht, befürchten die vier großen Wirtschaftsforschungsinstitute hierzulande die längste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. 2023 könne die Wirtschaftsleistung um 7,9 Prozent und 2024 um 4,2 Prozent schrumpfen. Die Deutsche Bank sieht bereits den Beginn der Deindustrialisierung Deutschlands.

Fest steht jetzt schon, daß 2022 mehr geplante Investitionen gestrichen werden als während der Finanzkrise 2008/09 oder im Corona-Jahr 2020. Mittelständische Betriebe, die die horrend gestiegenen Kosten an ihre Kunden nicht weitergeben können, rutschen in die Insolvenz.

Schlußendlich wird die OECD mit ihrer dramatischen Prognose recht behalten, laut der die Bundesrepublik im nächsten Jahr das wirtschaftliche Schlußlicht unter allen großen Industrieländern sein wird. Und in solch einer Situation fällt dem Wirtschaftsminister nichts Besseres ein als zu verkünden, wir würden alle ärmer werden. Dafür ist er nicht im Amt, dafür wurde er ganz sicher nicht gewählt.

Wie sinnlos waren Sanktionen?

Verantwortlich für die Lage sind Weichenstellungen, die lange zurückreichen. Die Saat der hartnäckigsten Inflation seit hundert Jahren wurde von der Europäischen Zentralbank gelegt. Sie flutete die Eurozone mit Geld wie in Kriegszeiten und reagierte erst in diesem Jahr – zu spät; die Inflation galoppierte schon. Die gescheiterte Energiewende der Regierung Merkel basierte auf der Idee, auf Atom und Kohle verzichten zu können, indem die Lücke durch preiswertes russisches Erdgas geschlossen würde – schließlich hatten die Russen auch zur Zeit des Kalten Krieges immer zuverlässig geliefert.

Mit dem Sanktionskrieg fiel die Prämisse weg. Im vergangenen Sommer mußten die deutschen Gasspeicher zu Preisen aufgefüllt werden, die die frühere Gazprom-Rechnung um das Zehnfache überstiegen. Für den Schaden, der erst noch sichtbar werden wird, gibt es kein besseres Beispiel als die riesige Anlage der BASF in Ludwigshafen: Sie verbraucht mehr Gas als die gesamte Schweiz.

Da ist die Frage legitim, ob Berlin und die EU nicht besser beraten gewesen wären, die bedrängte Ukraine zwar finanziell und humanitär zu unterstützen, gleichzeitig aber russische Rohstoffe von den Sanktionen auszunehmen. Auf Moskaus Fähigkeit, den Krieg fortzusetzen, hatten und haben die Sanktionen keinen Einfluß. Es gibt keine Pflicht zum ökonomischen Selbstmord. Übrigens wüßten wir immer noch gerne, wer denn nun die Nord-Stream-Pipelines gesprengt hat.

Kraftzentrum der EU im Osten? Ein Hirngespinst

Wenn aber Deutschland abstürzt, was heißt das für die Europäische Union? Brüssel folgt den Vorgaben aus Washington, eine europäische Antwort auf den Krieg bleibt aus. Die neuerdings zu vernehmende Vorstellung, das Kraftzentrum der EU werde sich nach Osten verlagern, womit nicht zuletzt Polen gemeint ist, bleibt ein Hirngespinst. Mit der deutschen Wirtschaft wird auch die ganz Europas einbrechen.

Deutschland und Frankreich zusammen stehen für gut 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aller 27 EU-Staaten, die vier Visegrad-Länder für knapp 7,5 Prozent. Niemand kann den deutschen Motor ersetzen, erst recht nicht die enormen, schon wieder steigenden deutschen Beiträge zur Brüsseler Umverteilungsmaschine.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war die europäische Integration ein Segen für den geschundenen Kontinent, jetzt droht sie auszuufern. Olaf Scholz phantasiert von einer EU der 36 Mitglieder – wer das Scheckbuch für die neuen Kostgänger zücken darf, kann sich jeder ausmalen. Wolfgang Schäuble träumt von einem deutsch-französisch-polnischen Trio, das „Führungsverantwortung“ übernehmen und den Kern einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft bilden müsse – mit einem Polen, das als Speerspitze der amerikanischen Rußlandpolitik fungiert und einem Frankreich, das Wege aus der amerikanischen Hegemonie sucht. Das europäische Bündnis der Nationen verträgt und akzeptiert keine Führungsmacht, keine deutsche und auch kein Trio.

Druck auf Berlin nimmt durch Meloni zu

Zentral wird trotz vieler Differenzen die deutsch-französische Partnerschaft bleiben. Die Franzosen haben recht, wenn sie den Aufbau einer europäischen Rüstungsindustrie fordern und wegen der geplanten Bestellung von 35 amerikanischen Tarnkappenjets durch Berlin irritiert sind. Die F-35 sind berüchtigt wegen ihrer Qualitätsmängel. Sie würden die Luftwaffe 8,4 Milliarden Dollar kosten, dazu schätzungsweise das Dreifache für Betrieb und Instandhaltung. Damit wäre ein zu großer Teil des 100-Milliarden-Pakets für die Bundeswehr schon einmal verbrannt.

Mit der neuen italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni droht weiterer Ärger: Die Bundesregierung muß hart bleiben, wenn Paris unisono mit Rom auf neuen Gemeinschaftsschulden besteht, diesmal zur Bewältigung der Energiekrise. Dabei konnte bisher nur ein kleiner Teil des Wiederaufbaufonds in Höhe von offiziell 750 Milliarden Euro ausgegeben werden.

Kaum bekannt ist zudem, daß sich die EU für diese Corona-Bonds vorsorglich eine Kreditlinie von 4.000 Milliarden eingeräumt hat. Es bleibt offen, wieviel von den Krediten am deutschen Steuerzahler hängenbleiben, falls die Partner nicht zurückzahlen können oder wollen. Der Appell an die europäische Solidarität ist also durchsichtig.

Neue Schuldenunion

Es geht in Wirklichkeit darum, den klammen Staaten der Eurozone neue Schulden zu ermöglichen, die sie in eigener Regie zu erträglichen Zinsen nicht aufnehmen können. Und sie erhöhen nicht einmal den jeweiligen nationalen Schuldenstand, weil sie der EU insgesamt zugerechnet werden: Genuß ohne Reue.

Daß nun das deutsch-französische Ministertreffen verschoben werden mußte, ist kein gutes Omen. Wenn die französisch-italienische Achse den Regierungswechsel in Rom überdauert, wird der Druck auf Berlin zunehmen. Andererseits müssen sich alle, nicht zuletzt die Kommission in Brüssel, auf eine unbequeme, selbstbewußte Regierung Meloni gefaßt machen. Sie sagt der kulturellen Dekadenz den Kampf an, und sie stärkt das Lager derer, die für die Souveränität der Nationen einstehen.

Otto von Bismarck sagte einmal, in Sympathien und Antipathien gegenüber auswärtigen Mächten und Personen liege der „Embryo der Untreue gegen das Land, dem man dient“. Kühle Distanz gegenüber Zumutungen und Ansprüchen von außen stünde der Bundesregierung gut an, nicht ein „dienendes Verständnis“ gegenüber Europa, wie es im Koalitionsvertrag heißt. Die Regierung hat dem eigenen Volk zu dienen, niemandem sonst. Wehe, wenn sie dabei versagt, den Frieden der Heimat und die Integrität einer immer noch leistungsfähigen Volkswirtschaft zu sichern. Scheitert Deutschland, dann scheitert Europa.

JF 44/22

Die deutsche Nationalflagge und die Flagge der Europäischen Union (EU): Wird es neue Schulden geben? Foto: picture alliance/ Andreas Gora
Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag