Den einzigen Vorteil der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar hatten viele in der Hoffnung gesehen, es würde ausnahmsweise einmal um den Sport und nicht um Diversitäts-Bekenntnisse gehen. „Think Again!“, würde der Amerikaner jetzt sagen. Tatsächlich ist das Sportereignis nun so sehr politisiert, wie wohl kein anderes je zuvor. Zumindest in der Bundesrepublik, wo Schwarz-Rot-Gold schon lange nicht mehr bunt genug ist, drehte sich die öffentliche Meinung im Vorfeld des ersten Gruppenspiels der eigenen Nationalmannschaft nahezu ausschließlich um ein Thema: Werden die zu Helden der Vielfalt hochstilisierten Spieler des DFB-Teams in ihrer Auftaktparty gegen Japan die „One Love“-Binde tragen, um damit offen zu zeigen, wie sehr sie sich dem Gastgeberland moralisch und kulturell überlegen fühlen?
Die Fifa hatte – sehr zum Ärger der westlich-„liberalen“ Werte-Imperialisten – vor dem Spiel noch einmal ganz klar auf ihr Prinzip der politischen Neutralität hingewiesen und somit den deutschen Tugend-Protzern eine klare Absage erteilt. Für den Fall der Nichteinhaltung dieser allgemein gültigen Regel hatte der Fußball-Weltverband dem DFB-Team mit massiven sportlichen Sanktionen gedroht. In Deutschland, wo man Sanktionen sonst eigentlich immer gut findet, stieß diese Drohung auf größtmögliches Unverständnis. Ganz nach dem Motto: Wir sagen „Ja“ zur Gleichheit, solange wir selbst immer noch ein bißchen gleicher sein dürfen.
Der DFB kündigte deshalb an, rechtliche Schritte gegen das Vorgehen der Fifa einzulegen. Konkret sollte die Möglichkeit eines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz bei der Ad-Hoc-Division des CAS geprüft werden. Diese wurde eingerichtet, um innerhalb von 48 Stunden über Beschwerden einzelner Landesverbände zu entscheiden. Das Gruppenspiel gegen Japan fand allerdings bereits vor Ablauf dieser Frist statt. Die deutsche Mannschaft stand somit vor einer echten Gewissensentscheidung: Sollte Torhüter Manuel Neuer die Kapitänsbinde „für Diversität und Menschenrechte“ tragen, auch wenn die daraus resultierenden Konsequenzen sie am Ende einen potentiellen Titelgewinn kosten könnten?
Habeck rät zur „One Love“-Binde bei der Weltmeisterschaft
Die Bundesregierung macht jedenfalls klar, was sie von dem sportlichen Truppeneinsatz in Katar erwartete. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) riet dem Team, die „One Love“-Binde trotz möglicher Sanktionen zu tragen. Daß er bei seinem Energie-Bettel-Besuch im März ganz ungebunden vor den Scheichs des Landes den Bückling machte, dürfte dann vermutlich allein auf die Schusseligkeit des Grünen zurückzuführen sein. Einem Wirtschaftsminister, dem in einem Fernsehinterview schon einmal entfällt, was eine Insolvenz ist, könnte man es zumindest durchaus zutrauen, vor der Dienstreise in eine islamistische Autokratie schlicht vergessen zu haben, die ideologische Armbinde einzupacken.
Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zeigte aus der Ferne Haltung gegenüber dem Fußballweltverband und Katar. „Die ‘One Love’-Binde zu verbieten, ist ein Riesenfehler der Fifa. Jedem Fan zerreißt es das Herz, wie die Fifa auch diesen Konflikt auf dem Rücken der Spieler austrägt“, sagte die SPD-Politikerin gegenüber der Bild-Zeitung. „Es ist ein Armutszeugnis, daß der Weltverband Spieler mit Drohungen daran hindert, für Toleranz einzutreten. Es muß möglich sein, Vielfalt offen zu zeigen. Und es ist mehr als bedauerlich, daß die europäischen Verbände sich dem nicht gemeinsam widersetzt haben. Das wäre ein wichtiges Zeichen gewesen. Gerade jetzt kommt es auf Haltung an – von allen, gerade auch von den Verbänden!“
DFB-Team stellt Gratismut unter Beweis
Statt die „One Love“-Binde zu tragen, entschied sich die Nationalelf schließlich, beim Gruppenfoto vor dem Spiel kollektiv und theatralisch die Hand vor den Mund zu halten. Das sollte so viel heißen wie: Wir würden gerne Kritik äußern, aber wir dürfen nicht – und trauen uns auch nicht. Nach der blamablen Niederlage gegen Japan hat das Bild natürlich noch einmal eine ganz andere Symbolik entwickelt.
Es war übrigens nicht das erste Mal, daß Fußballer die größte Bühne, die der Weltfußball zu bieten hat, gegen alle Regeln für eine politische Botschaft nutzen wollten. 2018 sorgten die albanischstämmigen Schweizer Nationalspieler Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri für Aufregung. Sie hatten bei einer Partie gegen Serbien nach dem Siegtreffer die Hände zu einem Doppel-Adler geformt, der auf der Flagge Albaniens abgebildet ist. Ein klarer Affront gegenüber ihren serbischen Gegnern.
Es ist nur eines von vielen Beispielen, das zeigt: Politische Botschaften bei internationalen sportlichen Großereignissen sind immer ein zweischneidiges Schwert. Auch, wenn es sich viele Werte-Universalisten hierzulande offenbar kaum noch vorstellen können, werden ihre Vorstellungen davon, was richtig oder falsch ist, eben nicht von der gesamten Weltbevölkerung geteilt.