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Demographie: Sind die Rentner schuld an der Inflation?

Demographie: Sind die Rentner schuld an der Inflation?

Demographie: Sind die Rentner schuld an der Inflation?

Fröhlicher Rentner: Das jetzige Rentensystem ist demographisch nicht zu halten und belastet die Jungen Foto: picture alliance / Zoonar | Alexandra Troyan
Fröhlicher Rentner: Das jetzige Rentensystem ist demographisch nicht zu halten und belastet die Jungen Foto: picture alliance / Zoonar | Alexandra Troyan
Fröhlicher Rentner: Das jetzige Rentensystem ist demographisch nicht zu halten und belastet die Jungen Foto: picture alliance / Zoonar | Alexandra Troyan
Demographie
 

Sind die Rentner schuld an der Inflation?

Ganz Deutschland diskutiert über die Rente ab 70. Angesichts der demographischen Entwicklung ist allerdings klar: so kann es nicht weitergehen. Während Einwanderung das Problem nicht lösen wird, kann ein flexibles Renteneintrittsalter sehr wohl einen Beitrag leisten. Ein Debattenbeitrag von Ulrich van Suntum.
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Drei von der Bild-Zeitung befragte Top-Ökonomen haben sich dafür ausgesprochen, das reguläre Renteneintrittsalter auf 70 Jahre hochzusetzen. Damit könne auch die Inflation bekämpft werden, sagte Stefan Kooths, Vize-Chef des renommierten Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Denn ansonsten würden aufgrund des Arbeitskräftemangels die Löhne und damit letztlich auch die Preise immer weiter steigen.  Es soll sogar das böse Wort von einer „Rentner-Inflation“ gefallen sein.

Die Empörung ist entsprechend groß. Der Vorschlag sei nichts anderes als eine verkappte Rentenkürzung, so die Gewerkschaften und die Sozialverbände. Und den Rentnern jetzt auch noch die Verantwortung für die Geldentwertung in die Schuhe zu schieben, sei eine Unverschämtheit. Auch bei Twitter & Co. ist das Urteil einhellig vernichtend. Die Politik beeilte sich denn auch zu versichern, dieser Vorschlag „aus dem Elfenbeinturm“ komme gar nicht in die Tüte.

Dabei ist er alles andere als neu. Schon seit vielen Jahren mahnt die Wissenschaft, daß es mit dem umlagefinanzierten Rentensystem so nicht weitergehen kann. Der renommierte Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen (Uni Freiburg) pflichtet denn auch seinem Kieler Kollegen bei: Die teuren Rentenreformen der Vergangenheit seien durch die künftigen Beitragseinnahmen nicht gedeckt, sondern würden mit Schulden finanziert. Und auch der Leipziger Ökonomieprofessor Gunther Schnabl unterstützte den Vorschlag von Kooths. Man könne den Fachkräftemangel nicht beheben, wenn man die Leute immer früher in den Ruhestand schicke, das Gegenteil sei vielmehr nötig.

Rentenkosten steigen schneller als Bruttoinlandsprodukt

Die demographische Entwicklung ist in der Tat beängstigend: Bereits 2020 kamen rund 40 über 65jährige auf 100 Menschen im erwerbsfähigen Alter. Im Jahr 2030 werden es bereits 55 Ältere sein, deren Renten von immer weniger Erwerbstätigen finanziert werden müssen, und bis 2050 wird dieser sogenannte Alterslastquotient gar auf rund 75 Prozent steigen. Allein im Jahr 2019 nahm die Zahl der Rentner laut Statistischem Bundesamt um 86.000 Personen zu. Die entsprechenden Mehrkosten einschließlich privater und betrieblicher Renten stiegen um 5,2 Prozent und damit weit stärker als das Bruttoinlandsprodukt.  So kann es auf Dauer nicht weitergehen. Sonst würden die immer stärker zur Kasse gebetenen Jüngeren eines Tages den Generationenvertrag womöglich ganz aufkündigen. Schließlich haben sie ihn nie eigenhändig unterschrieben.

Schuld ist letztlich die viel zu geringe Geburtenrate seit dem Pillenknick in den 60er Jahren. Wo gestern zu wenige Kinder waren, gibt es heute eben zu wenig Arbeitskräfte. Daran kann man auch durch noch so großzügige Familienleistungen inzwischen nichts mehr ändern. Nicht nur, daß die Kinder ja erst einmal erwachsen werden müssen. Es gibt auch bereits viel zu wenige Mütter, als daß man auf diese Weise noch etwas retten könnte.

Einwanderung keine Lösung

Auch noch mehr Einwanderer würden kaum etwas helfen. Sie sind zwar in aller Regel deutlich jünger als die deutsche Bevölkerung. Aber selbst wenn Hunderttausende jährlich kämen, bliebe der Effekt auf den Alterslastquotienten vergleichsweise gering. Er würde vielmehr auch dann gegenüber heute noch deutlich bis auf etwa 60 Prozent weiter steigen, wie Simulationsrechnungen von Raffelhüschen und anderen zeigen. Außerdem nützen die Zugewanderten den sozialen Sicherungssystemen ja nur dann etwas, wenn sie erfolgreich in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft integriert werden können. Das ist aber in allzu vielen Fällen bisher eben nicht gelungen. So kosten die Migranten empirischen Untersuchungen zufolge im Durchschnitt derzeit mehr, als sie an Steuern und Beiträgen beisteuern.

Es bleibt also letztlich nur die Stellschraube des Renteneintrittsalters, will man das System vor dem Kollaps retten. Dabei bedeutet „Rente mit 70“ aber keineswegs, daß künftig jeder bis zu diesem Alter arbeiten muß. Ein früherer Rentenbezug soll nach den vorliegenden Modellen im Gegenteil weiterhin möglich sein, und so wird auf diese Weise sogar mehr Flexibilität für den Einzelnen geschaffen. Heute wird man ja spätestens mit 66 Jahren vor die Türe gesetzt, ob man will oder nicht. Künftig soll man dagegen je nach Art des Jobs, Gesundheit und eigener privater oder betrieblicher Altersvorsorge in größerem Rahmen selbst entscheiden können, wann Schluß sein soll mit dem Arbeitsleben. Natürlich bekommt dann um so weniger Rente, wer früher geht. Das ist praktisch überall auf der Welt so und erscheint ja auch vernünftig und fair.

Jammern auf hohem Niveau

Der Knackpunkt ist natürlich, wie hoch die Regelrente dann noch ist. Wenn das Ganze etwas bringen soll für die Finanzierbarkeit des Systems, kann sie offensichtlich bei gleichem Renteneintrittsalter nicht genauso hoch sein wie bisher. Dabei von „Rentenkürzung“ zu sprechen, ist trotzdem irreführend. Denn die absoluten Renten in Euro gerechnet steigen ja jährlich an, entsprechendes Wirtschaftswachstum vorausgesetzt. Nur das Niveau relativ zu den Löhnen kann künftig nicht mehr das gleiche sein wie bisher. Das folgt eigentlich schon zwingend aus dem steigenden Alterslastquotienten. Dabei ist aber zu bedenken, daß es noch niemals einer Rentnergeneration bessergegangen ist als heute, von den Verhältnissen in anderen Ländern ganz zu schweigen. Wir jammern also gewissermaßen auf hohem Niveau.

Mit der Inflationsentwicklung hat das alles allerdings wenig zu tun. Denn Arbeitskräftemangel mag zwar die Reallöhne nach oben treiben. Aber das kann durchaus mit stabilen oder sogar sinkenden Güterpreisen einhergehen. Denn für die Entwicklung der Preise ist letztlich allein die Geldpolitik verantwortlich. Wenn zum Beispiel die in Euro gezahlten Löhne um vier Prozent steigen, aber die Güterpreise nur um ein Prozent, dann nimmt ja bereits der Reallohn um drei Prozent zu. Die im Jahr 2020 von den Ökonomen Charles Goodhart  und Manoj Pradhan in die Welt gesetzte These, schon aus demographischen Gründen müsse die Inflationsrate zunehmen, ist also falsch.

Es gibt deshalb zwar gute Gründe für ein im Durchschnitt höheres und zugleich flexibleres Renteneintrittsalter. Die Inflationsgefahr gehört aber nicht dazu. Sie hat ganz andere Ursachen, für die vor allem die viel zu hohen Staatsschulden im Euroraum und eine falsche Politik der EZB ursächlich sind. Man sollte ihnen nicht erlauben, sich mit Verweis auf die demographische Entwicklung dafür aus der Verantwortung zu stehlen.


Prof. Dr. Ulrich van Suntum ist Volkswirt, lehrte von 1995 bis 2020 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und war Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (der sogenannten Wirtschaftsweisen).

Fröhlicher Rentner: Das jetzige Rentensystem ist demographisch nicht zu halten und belastet die Jungen Foto: picture alliance / Zoonar | Alexandra Troyan
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