Irgendwo in der umkämpften Oblast Luhansk identifiziert ein ukrainischer T-64BV-Kampfpanzer einen russischen T72B-Kampfpanzer. Inmitten der Ruinenlandschaft einer zerstörten Ortschaft blitzt das Profil des russischen Panzers auf und hebt sich gegen den grauen Hintergrund ab. Der zielsichere Schuß des ukrainischen Fahrzeugs zerstört seinen russischen Kontrahenten augenblicklich. In einem Feuerball verglühen Mannschaft und Metall gleichermaßen. Die angeblich der Vergangenheit angehörenden Panzerduelle erleben im Ukrainekrieg ihre Rückkehr auf das Schlachtfeld, wie man es jüngst nur aus Kriegsfilmen kannte.
#Ukraine: Rare footage of tank-on-tank combat from Novoselivske, #Luhansk Oblast: A Ukrainian T-64BV of the 92nd Mechanized Brigade destroyed a Russian T-72B-series tank with a single shot. pic.twitter.com/PUjJxe9HyR
— 🇺🇦 Ukraine Weapons Tracker (@UAWeapons) December 11, 2022
Ebenso erstaunlich ist, daß einige russische Kommandeure ihren, zumeist aus Reservisten und Mobilisierten bestehenden, Bataillonskampfgruppen frontale Sturmangriffe auf vorbereitete Maschinengewehr-Nester und Grabenstellungen der Ukrainer befehlen. Ganz so, als hätten sie die Erfahrungen des Ersten und Zweiten Weltkriegs nicht gemacht. Während die Ukrainer nur noch wenige Kilometer vor der Großstadt Donetzk stehen, berichten sie von nahezu selbstmörderischen Frontalangriffen russischer Mobilisierter, die teils ohne Unterstützung von Fahrzeugen über die größtenteils offenen Felder gegen vorbereitete ukrainische Positionen anrennen. Augenscheinlich erachten nicht wenige russische Kommandeure ihre Untergebenen als nicht mehr als Verbrauchsmaterial, das nach Bedarf verschlissen werden kann.
Der #Ukraine-Soldat Viktor Borinets teilte diese Bilder aus dem schlammigen Schützengraben vor der umkämpften Stadt #bachmut. #Krieg #PutinsWar pic.twitter.com/lN95f3wNHo
— JeanMarieBriant (@JeanMarieBrian1) December 13, 2022
Auch ukrainische Gegenangriffe sind verlustreich
Auf der anderen Seite scheinen die ukrainischen Gegenstöße mehrheitlich erfolglos und verlustreich zu verlaufen. In den heftig umkämpften Gebieten rund um Bachmut und Swatowe erzielen die russischen Streitkräfte Berichten beider Seiten zufolge kleine Geländegewinne und rücken im Falle Bachmuts nun bestätigt in die Außenbezirke der Stadt ein. Nachdem die russische Propaganda die Stadt in den vorherigen Monaten bereits mehrfach für quasi erobert erklärt hatte, scheint es jetzt, daß Moskaus Militärs einen erheblichen Teil ihrer Kräfte dort konzentrieren, um eine Entscheidung herbeizuführen.
Hinzu kommt, daß die Wagner-Gruppe hier seit gut drei Monaten einen blutigen Privatfeldzug führt, um zu beweisen, daß sie diese schwer befestigte und gut verteidigte Stadt einnehmen kann. Der nahezu entvölkerte Ort am Ufer des Flusses Bachmutka hat nach Bewertung vieler Militärs keinen großen strategischen Wert. Der Krieg diktiert hier jedoch eigene Regeln. Für die Ukrainer wäre es ein moralischer Schlag, wenn sie nach Monaten des Aushaltens Bachmut aufgeben müßten. Und für die Russen ist die Einnahme Bachmuts zwingend erforderlich, weil man ihre Eroberung bereits mehrfach angekündigt und verkündet hat.
Tief gestaffelte Verteidigungslinien
Wie viele tote Soldaten zwischen den Kontaktlinien auf den pockennarbigen Feldern liegen, weiß vermutlich keiner. Bilder legen nahe, daß in den von Regen, Schnee und Wind aufgeweichten Böden nicht nur Panzer, sondern auch Menschenkörper schnell versinken. Auch die Ukrainer sind, um ihre teils knietief unter Wasser stehenden Grabenstellungen nicht zu beneiden, die rund um Bachmut unentwegt von russischer Artillerie beschossen werden. Die Erzählung vom modernen, sauberen Krieg erweist sich als Mythos. Der erste große Krieg des 21. Jahrhunderts in Europa ähnelt seinen Vorgängern in mancher Hinsicht.
Dabei gehen die russischen Befehlshaber stets nach Schema F vor. Einem vorbereitenden Artilleriebombardement folgt der Angriff durch teils motorisierte Infanterie auf ukrainische Stellungen. Die Geländegewinne werden in Metern pro Tag gezählt. Die grausigen Bilder von diesem Frontabschnitt legen nahe, daß viele Gefallene davon einfach auf den zerschossenen Feldern liegen gelassen werden. Sichelförmig verläuft die Front im Nordosten der Ukraine bis hinunter in den Süden, wo die Russen sich Mitte November über den Dnjepr zurückzogen und mittlerweile tief gestaffelte Verteidigungsstellungen in den ihnen verbliebenen Teilen der Oblast Cherson errichtet haben.
Munitionsmangel dämpft Hoffnungen der Ukraine
Derweil mehren sich die Nachrichten, daß die Reserven an Artilleriemunition in westlichen Staaten, die zuvor bereits ihre Depots für die Ukraine geöffnet haben, zur Neige gehen. Die USA haben bereits Schritte in die Wege geleitet, um die Produktion von Munition für HIMARS und M777 anzukurbeln. Jedoch rechnet man nicht damit, daß vor 2025 eine deutliche Steigerung der momentanen Raten zu erreichen ist. Über Jahrzehnte wurden die Arsenale der Nato-Staaten in Grund und Boden gespart. Produktionsstraßen der Industrie können nicht auf Knopfdruck wieder angeworfen werden. Und in Deutschland hat es die Bundesregierung bisher versäumt, die Auftragsbücher der Munitionsfabrikanten zu füllen. Eine Order, die eigentlich schon am Tag Eins des Ukrainekrieges hätte erfolgen können. Stattdessen stehen die Europäer staunend vor ihren sich leerenden Depots und verstehen nur langsam, daß sie auf einen konventionellen Krieg denkbar schlecht vorbereitet wären.
Der Munitionsmangel dämpft realistischerweise die Hoffnungen der Ukraine, hier eine schnelle Entscheidung herbeiführen zu können. Der momentane Verbrauch im Ukrainekrieg übertrifft die Erwartungen bei westlichen Militärs. Auch wenn die russische Armee kein gutes Bild abgibt, muß man konstatieren, daß ihre Depots offensichtlich noch gut gefüllt sind und ihre Eisenbahntruppen sicherstellen, daß die so wichtigen Versorgungszüge fahren – egal bei welchem Wetter.