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Ukraine-Konflikt: Es geht um Geopolitik

Ukraine-Konflikt: Es geht um Geopolitik

Ukraine-Konflikt: Es geht um Geopolitik

Ukraine Baerbock Selensky
Ukraine Baerbock Selensky
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selensky Foto: picture alliance / photothek | Janine Schmitz
Ukraine-Konflikt
 

Es geht um Geopolitik

In der Ukraine nichts Neues, nur die Eskalationsschraube hat sich weitergedreht. Es ist ja nachvollziehbar, daß die Ukrainer heute mehrheitlich für den Westen optieren. Doch geht es in dem aktuellen Ost-West-Konflikt zwischen Rußland und der Nato weder um Caritas noch um den Kampf zwischen Gut und Böse. Ein Kommentar.
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In der Ukraine nichts Neues, nur die Eskalationsschraube hat sich weitergedreht. Es ist ja nachvollziehbar, daß die Ukrainer heute mehrheitlich für den Westen optieren. Sie erhoffen sich Wohlstand, Freizügigkeit, Rechtssicherheit. Rußland kann ihnen nichts davon bieten.

Doch geht es in dem aktuellen Ost-West-Konflikt zwischen Rußland und der Nato weder um Caritas noch um den Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Moral und Unmoral, sondern zuerst und vor allem um Macht- und Geopolitik. Schon in der „Orangen“ bzw. Maidan-Revolution hatten äußere Kräfte und Financiers ihre Hände im Spiel. Unvergessen ist das öffentlich gewordene Telefonat, das Victoria Nuland, damals Staatssekretärin im US-Außenministerium für Europa und Eurasien, 2013 mit dem amerikanischen Botschafter in Kiew führte.

Seit 1991, dem Jahr der Unabhängigkeit, hätten die USA über fünf Milliarden Dollar in die Transformation der Ukraine investiert. Nuland fügte noch ein „Fuck the EU“ hinzu. Unter Präsident Biden wurde sie zur Staatssekretärin im Außenministerium für politische Angelegenheiten ernannt und nimmt jetzt im US-Außenministerium den dritten Rang nach dem Außenminister und seinem Vize ein.

Eskalation nach Plan

Die aktuelle Eskalation ist die zwangsläufige Konsequenz eines strategischen Plans, den die USA seit langem verfolgen und den man nachlesen kann in Zbigniew Brzezinskis 1997 erschienenen Buch „Die einzige Weltmacht“ (Originaltitel: „The Grand Chessboard. American Primary and Its Geostrategic Imperatives“). Der 2017 verstorbene politische Meisterdenker analysierte kühl die Situation Rußlands nach dem Zerfall der Sowjetunion, dem einstigen weltpolitischen Gegenspieler.

Zum einen habe es mit dem Verlust der baltischen Staaten weitgehend den Zugang zur Ostsee verloren, der nun von den Winterfrösten abhänge. Für Rußland „am beunruhigendsten“ aber sei der Verlust der Ukraine, der ihm ein enormes industrielles und agrarisches Potential sowie 52 Millionen Menschen entzogen habe, die den Russen ethnisch und religiös nahestünden. Dadurch sei aus einen großen und selbstsicheren ein verunsicherter Staat geworden.

„Die Unabhängigkeit der Ukraine beraubte Rußland auch seiner beherrschenden Position am Schwarzen Meer, wo Odessa das unersetzliche Tor für den Handel mit dem Mittelmeerraum und der Welt jenseits davon war.“ Sein Zugang beschränke sich nun auf einen schmalen Küstenstreifen. Brzezinskis erwähnte weiterhin den Streit um Stützpunktrechte auf der Krim für die restliche russische Schwarzmeerflotte und die „offenkundige Verärgerung“ Moskaus über die gemeinsamen See- und Landemanöver der ukrainischen Streitkräfte mit der Nato.

Auch sei der Einfluß der Türkei im Schwarzen Meer gewachsen. Alles in allem habe Rußland einen „zentralen Verlust“ erlitten, der seine geostrategischen Optionen drastisch beschnitten habe. Zudem drohten Konflikte mit den angrenzenden islamischen Republiken. Deren demographisches Potential wachse ständig, Rußlands Geburtenrate hingegen sei negativ.

Der russische Bär in der Höhle

Fazit: Einst Zentrum eines geopolitischen und ideologischen Imperiums, sei Rußland „zu einem unruhigen Nationalstaat geworden, der geographisch gesehen keinen leichten Zugang zur Außenwelt hat und der an seine westlichen, südlichen und östlichen Flanke kräftezehrenden Konflikten mit seinen Nachbar ausgesetzt ist. Nur die unbewohnbaren und unzugänglichen nördlichen Permafrostgebiete scheinen geopolitisch noch sicher.“ Brzezinski beschreibt Rußland als einen Bären, der zurück in seine Höhle gejagt wurde.

Darüber hinaus machte er eine klare Ansage: Die Ukraine gehöre in die Nato und in die EU! Das würde Rußland weiter unter Druck setzen, denn die Ukraine könne ohne Rußland zu Europa gehören, aber Rußland nicht ohne die Ukraine, weshalb Moskau, wenn es Teil Europas sein wolle, den Nato- und EU-Beitritt Kiews geradezu herbeiwünschen müsse.

Was wie ein freundliches Angebot klingt, ist in der Substanz ein strategisches Ultimatum: Sollte sich die Ukraine nämlich an Europa binden, stünde Rußland vor der Alternative, sich entweder ebenfalls in die westliche Struktur einzufügen oder aber „ein eurasischer Außenseiter (zu werden), der im Grunde weder zu Europa noch zu Asien gehört und aus seinen Konflikten mit dem nahen Ausland nicht mehr herausfindet“.

Europa als „Sprungbrett“ Amerikas

Doch was heißt in dem Zusammenhang überhaupt „Europa“? Brzezinski nennt den Alten Kontinent an anderer Stelle einen „Brückenkopf“ und ein „brauchbares Sprungbrett“ für die USA. Perspektivisch faßte er eine Art transatlantisch-eurasisches Imperium in Auge, in dem Washington klarerweise den Ton angibt. Im Druck optisch hervorgehoben erscheint der Satz: „Dies erfordert ein energisches, konzentriertes und entschlossenes Einwirken Amerikas besonders auf die Deutschen (…)“. Den Subtext bildet die Befürchtung, die USA könnten die Kontrolle über die deutsch-russischen Beziehungen verlieren. Ihr Widerstand gegen die Gaspipeline Nordstram 2 hat neben dem wirtschaftlichen politisch-strategische Gründe.

Was Brzezinski wußte und anstrebte, weiß natürlich auch Putin. Und natürlich gehen Putins Bestrebungen in die entgegengesetzte Richtung. Er ist gewillt, Rußland als eigenständig handelnde, souveräne Macht zu erhalten. Die Besetzung der Krim, die der Westen als russische Aggression brandmarkt, war aus seiner Sicht eine geopolitische Notbremsung.

Die Europäer müssen sich die Frage stellen, ob es klug und in ihrem Interesse ist, Rußlands „kräftezehrenden Konflikten mit seinen Nachbar“ anzuheizen und es vor die Alternative zu stellen, entweder seine strategische Kapitulation zu erklären oder im Chaos zu versinken – oder zum Vorfeld des rasant erstarkenden Chinas zu degenerieren. In Deutschland sollte man sich die Folgen vergegenwärtigen, welche die von den USA vom Zaun gebrochenen Kriege im Nahen und Mittleren Osten hatten.

Die 18 Milliarden D-Mark, die es zur Finanzierung des ersten Irak-Kriegs 1991 beisteuerte, waren noch vergleichsweise läppisch. Als Ergebnis der weiteren US-Interventionen haben wir heute die größte syrische und afghanische Diaspora im Land, obwohl wir weder in Afghanistan noch in Syrien irgendwelche geschichtlich begründete, wirtschaftliche oder unmittelbare strategische Interessen haben.

Unsere zuständigen Ministerinnen Annalena Baerbock (Äußeres) und Christine Lambrecht (Verteidigung) geben sich zweifellos energisch, konzentriert und entschlossen. Fragt sich nur, in wessen Namen und Interesse.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selensky Foto: picture alliance / photothek | Janine Schmitz
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