Aus irgendwelchen Gründen zählt der Marxist Slavoj Žižek zu den Meisterdenkern der Gegenwart. Was ihm nicht nur internationales Renommée und alle möglichen akademischen Ehrungen, sondern auch eine Kolumne in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und in der Welt ein regelmäßiges Forum verschafft hat. Letzteres nutzt er aktuell, um seinen Vorschlag zur Rettung des Globus zu entwickeln.
Notwendig sei der angesichts des „Hitzedoms“ über Nordamerika, der Überflutungen in Westdeutschland und der Millionen von Klimaflüchtlingen, die ihre Heimat verlassen müßten. Der Kollaps unserer Gesellschaften stehe bevor und die Eliten bereiteten schon den Rückzug in gigantische Bunkeranlagen oder ins Weltall vor, während der Rest der Menschheit seinem Schicksal überlassen werde.
Angesichts dieser „Zwangslage“ seien drastische Mittel geboten. Was bedeute, daß „die repräsentative politische Demokratie allein für diese Aufgabe nicht ausreichen wird. Eine viel stärkere Exekutive, die in der Lage ist, langfristige Verpflichtungen durchzusetzen, muß mit lokalen Selbstorganisationen der Menschen sowie mit einem starken internationalen Gremium kombiniert werden, das in der Lage ist, den Willen von abweichenden Nationalstaaten zu überstimmen.“ Das Ziel sei: „Egalitarismus: globale Solidarität, Gesundheitsversorgung und ein Minimum an menschenwürdigem Leben für alle.“
Das Ziel ist Selbstverharmlosung
Um das Vorgehen zu charakterisieren, das geeignet wäre, die Krise zu bewältigen, spricht Žižek von „Kriegskommunismus“. Den Begriff wählt er wohl, weil er einerseits martialisch genug klingt, andererseits kaum noch jemand einen konkreten Inhalt damit verbindet. Deshalb an dieser Stelle: Als „Kriegskommunismus“ bezeichneten Lenin und Trotzki die brutalen Maßnahmen des bolschewistischen Regimes während des russischen Bürgerkriegs (1918-1921), denen mindestens sieben Millionen Menschen zum Opfer fielen (doppelt so viele wie während des Ersten Weltkriegs in Rußland starben) und die zum vollständigen Zusammenbruch der Wirtschaft und des Verkehrswesens führten.
Selbstverständlich möchte Žižek mit seinen Überlegungen nicht in solchen Kontext eingeordnet werden, und er betont auch, daß es ihm weder um die Restaurierung des Realexistierenden Sozialismus, noch um die Übernahme des chinesischen Modells gehe. Aber man lasse sich nicht täuschen. Es gehört zu Žižeks semantischer Strategie, begrifflich vorzuprellen und inhaltlich zurückzuweichen. Das Ziel ist Selbstverharmlosung.
Die wird auch an seinem Umgang mit dem Begriff „Terror“ erkennbar, den er – kaum verwendet – prompt entschärft, indem er ihn auf die Ausweitung der Pandemie-Maßnahmen westlicher Regierungen münzt. Zuletzt kann man sie ausmachen an Žižeks Meidung eines Terminus, der von der Sache her so nahe läge wie kein anderer: „Diktatur“.
Harich war ein Dissident eigener Art
Nirgends wird der Abstand zwischen Žižek und einem anderen Marxisten deutlicher, der schon vor fünfzig Jahren darüber nachgedacht hat, welche Antwort auf die ökologische Frage gegeben werden müßte. Gemeint ist Wolfgang Harich. Nach dem Zusammenbruch von 1945 schien dem jungen Harich eine steile Karriere vorbestimmt. Anfangs galt er als eine Art Wunderkind der DDR-Philosophie. Allerdings geriet er nach Kritik an der Parteilinie in Konflikt mit dem Regime und wurde zu mehrjähriger Haft verurteilt.
Nicht zu übersehen war indes, daß sich sein Vorbehalt nicht gegen den totalitären Charakter des Systems richtete, sondern gegen dessen Orientierung. Harich war ein Dissident eigener Art, was auch erklärt, warum ihm nach seiner Freilassung Privilegien eingeräumt wurden. Zu denen gehörte, in den Westen reisen und dort veröffentlichen zu dürfen. So erschien 1975 im Rowohlt-Verlag Harichs Buch „Kommunismus ohne Wachstum? Baboeuf und der `Club of Rome´“.
Nicht nur Davos denkt über den „Neustart“ nach
Wie der Titel signalisierte, ging es Harich darum, auf die Prognosen des damals einflußreichen Club of Rome zu reagieren, der für eine von Überbevölkerung, Erschöpfung der natürlichen Ressourcen und Zerstörung der Umwelt bedrohte Menschheit einen radikalen Kurswechsel vorgeschlagen hatte, aber offenließ, wie der zu bewerkstelligen sei. Diese Lücke schloß Harich, indem er die Erfahrungen des Kommunismus mit dauerndem Mangel als Modell politischer Reorganisation vorschlug und offen für das eintrat, was Žižek nicht wagt: die Errichtung eines diktatorischen Regimes, das selbstverständlich im Namen des Volkes agieren, aber notwendig Merkmale eines grünen Leninismus aufweisen mußte.
Harich hat sich mit seinen Vorstellungen selbst auf der Linken rasch isoliert. Sein Name ist heute fast vergessen. Und die Gegenwart mit ihren rigiden Denk- und Sprachregeln zwingt selbst einen Žižek, vorsichtiger zu reden und zu schreiben, als es ein Harich konnte. Immerhin darf er annehmen, daß die Adressaten, die er erreichen möchte, den Unterton hören und zwischen den Zeilen lesen. Uns anderen bleibt die Erkenntnis, daß nicht nur die „Davos-Leute“ über den „Great Reset“ und die Möglichkeiten räsonnieren, die sich nach einem „Neustart“ in planetarischem Maßstab ergeben könnten.