Zu den Grundaufgaben eines jeden Komikers gehört es, hypersensible Spaßbremsen vor den Kopf zu stoßen. Zumindest war das mal so, bevor auch die Comedy-Branche und nahezu die gesamte Unterhaltungsindustrie anfing, „woke“ zu werden und mit dem Strom der Politischen Korrektheit zu schwimmen.
Einer, der noch die alten Comedy-Traditionen hochhält und auf der Bühne Dinge sagt, die man – wenn es nach den Spießern geht – „einfach nicht sagt“, ist der US-Comedian Dave Chappelle. Ob es sich bei seinen Kritikern, die sich über seine edgy Gags empören, um bigotte alte Tanten handelt oder um „progressive“ junge Studentinnen, ist dem afroamerikanischen Bühnenkünstler dabei herzlich egal. In seiner Netflix-Show „The Closer“ hat er nun die LGBTQ-Bewegung – oder besser gesagt einige ihrer selbsternannten Vertreter und Fürsprecher – gegen sich aufgebracht.
In einer seiner Stand-up-Nummern machte sich Chapelle unter anderem über die Überempfindlichkeit der Trans-Community lustig. Der Beweis seiner Aussage folgte auf dem Fuß. Es gab einen Aufstand der kunstfeindlichen Kulturmarxisten und natürlich den obligatorischen Shitstorm im Internet. All das ist üblich. Was – zumindest noch – nicht ganz so üblich ist, war der interne Protest der Mitarbeiter des Medienkonzerns. Diese demonstrierten gegen das „transfeindliche“ Programm-Angebot des eigenen Hauses.
Kein Einknicken
Der Stand-up-Comedian, der schon lange für seinen harten Humor bekannt ist, und Trans-Frauen in seiner jetzt zum Skandal gemachten Showeinlage mit der Darstellungsmethode des Blackfacings verglich, reagierte auf den Sturm gegen die Kunstfreiheit allerdings anders als die Freunde der Cancel Culture es erwartet hatten. Statt zurückzurudern, sich zu entschuldigen und Besserung zu geloben, wie es viele Kollegen an seiner Stelle getan hätten, setzte er noch einen drauf, indem er die Trans-Blase auf den Fakt hinwies, daß das biologische Geschlecht nun mal eine naturwissenschaftliche Tatsache sei. Die von Medien zuvor verbreitete Behauptung, er habe ein Gespräch mit seinen Kritikern abgelehnt, wies Chappelle zurück. Es habe von der Gegenseite gar kein Gesprächsangebot an ihn gegeben, so der Schauspieler.
Inzwischen hat er selbst Gesprächsbereitschaft mit den transsexuellen Mitarbeitern des Streaming-Dienstes signalisiert. Zudem bat er seine Fans: „Gebt der LBGTQ-Gemeinschaft nicht die Schuld für diese Scheiße.“ In einem Video, das nach Angaben von CNN bei einem Auftritt in Louisville im US-Bundesstaat Kentucky aufgenommen wurde, sagte der Berufsprovokateur: „Das hat nichts mit ihnen (der LBGTQ-Community) zu tun. Es geht um Unternehmensinteressen und darum, was ich sagen darf und was ich nicht sagen darf.“
Mit einem klassischen Einknicken sollte man dies allerdings nicht verwechseln. „Ich bin mehr als bereit, mir anzuhören, was ihr zu sagen habt. Aber ihr werdet mich nicht herbeizitieren. Ich beuge mich niemandes Forderungen“, so die klare Ansage des Künstlers an die Transgender-Aktivisten. Weiter sagte Chappelle in seiner unnachahmlichen ironisch-aggresiven Art, für die sein Publikum ihn seit vielen Jahren liebt: „Ihr könnt nicht kommen, wenn ihr meine Show nicht von Anfang bis Ende gesehen habt. Ihr müßt zu einem Ort meiner Wahl kommen, zu einem Zeitpunkt meiner Wahl. Und ihr müßt zugeben, daß Hannah Gadsby nicht lustig ist.“
Cancel-Wahn auch unter Künstlern weit verbreitet
Seine Komiker- und Netflix-Kollegin Gadsby, gegen die sich Chappelle den kleinen Seitenhieb nicht verkneifen konnte, hatte sich wie mehrere andere Künstler auch auf die Seite derer geschlagen, die die Freiheit der Kunst im Namen der Political Correctness einschränken wollen.
Dave Chappelle ist nicht der einzige Vertreter seiner Zunft, dem die Kultur des Cancelns und ihre Verfechter, die es bizarrer Weise selbst in den Reihen der Kreativen zuhauf gibt, inzwischen gewaltig auf die Nerven gehen.
Auch weil immer mehr Künstler unabhängig von ihrer sonstigen politischen Haltung verstehen, daß das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht ist und was die immer größer werdende Schere im Kopf auf die Dauer für wirklich jeden, der mit seinem künstlerischen Schaffen in welcher Form auch immer in die Öffentlichkeit tritt, auf Dauer bedeuten kann.
Chappalles britischer Komiker-Kollege Ricky Gervais, Erfinder der Erfolgs-Serie „The Office“, die unter anderem als Vorlage für die in Deutschland so beliebte Serie „Stromberg“ diente, äußerte sich gerade erst kürzlich zu den neuen Anstandsregeln aus der Woke-Bubble, die mittlerweile in allen Bereichen des öffentlichen Mainstreams ihre Gültigkeit zu haben scheinen.
Selbst die größte Wokeheit wird nichts nützen
Eine bitterböse, auf alle gesellschaftlichen Konventionen pfeifende Serie wie „The Office“ habe heute keine Chance mehr, gezeigt zu werden, glaubt der englische TV-Produzent. In einem Podcast des US-Neurowissenschaftlers Sam Harris kritisierte Gervais knallhart Kritik die derzeit herrschende Cancel Culture. Daß diese „Wokeness“ vor allem bei der jungen Generation auf so große Beliebtheit stößt, sieht der 60jährige Radiomoderator mit einer Mischung aus Zynismus und väterlicher Gelassenheit.
„Ich möchte lange genug leben, um mitzuerleben, daß die jüngere Generation nicht mehr woke genug für die nächste Generation sein wird. So wird es passieren“, meint der erfahrene Comedian mit geradezu vorfreudiger Bestimmtheit. Sich den Regeln der jungen, derzeit noch selbst so hungrigen Revolutionäre anzupassen, hält der Regisseur für wenig sinnvoll.
Gervais ist sich sicher, daß selbst die derzeit Extra-Woken in Zukunft trotz all ihrer Bemühungen am Ende dennoch zur aussortierten Garde gehören werden. Die Siegessicherheit und Selbstgefälligkeit der jungen Generation und seiner angepaßten Kollegen kommentiert der alte Comedy-Hase mit spöttischem Unverständnis: „Merken die nicht, daß sie die Nächsten sind? Das ist doch das Komische“, erheiterte sich Gervais.
Was er damit auf den Punkt bringt, ist offensichtlich und wird ganz sicher auch so kommen. Und er dürfte mit seiner frohen Erwartung dieser mehr als fälligen Strafe für die heute tonangebende Klasse wohl nicht alleine sein. Viele würden wohl ebenfalls gern Zeuge werden, wenn die woke Kulturrevolution ihre eigenen Kinder frißt. Es sollte bei aller bitteren Euphorie jedoch nicht vergessen werden, daß dies allenfalls die zweitbeste Option in der für unsere Gesellschaft möglichen Zukunft wäre.