Unmittelbar nachdem der Schwarze George Floyd am 25. Mai in Minnesota zu Tode kam, nahmen die Sympathien für die „Black Lives Matter“-Bewegung in den Umfragen sprunghaft zu – besonders bei weißen Befragten. 53 Prozent der Gesamtbevölkerung gaben an, daß sie die Bewegung unterstützen, während nur 28 Prozent sich gegen sie aussprachen.
Aufgrund der jüngsten Ereignisse, insbesondere den gewalttätigen Ausschreitungen in Städten wie Seattle, Portland und Kenosha, sank die Zustimmung für BLM jedoch wieder auf das Niveau vor der Tötung Floyds: 49 Prozent befürworteten die Bewegung, 38 Prozent lehnten sie ab.
Das liegt vor allem an einer Bevölkerungsgruppe: Während unter Schwarzen die Unterstützung seit Juni konstant bei rund 88 Prozent liegt, hat sich in der weißen Bevölkerung der Wind gedreht. Hier unterstützten im Juni 44 Prozent die Proteste, 33 Prozent verurteilten sie. Mittlerweile hat sich das Verhältnis auf 40 Prozent Zustimmung zu 47 Prozent Ablehnung gedreht.
Biden liegt konstant vorne
Diese Statistiken sind deshalb von Bedeutung, weil sie einiges darüber auszusagen vermag, wer im November das Rennen um das Präsidentenamt für sich entscheiden könnte. Seit Joe Biden der Kandidat der Demokratischen Partei ist, lag er in nationalen Umfragen kontinuierlich mit rund acht bis zehn Punkten landesweit und mit rund vier Punkten in den am stärksten umkämpften Bundesstaaten Florida, Michigan, Pennsylvania und Wisconsin vor Trump.
Nicht nur landesweit schmilzt derzeit Bidens Vorsprung (+7 Prozent), auch in einigen Swing States wie Florida und Nevada drehen sich die Umfragen zu Gunsten Trumps. Im Süden macht den Demokraten vor allem eine Bevölkerungsgruppe zu schaffen: Latinos, die in Florida immerhin 20 Prozent der Wahlberechtigten ausmachen und von denen viele aufgrund ihrer kubanischen Herkunft antikommunistische Ansichten haben. In den Umfragen schrumpft zur Zeit die (noch) mehrheitliche Unterstützung dieser Bevölkerungsgruppe für die Demokraten.
Klar ist: Die aktuellen Unruhen und gewalttätigen Ausschreitungen in einigen amerikanischen Städten haben politische Bedeutung. Trump weiß, daß er zurückliegt. Deshalb hat er sein Wahlkampfteam neu aufgestellt. Er erprobt verschiedene politische Strategien und wartet ab, welche die höchsten Zustimmungswerte erhält. Auf diese Weise wurde der Bau der Mauer an der Südgrenze zu Mexiko zum zentralen Thema seines Wahlkampfs 2016.
Proteste sind ein politisches Geschenk
Vor allem aber braucht Trump angesichts der Corona-Pandemie, die seine Regierung laut Umfragen nur sehr unzureichend in den Griff bekommen hat, und angesichts eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs, der eine hohe Arbeitslosigkeit mit sich bringt, dringend ein Thema, mit dem er die Aufmerksamkeit von diesen Problemen auf etwas anderes lenken kann.
Die BLM-Proteste waren da politisch gesehen ein Geschenk. Die Republikaner nutzen seit jeher eine „Law & Order“-Rhetorik, und so rühmt sich auch Trump als Präsidenten für Recht und Ordnung. Diverse Redner auf dem Nominierungsparteitag der Republikaner im August, bei dem Trump offiziell als Präsidentschaftskandidat der Partei aufgestellt wurde, griffen dieses Thema auf. Vizepräsident Mike Pence sagte: „Die bittere Wahrheit ist, daß Sie in Joe Bidens Amerika nicht sicher sein werden.“
Trump hat diese Art der Rhetorik in jüngster Zeit noch verschärft, als die Gewalt in einigen amerikanischen Städten, insbesondere in Portland im Bundesstaat Oregon, krisenhafte Ausmaße annahm. Nach Einbruch der Dunkelheit plünderten Antifa-Gruppen Geschäfte und legten eine Spur der Verwüstung. Am 29. August kam es zu einer Konfrontation zwischen einer Versammlung von Pro-Trump-Bürgerwehrangehörigen und BLM-Demonstranten.
Bewaffnete auf beiden Seiten
Beide Seiten waren bewaffnet, zwischen ihnen stand die Polizei. Ein Mitglied der Pro-Trump-Miliz „Patriot Prayer“ wurde dabei erschossen. In der Woche zuvor wurde in Kenosha im Bundesstaat Wisconsin der 17jährige Kyle Rittenhouse festgenommen. Der bewaffnete Pro-Trump-Protestler hatte zwei Menschen getötet, nachdem er zuvor von Antifas angegriffen worden war.
In Kenosha hatten sich schwere Ausschreitungen entzündet, weil die Polizei den Afro-Amerikaner Jacob Blake, der sich seiner Festnahme widersetzte, beim Einsteigen in sein Auto in den Rücken schoß. In seinem Fahrzeug wurde ein Messer gefunden. Trump goß zusätzlich Öl ins Feuer, indem er dem demokratischen Gouverneur von Wisconsin und dem Bürgermeister von Portland die Schuld an der Gewalt zuschob.
Trump sieht eindeutig einen politischen Vorteil darin, die Erinnerung an diese Ereignisse wachzuhalten, um die Aufmerksamkeit von Themen abzulenken, bei denen Biden profitieren könnte. Im Hinblick auf die starke Präsenz bewaffneter Pro-Trump-Bürgerwehren fragen sich manche politischen Beobachter zudem besorgt, was im November im Falle einer knappen, angefochtenen Wahl geschehen könnte.
Trumps Strategie geht bislang nicht auf
Wird Trump versuchen, angesichts der Gewalt auf den Straßen einen knappen Wahlsieg Bidens anzufechten und unterstellen, man habe mittels einer manipulierten Briefwahl Wahlbetrug begangen? Andererseits sind die Zweifel an der Briefwahl durchaus berechtigt, wie Unregelmäßigkeiten in der Vergangenheit gezeigt haben. Interessant in diesem Zusammenhang: Laut einer CNN-Umfrage wollen 68 Prozent der Trump-Wähler lieber persönlich im Wahllokal wählen. Nur auf 21 Prozent der Biden-Unterstützer trifft das zu.
Bisher jedenfalls scheint Trumps Strategie nicht aufzugehen. Die „Black Lives Matter“-Bewegung ist dezentral organisiert und hat keine landesweiten Anführer, die Trump aufs Korn nehmen könnte. Das Problem ist, daß die weißen Wähler, die ihm 2016 einen knappen Wahlvorteil gegenüber Clinton verschafften und eine ablehnende Haltung gegenüber BLM vertreten, ja bereits auf seiner Seite stehen. Trump wird letztlich hoffen müssen, daß die Meinungsumfragen wieder einmal alle falschliegen.
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Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt europäische Geschichte an der University of San Francisco.