Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE und Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger, ist bekanntlich nicht nur ein Top-Manager, sondern in seinen eigenen Blättern auch ein Kommentator, der zu allem eine Meinung hat. Auch zur Coronakrise.
Zu der ist ihm kürzlich in der Welt eingefallen, daß unsere Reaktion auf die Seuche zu hart, zu entschlossen, zu allumfassend, zu stur, zu konsequent sein könnte. Döpfner fragt sich, ob die Kur vielleicht schlimmer sei als die Krankheit, die, ließe man ihr nur ihren Lauf, sich irgendwann ganz von selber erledigen würde. Und zwar dadurch, daß, nachdem 70 Prozent der Deutschen daran erst erkrankt und danach immun geworden seien, der Virus keine Wirte mehr vorfinde, wodurch er evolutionsbiologisch zwar nicht ausstürbe, sich aber wieder in die chinesischen Fledermäuse zurückziehe und dort auf seine nächste Chance warte.
Nun muß man fairerweise sagen, daß sich Döpfner in seinem maßgeblichen Text um eine klare Antwort herumdrückt und nur zu einem klaren „Jein“ kommt, weshalb der Beitrag auch „Ich habe Zweifel“ betitelt ist und nicht „Schluß mit Kontaktverbot und Quarantäne!“. Trotzdem stellt er eine gute Frage: Tun wir zuviel? Sollten wir Wirtschaft und Gesellschaft nicht lahmlegen? Vielleicht ist der Corona-Erreger ja nicht schlimmer als der Auslöser der Grippewelle 2017/18, die, wie Döpfner schreibt, immerhin auch 25.100 Opfer gefordert hat, von der aber keiner rede.
Berechtigte Zweifel
Döpfner mißtraut also einem über Nacht stärker werdenden Staat, der wesentliche Freiheiten seiner Bürger wenigstens vorübergehend suspendiert hat, sich breitflächig in die Wirtschaft einmischt und ganz allgemein im Moment Ausnahmeregeln und Maßnahmen trifft und Gesetze erläßt, die unser Leben auf Jahre hinaus beeinflussen und vielleicht nie mehr weggehen.
Zuerst einmal wird man zu Döpfners berechtigten Zweifeln sagen müssen, daß man Schlachten und Kriege – und wir sind im Krieg gegen ein Virus – nicht mit Aussitzen, Zaudern, Zögern und Zweifeln gewinnt, sondern mit energischem Handeln. Auch der Vergleich mit früheren Grippewellen kann nicht recht überzeugen.
Sieht man von der Grippe-Pandemie 1918/19 ab, an die sich aber kein Lebender mehr erinnern kann, dann haben wir alle noch nie gesehen, daß, wie in Italien geschehen, hunderte von Särgen mit Militärkonvois aus lombardischen Städten in Krematorien anderer Regionen gebracht werden. Wir haben während der vergangenen Grippewellen auch keine Bilder von Leuten in Madrider Krankenhäusern gesehen, die auf dem Steinboden liegen, weil es keine Betten für sie gibt.
Das derzeit beste Mittel gegen die Seuche
Wir haben nichts von hilflosen alten Menschen in spanischen und britischen Altenheimen gehört, die da einsam und allein sterben, weil das Pflegepersonal geflüchtet ist und sonst keiner zu ihnen darf. Und wir alle haben nie eine Seuche miterlebt, die sich binnen zehn Wochen mit rasender Geschwindigkeit quer über die Welt verbreitet hat und deren weltweiter Höhepunkt noch bei weitem nicht erreicht ist.
Und nun sollten wir, die wir doch inzwischen jede Frage im Leben über den Kamm der Ethik scheren und jede Entscheidung mit einem kräftigen Schuß Moral versehen, die Alten und Kranken hilflos den Verheerungen einer asiatischen Seuche überlassen mit der Begründung: Das ist der Lauf der Welt? Nun sollte in der ewigen Auseinandersetzung: Natur versus Kultur, in der wir jedesmal der Kultur den Vorrang vor der Natur geben, plötzlich eine unterstellte naturwüchsige Ethik à la Konrad Lorenz gelten?
Das ist ein kompletter Unsinn. Auch wenn die angeordneten Maßnahmen wohl keinem recht viel Spaß machen, so sind nach heutigem Wissenstand der temporäre Verzicht auf Sozialkontakte, Isolierung und Quarantäne von Infizierten das beste Mittel, die Ausbreitung der Seuche zu verlangsamen und irgendwann ganz zum Erliegen zu bringen.
Für Sozialismus-Freunde schlägt jetzt die Stunde der Kollektivierung
Viel schlimmer als Kontaktverbote und Quarantänemaßnahmen, die nach dem Ende der Coronakrise auf jeden Fall zurückgenommen werden, weil sie einer zeitgeistigen Spaßkultur im Wege stünden, sind die Maßnahmen, mit denen der Staat jetzt massiv in Wirtschaft, Privateigentum und damit in die Marktwirtschaft eingreift.
An der nie dagewesenen teilweisen Aussetzung des Mietrechtes, an dem Ruf nach Geld für alle, an der wahllosen Gier nach Staatshilfen, mit denen jeder noch so unfähige Selbständige, der es versäumt hat, Rücklagen zu bilden, gerettet werden soll, zeigt sich, daß die Kräfte, die seit jeher Sozialismus statt Freiheit wollen, jetzt Oberwasser verspüren. Für die schlägt jetzt die Stunde der Kollektivierung. Die wollen jetzt Verstaatlichungen, Plan statt Markt, beamtete Funktionäre statt Unternehmer.
Auf dieses Problem hat Mathias Döpfner ebenfalls hingewiesen. Und damit hat er auf jeden Fall recht. Er hätte es nur ein bißchen eindeutiger sagen dürfen. Und wäre er ein Denker und nicht nur ein Verlagschef mit einer Meinung gewesen, dann hätte er gesagt, daß in ein paar Monate lang kräftig hinklotzen allemal besser ist als jahrelang kleckern.