Das große Thema der Woche waren natürlich die hochumstrittenen Neuregelungen im Infektionsschutzgesetz. Eines ist zumindest jetzt schon klar: Die neuen Gesetzespassagen schützen nicht vor der immer heftiger um sich greifenden Seuche der Doppelmoral. Daß einige die Einschränkungen der Grundrechte mit dem Ermächtigungsgesetz der Nazis verglichen, löste große Empörung aus.
Nicht nur bei den Befürwortern der neuen Ermächtigungen der Politik, sondern auch bei vielen, die den Gesetzesentwurfs zwar irgendwie falsch fanden, aber so falsch, daß sie dagegen gestimmt hätten, dann doch nicht. Vor allem empörten sich aber zahlreiche Medien und Politiker über den Vergleich mit dem Ermächtigungsgesetz, die noch vor einigen Monaten das Corona-Gesetz von Viktor Orbán in Ungarn mit genau jenem NS-Paragrafen verglichen hatten.
Auch sonst sagten sich viele Kritiker der Kritiker in dieser Woche mal wieder: „Einmal die große Nazivergleichs-Rundfahrt bitte!“ Sie störte an dem Corona-Nazivergleich vor allem, daß dieser von den Corona-Nazis beziehungsweise den „Coronaleugnern“ beziehungsweise der AfD gezogen wurde.
Treibstoff für den moralischen Doppelmotor
Daß die Alternative für Deutschland am Tag der Gesetzesänderung im Plenarsaal eine Pro-Grundgesetz-Protestaktion durchführte und zudem noch Kritiker aus den alternativen Medien ins Parlament eingeladen hatte, die sich im Zweifel zwar an die Maskenpflicht hielten, sich dafür aber mitunter wie eine offene Hose benommen haben, lieferte weiteren Treibstoff für den moralischen Doppelmotor.
Ein „Angriff auf die Würde des Parlaments“ sei das alles gewesen, schrien und schrieben viele, die vergleichbare Aktionen zum Beispiel zum Thema Klimaschutz, Friedenspolitik und Flüchtlinge in der Vergangenheit gutgeheißen oder sogar selbst durchgeführt hatten. Die tatsächlich berechtigte inhaltliche Kritik an den massiven Grundrechtsbeschneidungen nach politisch definierter Seuchenlage blieb bei der ganzen Aufregung um und über die AfD auf der Strecke.
Dabei hätte in diesem Fall die Angst ausnahmsweise mal ein guter Ratgeber sein können. Dafür wäre es allerdings nötig gewesen, einen gedanklichen Mindestabstand zum Hier und Jetzt einzunehmen. Zumindest mal für einen Moment.
Für das Infektionsschutzgesetz gilt, was für alle Gesetze gelten sollte: Diejenigen, die es verabschieden und beklatschen, sollten sich selbst immer fragen, ob sie das Gesetz auch dann noch gutheißen würden, wenn es irgendwann einmal vom politischen Gegner angewandt würde. Der Gedanke, daß eines fernen Tages eine AfD-Regierung darüber bestimmen könnte, wann „zum Schutze der Volksgesundheit“ die bürgerlichen Grundrechte eingeschränkt werden, würde bei den meisten der jetzigen Befürworter der Neuregelungen wohl Panikanfälle von klimahysterischem Ausmaß auslösen.
Ganz unabhängig davon, wie berechtigt die Sorge vor einer solchen potentiellen „Hygiene-Diktatur“ von rechts auch sein mag, dürften die selbstgefällige Verachtung gegenüber den Warnern und Mahnern von heute bei der Frage schnell fieberhaften Schweißausbrüchen gewichen sein. Eine vorübergehende Selbstquarantäne zur inneren Einkehr und Besinnung wäre in diesem Fall sicherlich nicht das Schlechteste.
Diskussion um Böllerverbot
Wobei sich die Prioritäten in Sachen Freiheitsrechte hierzulande teilweise schon in einem Ausmaß verschoben zu haben scheinen, daß sie selbst solche vermeintlichen Horrorszenarien verpuffen lassen würde, solange es dabei nur ein schönes Feuerwerk gibt. Während die Einschränkung fundamentalster Grundrechte in Bevölkerung, Medien und etablierter Politik auf ziemlich breite Zustimmung oder zumindest relativ geringe Ablehnung stießen, ist für viele beim derzeit angedachten Böllerverbot eine rote Linie erreicht, die die Mächtigen nicht überschreiten sollten.
„Wer ein Böllerverbot fordert, ignoriert die geplagte Seele der Deutschen“, titelte dieser Tage die „liberal-konservative“ Welt, deren Chefredakteur Ulf Poschardt es auf Twitter allen Ernstes fertig brachte, an ein und demselben Tag die Proteste gegen die Corona-Politik der Bundesregierung als „Impfmückenphobiker-Demo“ zu verhöhnen, an dem er, in vorfreudiger Neujahrs-Laune, twitterte: „freue mich auf das böllern“ und die „tiefe Sehnsucht, den eigenen Lebensentwurf allen anderen aufzuzwingen“ in Bezug auf das Böllerverbot als „nicht hinnehmbar“ bezeichnete. Das kommt wohl dabei heraus, wenn man aus Frust über sinkende Auflagen die gesamten Vorräte für die vermutlich sowieso nicht stattfindende Silvesterparty schon mitten in November austrinkt.
In einem Land, in dem solche Knallköpfe die politischen Meinungsmacher sind, kann Politik eigentlich nur noch eine Form der Satire sein. Das dachte sich wohl auch der Bundestagsabgeordnete Marco Bülow und wechselte von der SPD zur Satire-Partei Die Partei, also quasi zum Original. Damit hat die mal mehr, mal weniger lustige Truppe des Satirikers Martin Sonneborn erstmals einen eigenen Vertreter im Bundestag. Die Würde des Parlaments dürfte also bald wieder vollständig hergestellt sein.