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Rede des Bundespräsidenten: Anspruch auf Absolutheit

Rede des Bundespräsidenten: Anspruch auf Absolutheit

Rede des Bundespräsidenten: Anspruch auf Absolutheit

75 Jahre Kriegsende - Berlin
75 Jahre Kriegsende - Berlin
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor der Gedenkstätte Neue Wache Foto: picture alliance/Hannibal Hanschke/Reuters-Pool/dpa
Rede des Bundespräsidenten
 

Anspruch auf Absolutheit

Ein aufrichtiges Erinnern darf niemals selektiv sein. Die historische Wahrheit über Deutschland am 8. Mai 1945 liest sich anders, als vom Bundespräsidenten in seiner Gedenkrede am Freitag vorgetragen. Ein Kommentar von Wilhelm von Gottberg.
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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier stellte am Freitag zu Beginn seiner Gedenkrede zutreffend fest: Am 8. Mai 1945 kam die nationalsozialistische Gewaltherrschaft mit ihren beispiellosen deutschen Verbrechen und dem Zivilisationsbruch der Shoah zu einem Ende. Absolut richtig also, daß der 75. Jahrestag des Ereignisses ein geeignetes Datum ist, an die Opfer dieser schrecklichen Zeit zu erinnern.

Im Verlauf seiner Rede bekräftigte das Staatsoberhaupt wiederholt, daß am 8. Mai 1945 Deutschland und die Deutschen durch die Siegermächte befreit wurden, befreit von der Nazi-Gewaltherrschaft. Diese Sichtweise haben Politik und Medien in den vergangenen 20 Jahren gewissermaßen zur Staatsräson erhoben. Steinmeier trug diese Auffassung in seiner Rede mit einem Anspruch auf Absolutheit vor, die für andere Auffassungen zum 8. Mai keinen Raum läßt.

Andere Menschen haben andere Erfahrungen und Erinnerungen, hatte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble erst vor wenigen Tagen geäußert, wenn auch in einem anderen Zusammenhang. Wie wahr! Natürlich, hunderttausende Menschen wurden am 8. Mai 1945 und den vorherigen sechs Monaten befreit. Für die überlebenden jüdischen Mitbürger, für die geknechteten und versklavten Fremdarbeiter, für die geschundenen KZ-Insassen, für die in deutscher Kriegsgefangenschaft leidenden Soldaten der Siegermächte und die unzähligen politischen Häftlinge war das Kriegsende eine Befreiung. Daran zu erinnern, macht demütig und beugt vielleicht einer Wiederholungsgefahr vor.

Deutschland wurde als Feindstaat besetzt und zerstückelt

Aber das Erinnern darf nicht selektiv sein. Die historische Wahrheit über Deutschland am 8. Mai 1945 liest sich anders, als vom Bundespräsidenten vorgetragen. Die Deutschen in ihrer überwältigenden Gesamtheit waren erleichtert über das Kriegsende. Sie ahnten, daß Schlimmes auf sie zukommen würde. Das kollektive Gedächtnis der Menschen ist lang. Versailles mit seinen schrecklichen Folgen lag erst 26 Jahre zurück. Am 8. Mai 1945 war Deutschland besiegt und vernichtet. Seine Städte lagen in Schutt und Asche. Es wurde als Feindstaat besetzt und zerstückelt.

Diese Absicht verkündeten die späteren Siegermächte bereits bei der Konferenz in Jalta im Februar 1945 öffentlich. Deutschland mußte sich all ihren Forderungen bedingungslos unterwerfen. Die beendete NS-Diktatur wurde für das halbe Europa ersetzt durch eine neue Diktatur, auch für die SBZ/DDR in Mitteldeutschland. Rund 11 Millionen Wehrmachtssoldaten gerieten bei Kriegsende in Gefangenschaft. Hunderttausende sahen gleichwohl die Heimat nicht wieder. Man befreite sie vom Leben, indem man ihnen schlichtweg die für die menschliche Existenz notwendige Mindesternährung verweigerte.

Für die Ostdeutschen jenseits von Oder und Neiße, sowie die Sudetendeutschen bestand die sogenannte „Befreiung“ aus dem Verlust von Heimat und Besitztum, die Frauen und Mädchen wurden zu einem erheblichen Teil vergewaltigt und geschändet. Eine tatsächliche Befreiung hingegen äußerte sich aufgrund der Demontage vor allem im Bereich der Wirtschaft, genau wie sie sich auch im Raub von deutschen Kunstschätzen, Patenten und dem deutschen Auslandsvermögen vollzog.

Preußen wurde ausgelöscht

Der territoriale Verlust Deutschlands im Osten nach 1945 betrug ein Viertel seines Staatsgebietes. Wenn man nun geographische Orte wie Königsberg (Kant), Mohrungen (Herder), Lubowitz (Eichendorf) und andere Orte, die mit besten deutschen geistigen Traditionen verbunden sind, nicht in die Erinnerungsrede einbezieht, ist das ein unverzeihliches Manko. Die 2,3 Millionen deutschen Opfer (Quelle: BMI) von Flucht und Vertreibung haben es nicht verdient, hinter dem Horizont des Vergessens zu verschwinden. Gleiches gilt für die wertvolle Kulturgeschichte Preußens.

Auch 75 Jahre nach Kriegsende haben die Befreier noch nicht die Feindstaatenklausel der UNO gestrichen, die sich ausschließlich gegen Deutschland und Japan richtet. Zwei Jahre nach der vermeintlichen Befreiung Deutschlands leisteten sich die Siegermächte noch einen besonders schändlichen Willkürakt, an den hier erinnert werden soll: Mit einem Federstrich und einer unglaublich verlogenen Begründung löschten sie die Existenz des deutschen Bundesstaates Preußen aus. Deutschland war vernichtet.

Nie wurde ein Land unterschiedslos und in seiner Gesamtheit für die Hybris seiner verbrecherischen Machthaber schrecklicher bestraft. Das sind die Fakten über das Kriegsende 1945 und die Rolle der Siegermächte. Mit dieser Erinnerung an die historische Wahrheit über das Ende des Zweiten Weltkrieges in Deutschland wird nichts relativiert. Die Deutschen und Deutschland stehen gewiß nicht in der Gefahr zu vergessen, was in deutschem Namen zwischen 1933 und 1945 geschehen ist.

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Wilhelm von Gottberg, 80, war lange Jahre Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen, Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen sowie Vorsitzender des Stiftungsrates der Ostpreußischen Kulturstiftung. Von 1972 bis 2011 gehörte er der CDU an, trat 2013 in die AfD ein und sitzt für sie seit 2017 im Bundestag.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor der Gedenkstätte Neue Wache Foto: picture alliance/Hannibal Hanschke/Reuters-Pool/dpa
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