Gestern verstarb Erhard Eppler im Alter von 92 Jahren. Er war so sehr Teil des Personals der alten Bundesrepublik, daß das Gedenken ganz und gar ehrend ausfällt. Denn an den Politiker Eppler erinnert sich kaum noch jemand, wer es tut, für den sind die Konturen längst verwischt, oder die Gestalt erscheint in altersmildem Licht.
Das hat Eppler nicht verdient. Er war ein Mann, der Anstoß erregte und trotz seines harmlosen Äußeren – Kennzeichen: Kinnbart und Baskenmütze – die Auseinandersetzung suchte. Das hatte auch mit seiner persönlichen Prägung durch NS-Zeit, Krieg und die Herkunft aus dem evangelischen Bürgertum des deutschen Südwestens zu tun. Wie seine Eltern strebte Eppler ursprünglich den Beruf des Lehrers an, sah sich aber rasch in die Auseinandersetzung um Wiederbewaffnung und Westbindung der Bundesrepublik verwickelt.
Wechsel von der GVP zur SPD
Die Position, die er bezog, war zwar nicht mehrheitsfähig, aber im protestantischen Milieu der Nachkriegszeit durchaus verbreitet. Jedenfalls schloß sich Eppler der Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP) an, die der CDU-Dissident Gustav Heinemann gegründet hatte. Unter dessen Einfluß plädierte die GVP für eine Wiedervereinigung durch Neutralität, gegen den Aufbau der Bundeswehr – „Deutsche schießen nicht auf Deutsche!“ – und den EVG- beziehungsweise Nato-Beitritt. Allerdings fand dieses Programm keine breite Resonanz; die GVP scheiterte schon bei den Parlamentswahlen 1953; ihr Stimmenanteil lag nur bei einem Prozent.
Heinemann ging daraufhin mit einem Teil seiner Anhängerschaft zur SPD über. Aufsehenerregend war dieser Schritt, weil die Sozialdemokratie in den 1950er Jahren noch als Arbeiterpartei galt, und die GVPler mit ihrer engen Bindung an die evangelische Kirche und ihrer Herkunft aus der Mittelschicht eher als Fremdkörper wahrgenommen wurden. Herbert Wehners boshaftes Wort von den „Pietcong“ brachte nicht nur eine persönliche Reserve zum Ausdruck.
Trotzdem gelang Heinemann (zukünftig Bundesminister der Justiz, dann Bundespräsident), seinem Adjutanten Johannes Rau (Minister, dann Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und Bundespräsident), Diether Posser (Minister in Nordrhein-Westfalen) und auch Eppler über die SPD eine politische Karriere, die sie kaum hätten machen können, wenn sie im schrumpfenden und zerfallenden Lager der Neutralisten verharrt hätten.
Demokratisierung, Umverteilung, Gesellschaftsveränderung
Die Einflußmöglichkeiten, die ihnen die SPD nach Bad Godesberg und deren Annäherung an die EKD eröffnete, wußte diese Gruppe jedenfalls geschickt zu nutzen. Es wäre deshalb naiv, in Eppler einen weltfremden Idealisten zu sehen. Schon 1961 wurde er in den Bundestag gewählt und trat fünf Jahre später als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in das Kabinett der Großen Koalition ein.
Er behielt sein Amt auch unter Willy Brandt, schied aber nach einem heftigen Konflikt mit dessen Nachfolger Helmut Schmidt 1974 aus dem Amt. Dahinter stand nicht nur ein in der Verschiedenheit der Persönlichkeiten von Eppler und Schmidt begründeter Konflikt, sondern auch eine prinzipielle ideologische Differenz. Eppler hatte sich in den 60er Jahren immer deutlicher als Vertreter des linken Flügels der SPD profiliert.
Der verlangte stürmisch „Demokratisierung“, „Umverteilung“, „Gesellschaftsveränderung“. Das industrielle System der Bundesrepublik wollte man durch massive Steuererhöhung und Ausbau des Wohlfahrtsstaates auf seine Belastbarkeit prüfen. Beflügelt vom progressiven Zeitgeist glaubte Eppler, derartige Vorstellungen auch gegen den Widerstand der einflußreichen Parteirechten durchsetzen zu können.
Mangel an politischer Urteilsfähigkeit
Aber der Versuch, seinen Landesverband Baden-Württemberg als Machtbasis zu nutzen, scheiterte – er unterlag 1976 wie 1980 als Spitzenkandidat gegen den Amtsinhaber der CDU – genauso wie das Bemühen, die Sozialisten in der Partei stärker zusammenzuschließen. Trotzdem widerstand Eppler der Versuchung, sich einem der Neugründungsversuche anzuschließen. Stattdessen konzentrierte er seine Energie in der Folge auf jene außerparlamentarischen Bewegungen, die nach dem Zerfall der APO zum neuen Hoffnungsträger der radikalen Linken geworden waren.
Den Ruf als „Querdenker“ verdankte Eppler im wesentlichen dieser Phase seiner Laufbahn. Dabei zeigte sich, ganz gleich, ob es um Ökologie oder einseitige Abrüstung, Anerkennung der DDR oder Aufgabe des Wiedervereinigungsgebotes, deutsche Schuld oder Verständnis für den Sowjetblock, antiamerikanische Affekte oder die plötzliche Bekehrung zur Idee des Gerechten Krieges ging, ein erschütternder Mangel an politischer Urteilsfähigkeit. Wenn er bis heute in positivem Licht erscheint, verdankt er das nur dem Wohlwollen, das man in diesem Land für Gesinnungsethiker bereithält.
Was nichts daran ändert, daß er mit jeder seiner Einschätzungen falsch lag. Von allem, was er zur Debatte stellte, vorschlug, projektierte, ist nichts geblieben. Bis auf eins: die Unterscheidung von (gutem) „Wert-“ und (bösem) „Strukturkonservatismus“. Ein Danaergeschenk für die Konservativen. Der Begriff„Wert“ hinreichend unscharf, um darunter sämtliche Harmlosigkeiten zu versammeln, der Begriff „Struktur“ so negativ besetzt, daß ihn niemand zu reklamieren wagte. Das Ganze vorzüglich geeignet, den Konservativen das Realitätsprinzip abzuhandeln und irgendwelchen Roßtäuschern auf der Gegenseite zu erlauben, sich auch als „konservativ“ zu präsentieren, wenn es gerade Mode ist.