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Holocaust-Gedenkstunde: Die Erinnerungskultur muß sich verändern

Holocaust-Gedenkstunde: Die Erinnerungskultur muß sich verändern

Holocaust-Gedenkstunde: Die Erinnerungskultur muß sich verändern

Friedländer
Friedländer
Der Holocaust-Überlebende Saul Friedländer spricht zur Holocaust-Gedenkstunde im Bundestag Foto: picture alliance / AP Photo
Holocaust-Gedenkstunde
 

Die Erinnerungskultur muß sich verändern

Die Holocaust-Gedenkstunden im Bundestag und im Thüringer Landtag offenbarten erneut die Einseitigkeit und die Ignoranz deutscher Erinnerungskultur. Statt Selbstverteufelung und Autoaggression braucht es eine Historisierung der NS-Zeit. Das würde auch zu einer vernünftigeren Politik in der Gegenwart beitragen. <>Ein Kommentar von Thorsten Hinz.<>
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Die Rede des israelischen Historikers Saul Friedländer vor dem Deutschen Bundestag zum 74. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz war herzzerreißend. Friedländer wurde 1932 in Prag als Sohn jüdischer Eltern geboren. Die Familie sprach überwiegend deutsch, nur wenig tschechisch. Sie floh vor den Nazis nach Frankreich, wo der Krieg sie einholte. Um ihm weitere Strapazen zu ersparen, versteckten die Eltern den Neunjährigen in einem Internat.

Anschließend versuchten sie, in die Schweiz zu entkommen, wo sie zurückgewiesen wurden. An diesem Tag wurden nur Familien mit Kindern eingelassen. Ihr Leben endete in Auschwitz. Die Abgeordneten aller Parteien zollten dem Redner Ehrfurcht und Respekt.

Es darf nicht beim ergriffenen Gedenken bleiben

Friedländer thematisierte auch, daß mehr Deutsche als angenommen über die Judenschlächterei informiert waren. Für den Historiker Götz Aly, der zum selben Anlaß im Thüringer Landtag in Erfurt auftrat, bildete dieser Punkt eines von zwei Hauptthemen. Er zitierte aus Briefen von der Ostfront, in denen von Massentötungen berichtet wurde, und aus Schriften von Akademikern und Kulturschaffenden, die den Geist der NS-Ideologie atmeten.

Er zeichnete das Bild einer schuldig gewordenen Volksgemeinschaft, nicht weit entfernt von Goldhagens „Hitlers willigen Vollstreckern“. Alys zweites Hauptthema war die AfD, die er faktisch als Rechtsnachfolgerin der NSDAP darstellte und frontal anging.

Sein Auftritt bestätigt nur, daß man in der ergriffenen Andacht, die bei der Rede Saul Friedländers angemessen war, nicht verharren darf. Das Dritte Reich war ein totalitäres Regime, das versuchte, alle gesellschaftlichen Bereiche zu durchdringen und die Menschen mit einer Mischung aus Verführung und Terror zu seinen Komplizen zu machen.

Der Holocaust muß historisiert werden

Je länger der Krieg dauerte, um so stärker verlagerte der Akzent sich auf den Terror. Unter solchen Umständen kommt es zu kognitiven Dissonanzen. Das heißt, die Menschen ignorieren, bestreiten und verdrängen Informationen und Tatsachen, die ihnen unangenehm sind oder furchtbar erscheinen, erst recht, wenn Widerspruch – von Widerstand nicht zu reden – ins KZ oder sogar zum Tode führt.

Der von Schopenhauer inspirierte Satz aus Johann Strauss‘ „Fledermaus“: „Glücklich ist, wer vergißt, was doch nicht zu ändern ist“, mag vor diesem Hintergrund frivol klingen. Trotzdem ist er zeitlos gültig, übrigens auch in Demokratien.

Die AfD sollte Alys Attacke als Herausforderung begreifen, der Tabuisierung und Sakralisierung der NS-Zeit im politischen Diskurs wo nötig die Historisierung entgegenzusetzen und den Holocaust als einen von Deutschen – nicht den Deutschen – ins Werk gesetzten, grausigen Höhepunkt in der Gewalt- und Schreckensgeschichte des 20. Jahrhunderts verstehen, die weder mit den Nationalsozialisten begann noch mit ihnen endete.

Höcke wurde vorsätzlich mißverstanden

So verstanden verbietet sich auch die Rede von einer „deutschen Schuld“ und „deutschen Verbrechen“, wie man auch nicht von einer „russischen“, „amerikanischen“, „englischen“ oder „belgischen“ (Kongo-Greuel) Schuld spricht. „Solange das Schicksal der Wolfskinder – das sind diese Tausende von ostpreußischen Kindern, die weder Vater noch Mutter hatten und größtenteils umgekommen sind – in den deutschen Schulbüchern nicht ebenso präsent ist wie das Schicksal der Anne Frank, hinkt unser Verständnis.“

Das vom Historiker Arnulf Baring angesprochene Unwissen ergibt – aufs Ganze gesehen – ein Halbwissen, das fälschlich für das Ganze genommen wird. Zur Historisierung gehört, was der Publizist Henryk M. Broder in einen Vortrag der AfD-Bundestagsfraktion ins Stammbuch schrieb. „Es geht auch um etwas, das unsere von der Politischen Korrektheit unverdorbenen Eltern in die Worte ‚Das tut man nicht‘ faßten. Man legt die Füße nicht auf den Tisch, man rülpst nicht beim Essen, und man nennt die zwölf schlimmsten Jahre der deutschen Geschichte nicht einen ‚Vogelschiß‘.“

In der Tat! Alexander Gauland sollte den dämlichen Begriff in aller Form zurücknehmen. Auf der anderen Seite müßten die Gegner der AfD aufhören, den Ausspruch des Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke „Denkmal der Schande“ vorsätzlich zu mißdeuten. Die „Schande“ meint nicht das Denkmal, sondern den Judenmord, dem es gewidmet ist. In die Mitte der Hauptstadt plaziert, wirkt es wie ein betoniertes Stigma.

Halbwissen hat zu Realitätsverlust geführt

Zum Schluß wollte Saul Friedländer den Zuhörern noch etwas Nettes sagen: „Wir alle hoffen, daß Sie die moralische Standfestigkeit besitzen, weiterhin für Toleranz und Inklusivität, Menschlichkeit und Freiheit, kurzum, für die wahre Demokratie zu kämpfen.“ Nun ja, das war politische Theatralik.

Die gnadenlose Einseitigkeit des historischen Halbwissens hat zu Realitätsverlust, quasi-religiöser Selbstverteufelung und Autoaggression geführt. Der Modemacher Karl Lagergeld sieht die Lage realistischer, ohne sie zu durchschauen: „Selbst wenn Jahrzehnte dazwischen liegen, kann man nicht Millionen Juden töten und später dann Millionen ihrer schlimmsten Feinde holen.“ Doch, man kann! Warum und weshalb, davon müßte am 75. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung die Rede sein.

Der Holocaust-Überlebende Saul Friedländer spricht zur Holocaust-Gedenkstunde im Bundestag Foto: picture alliance / AP Photo
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