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Meinung: Chronologie der Bigotterie

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Meinung: Chronologie der Bigotterie

Unteilbar
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Unteilbar-Demonstration am Sonntag in Berlin Foto: picture alliance/Paul Zinken/dpa
Meinung
 

Chronologie der Bigotterie

Das Land, das haben die Ereignisse der vergangenen Tage wieder einmal gezeugt, ist in Aufruhr. Die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft äußert sich nunmehr nicht mehr nur verbal in den sozialen Medien, sondern auch immer mehr auf offener Straße. Ein Kommentar von Anabel Schunke.
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In Limburg fährt am vergangenen Montag ein Mann mit einem gekaperten LKW in mehrere haltende Autos und einen Transporter. Acht Menschen werden verletzt. Bei dem Mann handelt es sich um den syrischen Asylbewerber Omar A. (32), der wie so viele andere mit der Flüchtlingswelle 2015 nach Deutschland kam. Er soll nicht zum ersten Mal versucht haben, einen LKW zu kapern. Die Sicherheitsbehörden rief das dennoch nicht auf den Plan. Omar A., gegen den auch schon wegen sexueller Belästigung, Körperverletzung, Drogenvergehen und Diebstahl ermittelt wurde, ist nicht als Islamist oder Gefährder bekannt. Gegen ihn wird nun wegen achtfachen versuchten Mordes ermittelt.

Die Meldung, daß die Tat als Terror eingestuft werde, wurde indes nach kurzer Zeit wieder zurückgenommen. Die „Tagesschau“ spricht etwas ungelenk von einem „LKW-Vorfall“ und die Süddeutsche Zeitung übt sich derweil schon einmal an einem Plädoyer für den Amokfahrer, der „womöglich krank“ ist. „Auf einen Terroranschlag deute bislang nichts hin. Ermittler vermuten, daß es sich um die Aktion eines gestörten oder gescheiterten Menschen handeln könnte.“, heißt es dort.

Wie am Dienstag bekannt wurde, war bereits am Freitag zuvor Mohamad M. (23), ebenfalls syrischer Asylbewerber, über den Sicherheitszaun einer Synagoge in Berlin geklettert. Gemäß der BZ rief der Mann „Allahu Akbar“ und „Fuck Israel“, während er mit einem Kampfmesser bewaffnet geradewegs in die Arme zweier Wachleute lief, die durch ihr sofortiges Eingreifen vermutlich Schlimmeres verhindert haben. Mohamad M. bleibt daraufhin stehen, weigert sich jedoch das Messer niederzulegen.

„Psychisch krank“ als gängige Erklärung

Die kurze Zeit später eingetroffene Polizei setzt ihn mit Reizgas außer Gefecht, nimmt ihn zunächst fest. Dann der Schock: Gegen Mohamad M. wird kein Haftbefehl erlassen, da keine Haftgründe vorlägen. In der Begründung heißt es, daß Mohamad M. augenscheinlich niemanden verletzen, sondern „nur bedrohen“ wollte. Einem Amtsarzt wurde der Mann nicht vorgeführt. Er kommt zunächst auf freien Fuß, wird kurze Zeit später aber doch in die Psychiatrie eingewiesen. Ein politisches Motiv könne dennoch nicht ausgeschlossen werden.

In England ist man unterdessen etwas schneller, wenn es um die Beurteilung von „Messer-Vorfällen“ geht. Dort griff am Freitag in Manchester ein Mann mehrere Personen in einem Einkaufszentrum mit einem Messer an. Zwei Frauen und ein Mann werden mit Stichwunden ins Krankenhaus eingeliefert. Eine weitere Frau wird ambulant behandelt. Bereits kurz nach der Attacke kann ein etwa 40 Jahre alter Mann wegen Planung, Vorbereitung und Ausführung einer terroristischen Tat festgenommen werden. Premierminister Boris Johnson äußert sich unmittelbar nach der Tat und zeigt sich „schockiert“. Auch Oppositionsführer Jeremy Corbyn bringt sein Mitgefühl via Twitter zum Ausdruck.

Wieder Deutschland. Wenige Stunden nach der Attacke von Manchester sticht ein Mann in der Nacht zu Samstag mehreren Passanten mit einem Messer ins Gesäß. Die Stichwunden seien „bis zu acht Zentimeter tief“, schreibt der Stern. Der 23jährige soll zunächst gegen 3.22 Uhr einen gleichaltrigen Passanten attackiert haben. Später kehrte er zum Tatort zurück und stach erneut wahllos auf Passanten ein. Der Mann sei „offenbar psychisch krank“.

In den vergangenen Tagen überschlagen sich die Meldungen, aber keine von ihnen erzeugt solche Reaktionen wie die Tat des rechtsextremen Stephan B., der am vergangenen Mittwoch in Halle (Saale) zunächst versucht, eine Synagoge zu stürmen und anschließend, als ihm dies nicht gelingt, zwei Passanten erschießt, ehe er auf der Flucht von der Polizei festgenommen werden kann.

Schnelles Einordnen der Tat

Die Tat ist deutlich professioneller geplant als die anderen. Stephan B. trägt einen Kampfanzug, ist unter anderem mit einer Maschinenpistole bewaffnet und hortet mehrere Kilo Sprengstoff in seinem Auto. Seine Tat filmt er, ebenso wie der Attentäter von Christchurch, mit einer Kopfkamera und streamt sie live im Internet. Im Stream leugnet er den Holocaust. Für ihn seien die Juden für alles Schlechte auf der Welt verantwortlich. Auch in Haft bestätigt er noch einmal sein rechtsextremes, antisemitisches Motiv.

Wenn man es besonders zynisch formulieren will, ist Stephan B. ein bemerkenswert kooperativer Täter, der es Behörden, Medien und Gesellschaft einfach macht, seine Tat richtig einzuordnen und zu bewerten. Allein deshalb ist es nur logisch, daß der Terror von Halle eine andere mediale Aufbereitung erfährt als jene Taten, bei denen sich die Täter nicht annähernd als so gesprächig erweisen, wie Stephan B.

Darüber hinaus könnte man einwerfen, daß antisemitisch motivierter Terror auf deutschem Boden freilich aufgrund der eigenen düsteren nationalsozialistischen Vergangenheit noch einmal eine völlig andere Bestürzung in der Bevölkerung, in Medien und Politik hervorruft als jede andere Form von Terror oder gewalttätigen Übergriffen auf Menschen. Diesen eigentlich nachvollziehbaren Gedanken habe ich jedoch schnell wieder verworfen, als ich mir noch einmal ins Bewußtsein rief, wie ignorant man sich seit Jahrzehnten speziell in Deutschland gegenüber den antisemitischen Angriffen durch muslimische Mitbürger zeigt.

Wer nur wenige Tage zuvor kein Wort über die Messerattacke des Asylbewerbers Mohamad M. auf eine Berliner Synagoge verliert, der braucht in Bezug auf Halle nicht plötzlich zu moralischen Höchstleistungen auflaufen. Wer, wenn er über Haß im Netz spricht, den glühenden Antisemitismus in jeder pro-palästinensischen, israelfeindlichen Facebook-Gruppe ignoriert, der braucht sich jetzt nicht darüber beschweren, daß in Deutschland zu wenig gegen Antisemitismus getan wird. Wer Demonstrationen zuläßt, auf denen  Israelfeinde Flaggen anzünden, wer Auftritte von antisemitischen Rappern auf solchen Demos erst auf öffentlichen Druck hin in letzter Minute verbietet, die Demo aber trotzdem stattfinden läßt, der braucht sich jetzt nicht zum großen Kämpfer für „Haltung“ und Zivilcourage stilisieren.

Wut und Verzweiflung

Wer Millionen Menschen aus anderen Kulturen mit anderen teils nicht kompatiblen Werten in kürzester Zeit völlig unkontrolliert einwandern läßt, muß sich nicht darüber wundern, daß Rattenfänger von Rechts wieder Erfolge verzeichnen. Wer in diesem Zusammenhang darüber hinwegsieht, daß diese Einwanderung zu einem Großteil aus Ländern erfolgt, in denen glühender Judenhaß zum guten Ton innerhalb der Bevölkerung gehört, ist im besten Fall ein naiver Idiot, im schlimmsten ein bigotter Heuchler, der mit seiner Befürwortung der Politik der offenen Grenzen viel mehr zum wachsenden Antisemitismus innerhalb Deutschlands beigetragen hat, als es die AfD je könnte. Und apropos AfD: Wer, sobald eine Tat in das eigene Weltbild paßt, keine Gelegenheit ausläßt, diese politisch für die eigenen Zwecke zu Instrumentalisieren, muß beim nächsten islamistischen Terroranschlag nicht mit dem Finger auf die Rechtspopulisten zeigen.

Wut und Verzweiflung, das haben insbesondere noch einmal die vergangenen Tage gezeigt, entstehen in diesem Land schon lange nicht mehr vorrangig durch die Taten selbst, an deren Brutalität man sich tragischerweise fast schon gewöhnt hat. Sie entstehen auch nicht, wie fälschlicherweise von großen Teilen der Medien und Politik immer noch angenommen, durch „rechte Scharfmacher“.

Nein, sie entstehen durch jene Bigotterie der eigentlichen Verursacher dieser gesellschaftlichen Unruhe, die sich in ihrer selbstherrlichen Borniertheit immer noch auf der guten Seite wähnen. Durch Personen wie Angela Merkel, bei der man sich anhaltend fragt, wie empathie- und politisch vollkommen gespürlos eine Kanzlerin mit zig Experten um sich herum, die sie tagtäglich beraten, eigentlich sein kann. Eine Kanzlerin, deren natürliche Instinkte in den Jahren innerhalb der politischen Blase Berlins derart verkümmert zu sein scheinen, daß sie nicht bemerken will, daß sich ein wachsender Teil der Bevölkerung genau durch jene Bigotterie im Stich gelassen fühlt.

Bürger zweiter Klasse

Die es bei keiner verstörenden Attacke eines „psychisch gestörten“ Asylbewerbers, bei keinem islamistischen Terrorangriff und bei keinem kaltblütigen Mord durch einen Migranten geschafft hat, zeitnah auch nur ein Wort darüber zu verlieren, geschweige denn sich irgendwo blicken zu lassen. Die ein Jahr brauchte, um mit den Angehörigen und Opfern des Terroranschlags vom Berliner Breitscheidplatz zu sprechen, aber keine Sekunde verlor, als es um den Anschlag auf eine Moschee in Dresden oder den Terror von Halle ging. Die nicht realisiert, daß sich immer mehr Bürger von der Kanzlerin wie Menschen zweiter Klasse behandelt fühlen.

Wenn die Süddeutsche schreibt, daß Ermittler im Fall von Limburg davon ausgehen, daß es sich um die „Aktion eines gestörten oder gescheiterten Menschen“ handelt, wieso trifft diese Bezeichnung dann nicht auch auf einen Mann zu, der sich dabei streamt, wie er im Kampfanzug Bomben an einer Synagoge plaziert, Menschen willkürlich erschießt und für alles den „bösen Juden“ verantwortlich sieht? Der so überzeugt von seiner gestörten Ideologie ist, daß er jedem bereitwillig von seinem Motiv erzählt.

Wieso werden bei manchen Tätern in atemberaubender Schnelle und ohne jedwede Untersuchung durch einen Amtsarzt öffentlich psychische Krankheiten diagnostiziert? Wieso wird jemand, der mit einem Kampfmesser auf eine Synagoge zugeht und dabei antisemitische Parolen von sich gibt, wieder auf freien Fuß gesetzt? Und selbst wenn all diese Männer, vom Bahnschubser von Frankfurt bis zum Amokfahrer von Limburg, psychisch krank sein sollten: Wie geht eine Gesellschaft mit Hunderttausenden Asylbewerbern um, von denen offensichtlich eine große Zahl nicht nur kulturell überfordert und desillusioniert, sondern durch die Erfahrungen im Heimatland auch bisweilen schwer traumarisiert ist?

Muß die Stimmung erst endgültig kippen?

Macht es Taten besser, Opfer verkraftbarer, wenn sich hinterher herausstellt, daß der Täter einen an der Waffel hat? Oder müssen wir uns als moderne, aufgeklärte Wirtschaftsnation auch langsam einmal fragen, wie viel Wahnsinn aus den gewalttätigsten, frauenfeindlichsten Ländern der Erde wir hier auf begrenztem Raum ertragen können, bis die Stimmung und der Friede innerhalb der Gesellschaft endgültig kippen? Zählen nur noch die Menschenrechte derjenigen, die zu uns kommen, oder auch noch die derjenigen, die schon länger hier leben?

Auf all diese Fragen müßten nach mehr als vier Jahren Flüchtlingskrise mit all ihren Verwerfungen endlich Antworten folgen. Medial und vor allem politisch. Statt dessen werden Kritiker noch immer bekämpft  und pauschal als Nazis, Rassisten und abgehängte Wutbürger diffamiert. Noch immer wird versucht, das Hochkochen von Grundsatz-Debatten, die nicht in das politisch korrekte Schema passen, zu verhindern, indem man auf unterschiedliche Art und Weise berichtet. Dabei ist es genau diese offensichtliche Kluft in der Berichterstattung, die die Gemüter viel mehr erhitzt, als jede ehrliche Diskussion über das, was de facto schief läuft.

Das Gefährliche an dieser Entwicklung ist, daß es im Bewußtsein vieler Menschen zunehmend nicht mehr vorrangig um die Taten und ihre Opfer selbst geht, sondern um das Gefühl, selbst bei der Aufarbeitung von Politik und Medien gründlich betrogen zu werden. Wer im Umgang mit Terror und Gewalt derart offensichtlich mit zweierlei Maß mißt, der muß sich nicht wundern, daß es einem wachsenden Teil der Bevölkerung in der Aufarbeitung dessen, was passiert ist, auch nur noch um die Bewertung dieser offen zur Schau gestellten Bigotterie geht – und weniger um das, was eigentlich essentiell wäre: den Kampf einer immer fragiler erscheinenden freiheitlichen demokratischen Gesellschaft gegen ihre extremistischen Feinde aus allen Lagern.

Zweifelhaftes Agenda Setting

Diese noch immer mehrheitlich vorherrschende Vorgehensweise eines Großteils von Politik und Medien ist letztlich nicht nur der Nährboden für die wachsende Wut und Verzweiflung vieler Bürger, sie ist auch der optimale Nährboden für Verschwörungstheorien aller Art. Auf die jahrelange ideologische Verengung des öffentlichen Diskurses zu Gunsten einer linken Deutungshoheit folgt eine ideologische Verengung auf der anderen Seite, der ebenso wenig beizukommen ist. Im Endresultat gibt es immer mehr Menschen, die man nicht mehr erreicht. Die jedes Wort von etablierten Medien und Politik, selbst wenn es noch so aufrichtig gemeint ist, ins Gegenteil verkehren und als Provokation werten.

Für diese Entwicklung sind allein das zweifelhafte Agenda Setting der etablierten Medien und das fehlende Gespür der Altparteien für die eigene Beteiligung an dieser Misere verantwortlich. Die AfD – ich sage es immer wieder – ist lediglich Symptom, nicht Ursache der Verunsicherung und des wachsende Unmuts innerhalb der Gesellschaft. Wer hier immer noch mit dem Finger zeigt, um vom eigenen Versagen abzulenken, dem ist nicht mehr zu helfen.

Das Land, das haben die Ereignisse der vergangenen Tage wieder einmal gezeugt, ist in Aufruhr. Die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft äußert sich nunmehr nicht mehr nur verbal in den sozialen Medien, sondern auch immer mehr auf offener Straße. Es ist dieser Unmut auf allen Seiten und die Fragilität einer verunsicherten und von ihrer politischen Führung mehrheitlich im Stich gelassenen Gesellschaft, durch die sich haßerfüllte Psychopathen aller Couleur das letzte Bißchen vermeintliche Bestätigung zur Ausführung ihrer Taten holen.

Es braucht rationale Antworten

Was wir jetzt mehr denn je bräuchten, sind rationale Antworten von politischen und medialen Akteuren auf bestehende Probleme, die angesichts der viel größeren Gefahr durch die Verwerfungen innerhalb der Gesellschaft, die politisch korrekte Ächtung nicht mehr länger fürchten. Die politische Führungsqualitäten in Zeiten beweisen, in denen diese mehr als alles andere gebraucht werden und doch Mangelware sind. Die ein Gespür dafür besitzen, freiheitliche demokratische Kräfte innerhalb der gesellschaftlichen Mitte zu einen, statt eine weitere Polarisierung hin zu den Rändern zu erzwingen.

Die endlich wieder verstehen, daß zu dieser Mitte auch konservative und liberale Bürger gehören, deren sachliche Kritik an der derzeitigen Asylpolitik und den radikalen Auswüchsen in keinem Zusammenhang mit den kruden Ansichten eines Stephan B. stehen. Die sich mit ihren Sorgen allein gelassen und durch Pauschalisierungen sowie groteske vermeintliche Kausalzusammenhänge verunglimpft fühlen. Was wir brauchen sind endlich wieder Menschen, die erkennen, daß jedweder Extremismus eine Gefahr für die Demokratie darstellt und nicht nur der, dessen Bekämpfung gerade dem politisch-moralischen Zeitgeist entspricht.

Angesichts der vergangenen Tage, des reflexartigen Abspulens der üblichen, erwartbaren Reaktionen, fürchte ich jedoch, daß wir momentan nicht weiter davon nicht entfernt sein könnten.

Unteilbar-Demonstration am Sonntag in Berlin Foto: picture alliance/Paul Zinken/dpa
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