In keinem gesellschaftlichen Bereich hat sich ein ideologisch motivierter Reform-, Machbarkeits-, Gleichheits- und Beglückungswahn so schädlich ausgetobt wie in der Bildung. Dichtung und Wahrheit klaffen hier weit auseinander. Hier immer höhere Quoten an Studierenden, immer mehr 1,0-Abiturzeugnisse, immer bessere Hochschulzeugnisse usw. Und dort gigantische Wissensdefizite, immer mehr Rechtschreibfehler, nur noch rudimentäres sprachliches Ausdrucksvermögen, null Zahlenverständnis ohne Taschenrechner, kein Durchhaltevermögen usw. Defizite sind das, die von immer mehr Hochschulen und Ausbildungsbetrieben durch Nachhilfe- und Liftkurse bewältigt werden sollen.
Die offizielle Bildungspolitik samt der sie antreibenden progressiven Pädagogik versucht all dies zu kaschieren: mit Einheits-, Gesamt- und Gemeinschaftsschule, Ganztagsschule, Spaßschule, schülerzentriertem Unterricht, Schreiben nach Gehör, Digitalisierung und Laptop schon in der Grundschule und vielem anderem mehr.
Das Leistungsprinzip muß geachtet werden
Dabei wäre es so einfach, Schule gelingen zu lassen. Ein Heer an „Experten“ könnte man sich sparen. Worauf kommt es an?
1. Bildung geht nur mit Anstrengung. Wer das Leistungsprinzip diskreditiert, verweigert jungen Leuten die Chance, sich zu entfalten, und er entzieht dem Gemeinwesen, vor allem dem Sozialstaat, jegliche Basis. Kinder und Jugendliche wollen etwas leisten. Mit den regelmäßigen seltsamen Debatten um Schulstreß suggerieren wir unseren jungen Leuten, daß Anstrengungsbereitschaft, Durchhaltevermögen, (Selbst-)Disziplin, Wissensdurst und Neugier überflüssig seien. Wir müssen den Kindern und Jugendlichen aber wieder mehr zutrauen, dann dürfen wir ihnen auch wieder mehr zumuten. Zum Beispiel in einem klar strukturierten, fordernden Unterricht.
2. Noten müssen ehrliche Noten sein. Viele Zeugnisse sind zu ungedeckten Schecks geworden. Sie gaukeln den jungen Leuten vor, daß sie fit seien, obwohl sie es nicht sind. Deshalb müssen Politik, Schulverwaltung, Einzelschule und Einzellehrer dafür sorgen, daß Noten und Zeugnisse wieder aussagekräftige und nicht geschönte Bilanzen sind – notfalls auch gegen den Widerstand überehrgeiziger Kampfhubschraubereltern.
Wir brauchen ein differenziertes Schulwesen
3. Schule ist keine Einrichtung zur Herstellung von Gleichheit, sondern zur Förderung von Verschiedenheit und Individualität. Denn nichts ist so ungerecht wie die gleiche Behandlung Ungleicher. Eine einheitliche Schule schadet unseren Kindern. Mit ihrem Geleitzugtempo überfordert sie einen erheblichen Teil der Schülerschaft, und einen erheblichen Teil unterfordert sie. Einheitliche deutsche Gesamtschule hat zudem eine Geschichte durchschlagender Erfolglosigkeit hinter sich. Gesamtschüler rangieren hinsichtlich Wissen und Können um bis zu zwei Jahre hinter Realschülern, wiewohl die Gesamtschule immer privilegiert ausgestattet war. Was wir brauchen, ist ein differenziertes Schulwesen mit klaren Schulformprofilen sowie ein Bildungswesen, das Spätstartern eine vertikale Durchlässigkeit garantiert.
4. Der Mensch beginnt nicht beim Abitur. Deutschland ist immer gut gefahren mit seinen nichtgymnasialen Bildungswegen, vor allem mit der beruflichen Bildung im dualen oder im vollzeitschulischen System. Eine Pseudoakademisierung der Gesellschaft ist ein Irrweg. Deshalb muß Schluß sein mit der fixen Idee, daß man ohne Abitur keine Chance habe. Das Gegenteil ist der Fall, wenn man den eklatant sich vergrößernden Fachkräftemangel anschaut. Zudem gilt: Wenn alle am Gymnasium sind, ist keiner mehr am Gymnasium, und wenn alle Abitur haben, dann hat keiner mehr Abitur.
5. Wer nichts weiß, muß alles glauben; deshalb brauchen wir Lehrpläne statt Leerpläne. Unter dem Einfluß einer hysterisierten Pisa- und Lehrplanentrümpelungs-Debatte soll es in der Schule nur noch um die Vermittlung von „Kompetenzen“ gehen. Diese gedeihen aber nur auf der substantiellen Basis fachlicher Inhalte. Wir müssen unseren jungen Leuten wieder konkretes Wissen und Können beibringen und abverlangen. Es ist dies auch eine Frage der politischen Mündigkeit. Von Schülern nur zu erwarten, daß sie über Download-, Just-in-Time- und Instant-Knowledge verfügen, gefährdet deren Entwicklung zur Mündigkeit.
Die Eltern sind in der Pflicht
6. Es gibt keine Bildungsoffensive ohne häusliche Erziehungsoffensive. Der Staat darf nicht zur Erziehungsmacht werden, weil damit Eltern entmündigt werden. Zudem ist Ganztagsschule zugleich Entschulung von Schule und Verschulung von Freizeit. Oder noch einfacher: Wenn es zu Hause nicht klappt, dann klappt es in der Schule auch nicht. Eltern stehen in der Verantwortung; das Grundgesetz sieht dies in Artikel 6 (2) vor: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“
7. Es ist das Schicksal eines Volkes, wie es seine Lehrer achtet. Die Autorität des Lehrerberufes und damit der Schulen insgesamt hat gelitten. Die Folge ist, daß Schüler die Schule oft nicht mehr ernst nehmen. Es geht aber nicht ohne Autorität, was etwas anderes ist als autoritäres Verhalten. Lehrer und Schüler können nicht Kumpel auf Augenhöhe sein.
Zum Schluß: Alle Verirrungen „progressiver“ Pädagogik gehen zu Lasten der schwächsten Schüler. Kinder bildungsbürgerlicher Herkunft bekommen die Mängel „reformierter“ Schulen durch ihre Eltern oder durch Nachhilfe oder durch Privatschulen ausgeglichen. Außerdem gilt: Einmal keine Reform, das wäre doch mal eine Reform. Auf daß sich die Schulen wieder konsolidieren können. Und schließlich sind Schüler keine Versuchskaninchen; sie haben nur eine Bildungsbiographie, mit der es verantwortungsvoll umzugehen gilt.
JF 45/18