Rechtsruck! Untergang des Abendlands! Internierungslager!: Auch wenn noch gar nicht feststeht, welche Auswirkungen der Asylkompromiß zwischen CDU und CSU überhaupt haben wird, ist das Wehklagen auf der politisch anderen Straßenseite laut. Grüne und Linkspartei können ihre Empörung nur schwer verbergen und auch einige Journalisten haben Mühe, den Tiefschlag zu verdauen, daß Seehofer und seine CSU noch immer der Regierung angehören.
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, sieht nicht weniger als die Demokratie und die Menschlichkeit beschädigt. Es sei bezeichnend, daß das Wort Humanität überhaupt nicht in der Einigung vorkomme. „Für mich ist es nicht nur eine große Enttäuschung, sondern es ist eine Absage an gemeinsames europäisches Handeln. Herr Seehofer hat nicht gewonnen, Frau Merkel hat nicht gewonnen, aber die Demokratie hat Schaden genommen.“
„Wenn die SPD dem zustimmt, dann wird sie bis zum Ende der Legislaturperiode nichts anderes sein als eine lahme Ente.“ Katrin @GoeringEckardt zu den Entwicklungen der #Regierungskrise. pic.twitter.com/NXQ8riit5l
— Andreas Kappler (@GruenSprecher) 3. Juli 2018
Grünen-Chefin Annalena Baerbock fürchtet nun, die Regierung könnte Asylbewerber künftig in Internierungslagern unterbringen.
Einen Innenminister zu halten, d sein Amt für CSU Rechtsruck missbraucht, ist kaum zu ertragen. Wer als Schmiermittel dafür Internierungslager einrichtet, verabschiedet sich vom Wertekompass unseres Landes. Wer Humanität gegen angebliche Ordnung ausspielt, verliert am Ende beides
— Annalena Baerbock (@ABaerbock) 2. Juli 2018
Auch Grünen-Urgestein Jürgen Trittin schäumt, das „Schmierentheater der CSU“ gehe zu Lasten der Flüchtlinge.
#Merkel belohnt das Schmierentheater der #CSU zu Lasten von Geflüchteten. Zeigt nun die #SPD bei den von ihr einst abgelehnten Grenzlagern die gleiche Beharrlichkeit wie die Regionalpartei? https://t.co/EDrzOhxO8T via @faznet
— Jürgen Trittin (@JTrittin) 3. Juli 2018
In Wahrheit handle es sich beim Streit der Unionsparteien um einen „Putschversuch zum Sturz Merkels“, an dem sich auch Springer-Medien beteiligten. Ziel sei die „Rückkehr der Deutschnationalen“.
Es sind nicht die Hormone, bei #Merkel gegen #Seehofer Es geht es um einen #Putschversuch zum Sturz Merkels. Sekundiert von Springer und der @Bild wird der Rückkehr der Deutschnationalen der Boden bereitet. Zeit für die Vertrauensfrage.https://t.co/jIzeNTRiDk
— Jürgen Trittin (@JTrittin) 2. Juli 2018
Während APO-Opa Trittin noch vom ewigen Kampf gegen Springer träumt, ist der Parteinachwuchs schon einen Schritt weiter. Warum sich mit der Regierungspresse anlegen, wenn man die Regierung und ihre Institutionen direkt angreifen kann. Am besten mittels Halbverdautem:
Wenn heute nochmal jemand von @CDU oder @CSU „das ist ein guter Tag für Deutschland“ sagt, muss ich vors Innenministerium kotzen.
Das ist für niemanden ein guter Tag. Außer für die Rechten. #Seehofer #Asylstreit
— Ricarda Lang (@Ricarda_Lang) 2. Juli 2018
Die Linkspartei bläst entrüstet ins gleiche Horn. Bei den geplanten Transitlagern handle es sich de facto um „Internierungslager“, weiß Linken-Chef Bernd Riexinger. Die Menschlichkeit bleibe dabei auf der Strecke.
#Transitzentren sind de facto #Masseninternierungslager. Die Menschlichkeit bleibt auf der Strecke. Wo bleibt die Reaktion der #SPD oder regiert eine reine #Unionskoalition?
— Bernd Riexinger (@b_riexinger) 2. Juli 2018
Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, geht noch einen Schritt weiter: Es drohe die „Dehumanisierung“ Deutschlands und Europas. Die gesamte EU verkomme zum „flüchtlingsfeindlichen Lagersystem“.
Die Ergebnisse des sog. Kompromisses der Unionsfraktionen zu #Transitzentren und die EU-Beschlüsse lassen die EU zu einem flüchtlingsfeindlichen Lagersystem verkommen. Seehofer hat von Merkel einen Freibrief zum offenen Bruch EU-Rechts erhalten. https://t.co/ILs6d1zQiB @ProAsyl
— Ulla Jelpke, MdB (@UllaJelpke) 3. Juli 2018
Udo Wolf, Fraktionsvorsitzender der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus, greift derweil zu trendigen Hilfsmitteln, um seiner Empörung über das „Regime“ Merkel und Seehofer zum Ausdruck zu bringen. Diese würden die Toten im Mittelmeer für ihre Politik billigend in Kauf nehmen. Darauf kann es von Wolf nur einen Antwort geben: den wütend-zensierten-Schimpfsmiley.
Die Differenz zwischen #Seehofer und #Merkel ob ein Regime der Unmenschlichkeit ggü. Geflüchteten und weitere billigende Inkaufnahme von Toten im Mittelmeer mit europäischem Segen oder im nationalen Alleingang verfestigt werden soll, ist mit sowohl als auch entschieden worden ?
— Udo Wolf (@UdoWolfMdA) 3. Juli 2018
Eher resigniert hingegen äußert sich der Korrespondent der DuMont-Hauptstadtredaktion, Markus Decker. Mit traurigen Augen blickt er von seinem Twitter-Account und läßt sich zu einem anklagenden Wortspiel hinreißen:
2015: Refugees welcome. 2018: Refugees welcome in prison. #Regierungskrise
— Markus Decker (@Herr_Decker) 3. Juli 2018
ARD-Journalist Marko Milovanovic hingegen ist sichtbar angefressen. Da hat die Union schon so wenige weibliche Spitzenpolitikerinnen und dann das: CDU-Vize-Julia Klöckner mit einer verbalen Blutgrätsche. Die Landwirtschaftsministerin hat das Wort „Asyltourismus“ verwendet, was für Milovanovic offenbar auf der Schlimmheitsskala nur knapp unter „Ausländer raus!“ rangiert.
Julia Klöckner sagt jetzt auch „Asyltourismus“. Die CSU hat gewonnen. Und die AfD erst recht.
— Marko Milovanovic (@herrmilovanovic) 2. Juli 2018
Journalismus-Pensionist und SPD-Neumitglied Cordt Schnibben hingen tut das, was wir Journalisten am besten können: mahnende Ratschläge vom Spielfeldrand geben. Wer den „Amokläufer Seehofer“ im Amt lasse, dürfe sich über Politikverdrossenheit nicht beklagen.
Sagt mal, ihr da in Berlin, wenn ihr euch auf einen Vorschlag geeinigt habt, der uralt ist und von der SPD abgelehnt wurde: Spielt ihr Schwarzer Peter oder regiert ihr? Und ihr wollt den Amokläufer #Seehofer im Amt lassen? Bitte nie mehr über Politikverdrossenheit wundern!
— Cordt Schnibben (@schnibben) 2. Juli 2018
Und wo die Sorge vor der Politikverdrossenheit blüht, da gedeiht auch die Angst vor dem Untergang des Abendlandes, weshalb Thorsten Denkler von der Süddeutschen Zeitung eine gute Stunde vor Mitternacht auf Twitter raunend das Alarmglöckchen schlägt.
Nur mal so gefragt: Werden dann in diesen #Transitzentren auch Familien eingesperrt? Mit Babies und Kleinkindern? So wie @realDonaldTrump das an der Grenze zu Mexiko macht? #UntergangdesAbendlandes https://t.co/xEUoQfzblB
— Thorsten Denkler (@thodenk) 2. Juli 2018
Bernd Ulrich von der Zeit glänzt derweil in der zweiten journalistischen Königsdisziplin: Der Worthuberei. Das ganze sei kein Kompromiß, so Ullrich. Sondern, und da kennt sich der einstige Grünen-Mitarbeiter aus, ein „Kompromat“. (Für Leser, die nur über einen ärmlichen Durchschnittswortschatz verfügen, sei hier auf Wikipedia verwiesen).
Das ist kein Kompromiss – das ist ein Kompromat #Seehofer #Merkel #CDU #CDU
— Bernd Ulrich (@berndulrich) 3. Juli 2018
Sein Kollege Mohamed Amjahid dagegen ist nur erleichtert, daß er zu diesem Deutschland nicht dazugehört. Sonst liefe er wohl Gefahr, daß sein Deutschenhaß in Selbsthaß umschlägt.
Ich bin so so so erleichtert, dass ich in #Almanya nicht wählen darf und mit dieser Scheiße direkt nichts zu tun habe. I would hate myself yaani.
— Mohamed Amjahid (@mamjahid) 2. Juli 2018