Die jährliche „State of the Union“-Rede des amerikanischen Präsidenten ist kein Ort für Kontroversen. Der Amtsinhaber stellt die Errungenschaften seiner Administration vor, lobt von ihm ausgewählte Gäste für ihren Einsatz für die Gesellschaft und bemüht sich allgemein um einen auf Ausgleich bedachten Ton.
Eine Ausnahme von dieser Regel bildete Barack Obama, der in seiner Rede 2010 offen gegen den Obersten Gerichtshof schoß und damit die anwesenden Richter an Amerikas höchstem Gericht brüskierte. Die waren auch diesmal vertreten – mit einer Ausnahme. Die linksliberale Richterin Ruth Bader Ginsburg boykottierte die Veranstaltung.
Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Demokraten
Viele Demokraten-Abgeordnete kamen entweder gar nicht oder aus Protest schwarz gekleidet und zogen eine Miene, die nur noch von der der First Lady Melania Trump übertroffen wurde. Die in den Medien kolportierten Trennungsgerüchte werden nach dem gestrigen Abend sicher nicht weniger werden.
Inhaltlich war die Rede Trumps über weite Strecken erwartbar: Die Abschaffung der individuellen Versicherungspflicht und die größte Steuerentlastung seit Ronald Reagan waren die beiden großen Errungenschaften, die Trump unter dem Applaus der republikanischen Abgeordneten pries.
Beim Thema Einwanderung betonte er erneut seinen Willen zur Zusammenarbeit mit den Demokraten und seine Bereitschaft, den 1,8 Millionen im Land befindlichen Kindern von illegalen Einwanderern zu einem legalen Status zu verhelfen. Auch die angekündigte Strafrechtsreform darf als ausgestreckte Hand in Richtung der Demokraten interpretiert werden. Die blieben auf ihren Plätzen sitzen und verweigerten dem Präsidenten auch dann den Beifall, als dieser steigende Löhne und die Entstehung von Arbeitsplätzen lobte.
Schwierigkeiten beim Ablesen vom Teleprompter
Hingegen zeichnet sich immer mehr ab, daß Trump die in ihn gesetzten außenpolitischen Erwartungen nicht zu erfüllen bereit ist. Gegenüber Nordkorea trat er gestern erneut für einen harten Kurs ein. Das Gefangenenlager Guantanamo soll weiterhin geöffnet bleiben – und mit ihm das rechtsstaatliche Vakuum, das seit 2002 Amerikas internationale Glaubwürdigkeit erschüttert.
Verrissen wurde Trumps Rede von Late-Night-Comedians wie Stephen Colbert oder Trevor Noah. Letzterer machte sich besonders darüber lustig, daß der Präsident mehrfach selbst seine eigene Rede beklatschte. Nicht nur bei Comedians sorgte erneut Trumps Art, seine Rede vom Teleprompter abzulesen, für Belustigung. „Er scheint immer vom nächsten Wort überrascht zu sein“, kommentierte CNN-Analyst Chris Cillizza, das oft abgehakte Sprechen des Oberbefehlshabers der Streitkräfte. Zumindest im Ablesen vom Teleprompter – eine Domäne von Ex-Präsident Barack Obama – gibt es für Trump in der Tat noch Luft nach oben.