Er überrascht. Er ärgert. Er macht Mut. Es kommt auf den jeweiligen eigenen Standpunkt an. Rainer Maria Woelki irritiert nun jene, die einst berechtigte Kritik an ihm für böse hielten – und nun selbst Kritik üben. Doch der Kölner Kardinal zeigt seit einiger Zeit mit für viele beeindruckender Konsequenz, daß er sehr wohl ein Profil hat, und zwar ein sehr katholisches. Manche nennen das konservativ. Als sei das dasselbe. Katholisch. Also ein für einen Purpurträger ganz normales und logisches Profil.
Einst fiel er auf mit einem Schlepperboot als Altar, mit populistischen Attacken gegen eine Partei und deren Volksnähe, ließ giftgrün #gutmensch auf öffentliche Papierkörbe sprayen. Nun rätseln manche, woran es wohl liegen könnte, daß derselbe mit theologischer Geradlinigkeit auffällt. Hobbypsychologen beobachten eine neue Freiheit und ein Zu-sich-selbst-kommen des Metropoliten seit dem Tod des für ihn stets wichtigen und ihn fördernden „Übervaters“ Joachim Kardinal Meisner.
Andere, die in einen ihnen passend zu sein scheinenden – auch in der Flüchtlingspolitik – politisch korrekten Erzbischof verliebt waren und endlich einen anderen Weg für das wichtige Erzbistum auszumachen schienen als unter dem ach so „konservativen“ Vorgänger Meisner, der mit seinem unbedingten und mutigen Ja zum Lebensrecht eines jeden Menschen und theologischer Entschiedenheit aneckte, sind entsetzt.
Lichtvoll und unabhängig katholisch
Nun ist Woelki, der seinen eigenen Weg vielleicht auch im Absetzen von seinem Mentor zu suchen schien, in wesentlichen Fragen ebenfalls klar und mutig. Seine Aussagen zum Lebensschutz lassen keinen Zweifel zu. Woelki ist bekennender Lebensschützer. Und seine Verteidigung der heiligsten Eucharistie, dem Kern des katholischen Glaubens und der Kirche, sind ebenso lichtvoll wie unabhängig katholisch. Auch Kritiker seiner (früheren) tagespolitischen Irritationen müssen ihm heute aufrichtig Abbitte leisten. Das gebietet schon allein die Fairness. Woelki ist (inzwischen) mehr.
Die Profilsuche, die ja jedem Menschen zusteht, wie auch die berechtigte Notwendigkeit, die eigene Handschrift zu suchen und zu finden, ist zu einem beeindruckenden Ergebnis gekommen. Im sogenannten Kommunionstreit bot er dem Kardinalsmitbruder aus München die Stirn, ließ sich von einem Mehrheitsbeschluß der Bischofskonferenz aus Gründen der Wahrheitsverpflichtung nicht irritieren.
Er wandte sich – zusammen mit einigen anderen Bischöfen – an Rom und bat um Klärung. Jetzt bekam er von oberster Stelle Recht. Ein Brief aus dem Vatikan „überraschte“ Kardinal Marx, und er bestätigte den Kölner Kardinal. Das Gespräch mit Franziskus, das Woelki suchte, scheint diesen auch von der theologischen Logik beeindruckt zu haben. Schließlich geht es bei der Kernfrage des Katholischen nicht nur um den Blick auf die Protestanten, sondern auch um das ökumenische Miteinander mit der Orthodoxen Weltkirche.
Woelki will wohl keinen Zweifel aufkommen lassen, daß es einem Bischof heute um Wesentliches gehen muß – und darum, die Wahrheit notfalls auch gegen Mehrheiten einer austauschorientierten Konferenz zu verkünden – sei es gelegen oder ungelegen. Zumal dann, wenn – im Unterschied zur apostolischen Hirtenverantwortung des einzelnen Bischofs in Gemeinschaft mit der Universalkirche – die medienwirksame Konferenz theologisch ein Nullum, ein im geistlichen Aufbau der Kirche nicht vorgesehenes Element ist und keinesfalls über der theologischen Verantwortung des Episkopus in seiner Diözese stehen kann.
Anvertrauten Mut und Hilfe geben
Die katholische Kirche ist eben keine Konferenzgemeinschaft, sondern hierarchisch strukturiert und hat sich am Auftrag des Gottessohnes zu orientieren. Und dieser Auftrag ist klar und deutlich. Gestern, heute und morgen. Dazu gehören unerschrockene Hirten, die sich nicht vom auswechselbaren Zeitgeist irritieren lassen und den ihnen Anvertrauten Mut und Hilfe geben wollen und können.
Ein Bischof muß und sollte zum Beispiel noch wissen, daß das Allerheiligste, also das Sakrament des Altares, die Eucharistie, letztlich DER Allerheiligste ist, der nach katholischem Verständnis nicht nur symbolisch, sondern ganz real gegenwärtig ist. Da muß die Kirche absolut sicherer und standfester, verläßlicher Treuhänder sein. Woelki sprach an Fronleichnam, also dem Hochfest, an dem die katholische Kirche genau diese Wahrheit feiert und öffentlich verkündet, folgerichtig dramatisch davon, daß es hier um Leben und Tod geht.
Kritiker sind auch Menschen
Tatsächlich ist die Kommunion weder Eigentum des Bischofs oder der Kirche noch Mittel zum Zweck der Einheit. Sie ist vielmehr Ausdruck der vorhandenen Einheit derer, die daran glauben – und damit katholisch sind, sprich: den katholischen Glauben bekennen. Gewiß, manchen fällt es, um auf das neuerliche Augenreiben im Blick auf den Kölner Kardinal zurückzukommen, nicht gerade leicht, Fortschritte und weitere Profilierungen zu respektieren. Aber auch Kardinäle sind Menschen, die Respekt verdienen. Und Christen sollten stets bereit sein zur (Selbst)Korrektur und zum Erkenntniszuwachs. Auch im Miteinander, wozu Vergebungsbitte ebenso gehört wie Vergebung.
Das jetzt erkennbare theologische Profil des Kölner Purpurträgers macht vielen Mut und öffnet Horizonte der Hoffnung. Die Kirche, das zeigt der Kölner unerschrocken, ist Anwältin der geoffenbarten Wahrheit, also mehr als eine Gutmensch-Jesus-NGO. Daß dieser innere Kompaß und dieses Koordinatensystem in einer wahrheitsphoben Zeit, die auch in die Kirche selbst hineinwirkt und Spuren hinterläßt, nicht nur Applaus bekommen, weiß auch ein Rainer Maria Woelki.