Wenn es ernst wird, gilt das Wort des Generals de Gaulle: „Das Schwert ist die Achse der Welt.“ Militärische Stärke ist und bleibt der erste Maßstab im Ringen um globale Macht. Die Deutschen haben sich da längst aus der Geschichte verabschiedet, und bei ihnen dreht sich im Ernstfall alles um die „German Angst“, die die Russen übrigens meisterhaft zu beleben vermögen.
Das war schon im Kalten Krieg so, Stichwort Friedensbewegung und Nachrüstung. Das wird sich vermutlich auch jetzt wieder zur Hysterie steigern, gepaart mit Arroganz gegenüber Washington. Aber diesmal ist es ziemlich egal, ob die Deutschen Angst haben oder nicht. Das wird die Ereignisse in Nahost nicht beeinflussen.
Entscheidend sind die militärischen Möglichkeiten der westlichen Alliierten plus Israel auf der einen und der russisch-syrisch-iranischen Achse auf der anderen Seite. Denn das ist auch klar: Es geht bei dem verbalen oder tatsächlichen Schlagabtausch nicht nur um Drohungen und eine Strafaktion gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, sondern um die Stärke der Präsenz, mithin um den Primat, die Entscheidungsmacht in dieser Schlüsselregion der Welt.
Syrien ist in diesem Kontext „nur“ die Operationsfläche, das konkrete Schlachtfeld. Der Einsatz von Chemiewaffen ist allerdings auch mehr als nur ein Anlaß für die Intervention. Chemiewaffen sind die Abschreckungswaffen der nuklearen Habenichtse, die großen Bomben der kleinen Diktatoren. Schon für Hafez al Assad, den Gründer der syrischen Diktatorendynastie, war sie das Mittel der Abschreckung.
Ein paar Raketen reichen nicht aus
Er hätte sie aber nie eingesetzt, dafür war er zu klug. Nicht umsonst nannten ihn die libanesischen Intellektuellen gern den „Bismarck des Vorderen Orients“. Sein Sohn hat von ihm zwar die Skrupellosigkeit und Brutalität geerbt, aber offensichtlich nicht die strategische Klugheit. Sonst hätte er vor einem Jahr und vermutlich auch diesmal diese rote Linie nicht überschritten und damit Washington die Gelegenheit geboten, massiv Flagge und Präsenz zu zeigen.
Bis zur Demonstration der Stärke wird es jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach noch etwas dauern. Für gezielte Schläge reichen ein paar Raketen nicht aus. Man muß auch an die Reaktionen denken, erst recht angesichts der russischen Drohungen. Für den Fall, daß Moskau zurückschlagen sollte, dürfen die Fregatten und Stützpunkte nicht wehrlos sein. Deshalb ist es sehr wahrscheinlich, daß Washington mit dem Schlag wartet, bis die schwimmenden Festungen, die Flugzeugträger der Nimitz-Klasse, sich in den Wellen des östlichen Mittelmeers wiegen.
Bis dahin spielt man am besten auf Zeit, auch wenn das den Präsidenten zunächst blamiert und als Maulhelden dastehen lässt. Aber das dürften ihm die Generäle erklärt haben: Von den elf amerikanischen Flugzeugträgern sind derzeit sieben einsatzbereit, und die zwei der Nimitz-Klasse auch unterwegs. Aber die USS Harry S. Truman ist erst Mittwoch nach einer Generalüberholung aus der Werft in Norfolk in Virginia ausgelaufen, und der Träger Theodore Roosevelt dampft im thailändischen Meer durch die Wogen. Beide haben je neunzig Jagdbomber an Bord, hinzu kommen Abfangjäger zum Schutz der schwimmenden Festungen.
Ist der Tod durch Chemiewaffen so viel bedeutsamer?
Für die mehr als 9.000 Kilometer bis ins östliche Mittelmeer braucht Träger Truman eine gute Woche, ähnlich lange dauert es für Roosevelt. Frankreichs Träger Charles de Gaulle liegt in Toulon auf dem Trockendeck, die französischen Mehrkampfflugzeuge vom Typ Rafale könnten allenfalls von ihren Stützpunkten in Jordanien und in den Vereinigten Arabischen Emiraten starten, werden das aber nicht alleine tun. Damit würden sie die raketenbestückte Fregatte Aquitaine gefährden, die bei Zypern gesichtet worden ist, aber keinen Schutz aus der Luft hat.
Ähnliches gilt für die britischen Stützpunkte auf Zypern. Faktisch wäre ein Angriff auf Ziele in Syrien also zwar möglich, aber das Risiko des russischen Gegenschlags ist zu groß. Man wird warten und die Zeit nutzen, um die weiteren Schritte zu bedenken. Auch für diese Operation gilt die alte Feldherrn-Weisheit: Man weiß immer wie ein Krieg anfängt, aber nie wie er aufhört. Und ohne strategische Ziele ist auch diese Operation sinnlos.
Man kann sich in der Tat fragen, warum die mittlerweile mehr als 600.000 Toten dieses Krieges nicht zur Intervention geführt haben, die hundert Toten von Duma aber schon. Oder warum die 70.000 Menschen, darunter die Hälfte Kinder und Alte, die in den Folterkellern des Monsters von Damaskus umgebracht wurden, keine Intervention gerechtfertigt haben, die hundert Toten von Duma aber schon. Oder warum zählen die Toten von Afrin nicht, die von Duma aber schon? Ist der Tod durch Chemiewaffen so viel bedeutsamer?
Die Rückkehr Amerikas in die Region
Das geostrategische Ziel der Operation Assad ist die Rückkehr Amerikas in die Region. Als Seemacht mit einem Militärbudget, das etwa doppelt so groß ist wie der gesamte deutsche Bundeshaushalt, muß Washington keine festen Stützpunkte wie die Kontinentalmacht Rußland haben. Man wird so viele Chemiewaffen vernichten, wie es geht. Das Regime Assad wird einiges in die russischen Stützpunkte und auch seine Eliteeinheiten dort in Schutz bringen in der richtigen Annahme, daß die Alliierten diese Stützpunkte nicht angreifen werden.
Washington ist an einer Eskalation mit Rußland nicht gelegen. Hinter der Strafaktion gegen Assad verbergen sich zwei andere, weit wichtigere Ziele. Zum einen will man dem Nato-Partner Türkei zeigen, daß er mit seiner Annäherung an Putin auf das falsche Pferd in Nahost setzt und ihren Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan auch deutlich davor warnen, über die Region Afrin hinaus gegen die andere Kurdenregion im Norden Syriens vorzurücken.
Denn dort sind 2.000 amerikanische Soldaten stationiert, die jetzt einen zweiten Stützpunkt aufbauen und keine Anstalten machen, in nächster Zeit abzuziehen. Zum zweiten bringt man sich gegenüber dem Iran in Position. Das ist der gefährlichere Gegner. Denn der hantiert nicht nur mit Chemiewaffen, sondern bastelt an der Bombe. Davon ist der neue Sicherheitsberater Trumps, John Bolton, überzeugt. Die Israelis auch.
Und selbst wenn die Mullahs sich derzeit vorsichtig zurückhalten, in acht Jahren, wenn der Vertrag ausläuft, könnten sie ganz legal und offen diese militärische Option entwickeln und inzwischen in ihren unterirdischen Anlagen Uran anreichern. Das können und werden Israel und seine neuen Verbündeten, Riad und Kairo, nicht zulassen. Sie drängen Trump zum Handeln. Und wenn nicht alles täuscht, bringt sich Washington dafür in Position.
Israel ist der Festlandsdegen der amerikanischen Seemacht
Aber es geht auch nicht nur um die potentielle Zerstörung iranischer Nuklearanlagen. Die Achse Kairo-Tel Aviv-Riad-Washington will generell den wachsenden Einfluß Irans in der Region eindämmen und damit auch den russischen Einfluß zurückdrängen. Das hat religiöse Gründe – über allen Konflikten schwebt der schiitisch-sunnitische Gegensatz – und wirtschaftliche. Denn die Region bleibt auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, ein Epizentrum der Weltwirtschaft. Das kann auch Washington, ein Mann wie Trump sowieso, nicht ignorieren. Da riskiert man auch mal einen Schlag, jedenfalls solange man das Schwert noch in der Hand hat.
Und Israel? Israel ist der Festlandsdegen der amerikanischen Seemacht, de facto die Festung im islamischen Meer. Es ist eine Festung mit geballter militärischer und technologischer Macht. Innerhalb einer Stunde könnte die israelische Luftwaffe die russischen Stützpunkte in Syrien vernichten. Auch Assad selbst und die Hisbollah im Libanon haben dieser Streitmacht nichts entgegenzusetzen. Israel ist die Reserve.
Deshalb hält sich Jerusalem derzeit zurück, sendet aber Signale der Entschlossenheit aus. Für diesen Staat geht es immer ums Ganze. Das wissen die Mullahs, die Assad-Clique und auch die Russen. Ihre Reaktionen werden kleinlauter. Aber die Maschine ist in Gang gesetzt und ob die Operation läuft, wird man in einer guten Woche sehen.