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Deutsch-französisches Verhältnis: Ein neuer Élysée-Vertrag ist nicht nötig

Deutsch-französisches Verhältnis: Ein neuer Élysée-Vertrag ist nicht nötig

Deutsch-französisches Verhältnis: Ein neuer Élysée-Vertrag ist nicht nötig

Merkel Macron
Merkel Macron
Emmanuel Macron und Angela Merkel am vergangenen Freitag vor dem Élysée-Palast Foto: picture alliance/AP Photo
Deutsch-französisches Verhältnis
 

Ein neuer Élysée-Vertrag ist nicht nötig

Frankreich braucht seine Revolutionen. Wenn es keine sozialen oder politischen Anlässe gibt, werden eben welche inszeniert. Ein symbolträchtiger Ort, der Hauch der Geschichte, Pathos und Visionen. Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hat all diese Zutaten zusammengetragen. Es war eine Inszenierung, wie er sie liebt: Dunkles zu beschwören, um selbst als weißer Ritter aufzutreten. Ein Kommentar von Jürgen Liminski.
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Frankreich braucht seine Revolutionen. Wenn es keine sozialen, politischen oder sonstigen Anlässe gibt, werden eben welche geschaffen und inszeniert. Dazu bedarf es einiger Ingredienzen: Ein symbolträchtiger Ort, der Hauch der Geschichte, Pathos, Visionen und Institutionen, die man abschaffen (gegebenenfalls auch köpfen) oder neu erfinden kann. Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hatte all diese Zutaten zusammengetragen, als er sich gemeinsam mit der Bundeskanzlerin vor allem an die junge Generation in Frankreich und Deutschland richtete.

Sie trafen sich in dem Raum, in dem die Vorgänger der beiden, Charles de Gaulle und Konrad Adenauer auf den Tag genau vor 55 Jahren den Élysée-Vertrag unterzeichnet hatten und gemeinsam beschwörten sie die Zukunft Europas in dieser von Umbrüchen charakterisierten Zeit, in der die deutsch-französische Freundschaft eine Konstante darstelle. Und damit diese karolingische Konstante noch stabiler und fruchtbarer werde, soll im Laufe des Jahres ein neuer Élysée-Vertrag ausgearbeitet werden.

Braucht es diesen neuen Vertrag wirklich? In diesem mittlerweile gefühlt zehnten Appell zur grundsätzlichen Erneuerung Europas plädierten beide für eine Vertiefung der deutsch-französischen Freundschaft, während eine Delegation der Abgeordneten der Nationalversammlung unter Führung des Präsidenten des französischen Parlaments Francois de Rugy sich mit ihren Kollegen des Bundestags in Berlin trafen und gemeinsam eine Resolution verabschiedeten, in der die Erneuerung des Élysée-Vertrages noch einmal angekündigt wurde, als ob die beiden Regierungschefs dafür nicht reichten.

Freundschaft ohne Integrationshuberei

De Rugy, ein treuer Gefolgsmann Macrons, ließ es sich auch nicht nehmen, bei dieser Gelegenheit vor nationalistischen Auswüchsen in Europa zu warnen. Es war eine Inszenierung, wie Macron sie liebt: Dunkles zu beschwören, um selbst als weißer Ritter aufzutreten. Denn die Route zur Rettung Europas hat er schon bei seiner Grundsatzrede in der Sorbonne im vergangenen Herbst vorgezeichnet.

Dazu gehört eine Wirtschaftsregierung der Euro-Zone mit einem eigenen Finanzminister und einem starken eigenen Budget. In diesem Zusammenhang sind auch die Vorschläge des Kommissionspräsidenten Jean Claude Juncker zu sehen und bezahlen sollen die Zeche dieser revolutionären Bestrebungen natürlich die Deutschen. Dafür muss man sie noch stärker an Frankreich binden, denn der alte Élysée-Vertrag gibt diese Unterwerfung nicht her.

Der alte Vertrag spricht sich zwar für eine stärkere Konvergenz in nahezu allen politischen und gesellschaftlichen Bereichen aus. Aber er wurde geschlossen in einem Geist der Freundschaft ohne Integrationshuberei. Für Adenauer und de Gaulle war nach dem Jahrhundert der Kriege und Feindschaft die deutsch-französische Freundschaft eine Grundlage für die Außenpolitik beider Länder.

Der alte Vertrag reicht aus

De Gaulle formulierte es so: „Wenn es eine Nation gibt, mit der das französische Volk zum Besten Europas kooperieren sollte, so ist es das deutsche. In der Vergangenheit sind hier zu viele Fehler gemacht worden“. Und: „Die Deutschen wird es in Europa immer geben, die Amerikaner nur vielleicht“. Es war ein Wort wie aus der Gedankenwelt Bismarcks, der seinen Epigonen die Weisheit hinterließ: Die einzige Konstante der Außenpolitik ist die Geographie.

Solche Weisheiten führten zum Élysée-Vertrag vom 22. Januar 1963. Der Vertrag verpflichtet beide Regierungen zu Konsultationen in allen wichtigen Fragen der Außen-, Sicherheits-, Jugend- und Kulturpolitik. Das gilt noch immer. Man kann weiterführende Verträge in einzelnen Bereichen schließen, ein neuer Grundlagenvertrag ist nicht nötig.

Beispiel Verteidigung: Einer der Nachfolger de Gaulles, Jacques Chirac, vertiefte den Élysée-Vertrag, als er sagte: Es gehe um mehr als Solidarität, „Solidarität, das ist auch mehr als Freundschaft. Freundschaft ist für mich mit Blick auf die Deutschen selbstverständlich, aber Solidarität geht weiter. Ich verbinde damit ein echtes Gefühl der Brüderlichkeit. Es gibt keine Freiheit für Frankreich ohne Freiheit für Deutschland“. Und: Ein Angriff auf Deutschland sei ein Angriff auf Frankreich und werde mit allen Mitteln (auch der Force de Frappe) beantwortet.

Schicksalsgemeinschaft

Das hat man von Macron bei allem Pathos noch nicht gehört. Dabei ist die Idee einer gemeinsamen Verteidigung älter als der Élysée-Vertrag, sie wurde schon kurz nach dem Krieg erörtert und gelangte sogar zur Beschlußreife, ein Beschluß, der 1954 in der französischen Nationalversammlung abgelehnt wurde, was mit dazu beitrug, daß die Bundeswehr gegründet wurde. Es entstand die Westeuropäische Sicherheitsunion, die Kooperation mit der Nato, mit der Frankreich immer seine Probleme hatte.

Aber auch die Deutschen hatten damit ihre Probleme. Als de Gaulle Adenauers Nachfolger Ludwig Erhard die Teilhabe an der Force de Frappe vorschlug, lehnte dieser ab, weil er eine Verstimmung Washingtons fürchtete. Dabei ist es geblieben. Es wäre revolutionär, wenn Macron den Vorschlag des ersten Präsidenten der Fünften Republik erneuerte – und vermutlich würde Merkel auch ablehnen.

Dennoch: Die deutsch-französische Liaison ist eine Schicksalsgemeinschaft wie Adenauer und de Gaulle sagten, eine entente elementaire, ein Kernbündnis, wie selbst der Ostpolitiker Willy Brandt betonte. Nun ist der alte Vertrag so breit angelegt und zielt auf eine so enge Kooperation der beiden karolingischen Kernstaaten Europas ab, daß man fast schon von einem Fusionsvertrag reden könnte.

Bloße Vision

Auf jeden Fall sind seine Möglichkeiten bei weitem nicht ausgeschöpft. Auch mangelt es an Voraussetzungen, zum Beispiel eine gemeinsame Management- und Unternehmenskultur; die Mentalitäten der Patrons und Räte sind zu unterschiedlich – wie man bei manchen gemeinsamen Unternehmen, Beispiel Airbus, feststellen konnte. Ein gemeinsamer „total integrierter Markt bis 2024“ dürfte eine Vision bleiben.

Das gilt auch für die Harmonisierung der Steuersysteme bis 2020, von einer Harmonisierung der Rüstungsindustrie und der Innovationsbereiche ganz zu schweigen. Viel realistischer ist die Forderung, daß jeder Student mindestens zwei, besser vier europäische Sprachen beherrschen sollte. Damit sollte man übrigens beim Deutschen und Französischen anfangen, hier sind die Zahlen der Studenten und Schüler seit Jahren rückläufig. Aber ohne Sprachen keine Einheit. Sie sind der mentale Kern der Integration. Insofern war der Appell an die Jugend durchaus gerechtfertigt. Mehr ist eigentlich nicht erforderlich.

Mehr ist auch nicht zu erwarten. Man kann von den Franzosen nicht erwarten, daß sie die deutschen Umwelt- und Ernährungshysterien immer richtig einordnen. Oder daß sie in allem einem imaginären moralischen Imperativ folgen, etwa bei der Zuwanderung. Und für die Deutschen ist unverständlich, warum den Franzosen eine hohe Inflation gleichgültig sein und es unbedingt 264 geschützte Käsesorten in den internationalen Handelsverträgen geben soll und warum die Franzosen seit über zwölf Jahren jährlich rund 150.000 mehr Kinder gebären, obwohl sie, gemessen am Sozialprodukt nicht mehr Geld für Familienpolitik ausgeben als Berlin.

Nation und Freundschaft als verbindende Formel

Es gibt, gottseidank, Unterschiede in der Mentalität, in den Sehnsüchten und in der Lebensweise. Insofern gilt für das Bewußtsein von der deutsch-französischen Freundschaft die Erkenntnis und das Postulat, das Ernest Renan 1882 in der Sorbonne über die Nation formulierte, und das leider oft nur verkürzt zitiert wird.

Renan sagte: „Die Nation ist eine große Solidargemeinschaft, die durch das Gefühl für die Opfer gebildet wird, die erbracht wurden und die man noch zu erbringen bereit ist. Sie setzt eine Vergangenheit voraus und läßt sich dennoch in der Gegenwart durch ein greifbares Faktum zusammenfassen: die Zufriedenheit und den klar ausgedrückten Willen, das gemeinsame Leben fortzusetzen. Die Existenz einer Nation ist (man verzeihe mir diese Metapher) ein tägliches Plebiszit, wie die Existenz des Individuums eine ständige Bekräftigung des Lebens ist.“

Deutsche und Franzosen mögen einen anderen Nationenbegriff haben, sicher ist: Nation und Freundschaft, das ist eine verbindende Formel für die Politik in Paris und Berlin. Heute haben Deutsche und Franzosen gemeinsame Feinde, vor allem den islamischen Totalitarismus, der unsere Gesellschaftssysteme bedroht. Sie haben auch gemeinsame Interessen, eine gemeinsame Geschichte, gemeinsame Werte, eine gemeinsame Kultur. Das Gemeinsame zu pflegen und das Unterschiedliche als Bereicherung zu erkennen, das trägt weiter als die Unterschiede einebnen zu wollen.

Emmanuel Macron und Angela Merkel am vergangenen Freitag vor dem Élysée-Palast Foto: picture alliance/AP Photo
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