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ESN-Fraktion, Europa der souveränen Nationen

Xavier Naidoo: Zur Jagd freigegeben

Xavier Naidoo: Zur Jagd freigegeben

Xavier Naidoo: Zur Jagd freigegeben

Xavier Naidoo
Xavier Naidoo
Der Sänger Xavier Naidoo bei einem Auftritt: Zum Abschuß freigegeben Foto: picture alliance / Uwe Anspach / dpa
Xavier Naidoo
 

Zur Jagd freigegeben

Der Sänger Xavier Naidoo verstößt mal wieder gegen Sprach- und Spielregeln des politisch-medialen Establishments. Eine infantile Gesellschaft fühlt sich hiervon zwangsläufig herausgefordert und in Frage gestellt. Mannheims SPD-Oberbürgermeister Peter Kurz wirft Naidoo und seiner Band „anti-staatliche Tendenzen“ vor. <>Ein Kommentar von Thorsten Hinz.<>
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Eine Kulturgeschiche der politischen Denunziation in Deutschland seit 1945 wird sich nicht auf die DDR und die Stasi beschränken können. Gerade wird ein neues Kapitel geschrieben. Anlaß ist das neue Lied „Marionetten“ von Xavier Naidoo. „Reichsbürger-Hymne“, donnert die FAZ und widmet dem Titelsong eine lange Exegese, die von E.T.A. Hoffmanns Zensurminister Knarrpanti oder einer DDR-Kontrollbehörde stammen könnte.

„Rechtspopulismus“, giftet die Süddeutsche Zeitung, und der Kölner Stadt-Anzeiger zürnt: „Xavier Naidoo verankert rechtsextremes Gedankengut im Mainstream“. Die Hamburger Morgenpost setzt noch eins drauf: „Naidoo beliefert die Jukebox von AfD-Fans und Pegida-Marschierern. Und macht so auch noch braune Kohle.“ Die Welt zieht gar Parallelen zum Völkischen Beobachter.

Dezenter als „Rock gegen Rechts“ allemal

Naidoo, Frontmann der Söhne Mannheims, reimt auf „Volksvertreter“ „Volksverräter“ und „Volks-in-die-Fresse-Treter“ und fragt sie: „Wie lange wollt ihr noch Marionetten sein/ Seht ihr nicht, ihr seid nur Steigbügelhalter/ Merkt ihr nicht, ihr steht bald ganz allein/ Für eure Puppenspieler seid ihr nur Sachverwalter“. Er prophezeit ihnen den „wütenden Bauer mit der Forke“. Im Lied „Der Deutsche Michel“ fragt er: „Du glaubst doch nicht wirklich, daß unsere Nachrichten nicht nachgerichtet sind?“

Je nach persönlichem Geschmack kann man das spätpubertär, frech, respektlos, provokant oder auch läppisch finden. Dezenter als das, was der Punk oder der „Rock gegen Rechts“ bietet, ist es allemal, von den Brutalo-Rappern ganz zu schweigen. Mit jedem totgeprügelten Opfer der multikulturellen Gesellschaft gewinnt das sperrige Kompositum „Volks-in-die-Fresse-Treter“ größere Plausibilität, und der Bauer mit der Mistgabel ist ein klassisch-revolutionäres Bild, ein Kollektivsymbol.

Souveränes oder besetztes Land?

Vor drei Jahren mahnte der amerikanische Milliardär Nick Hanauer seine Milliardärskollegen in einem offenen Brief, aufzuwachen und sich vor den „Mistgabeln“ in acht zu nehmen. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis die verarmenden 99 Prozent der Bevölkerung den Aufstand wagen. Was die „Marionetten“ betrifft: Hat nicht eine neoliberale Politik den Finanzsektor aus allen Fesseln befreit, so daß er ihr nun das Gesetz des Handelns diktieren kann?

Schon 2015 war Naidoos Teilnahme am Eurovision Song Contest durch eine Medienkampagne gekippt worden. Seine Lieder und öffentlichen Äußerungen, raunte es, seien irgendwie anzüglich, homophob, antisemitisch gar und verschwörungstheoretisch. Naidoo hatte sich erdreistet zu behaupten, Deutschland sei kein souveränes, sondern ein besetztes Land.

Naidoo zielt auf einen blinden Fleck

Eine überzogene These, mit der sich der Sänger trotzdem klüger erwies als seine Kritiker. Denn er bezog sich auf den Geschichtsprofessor Josef Foschepoth, der im Zuge des NSA-Skandals den geheimen Vereinbarungen zwischen den Amerikanern und der Bundesregierung nachgegangen war und herausgefunden hatte, daß die Überwachung der Deutschen durch die Amerikaner vertraglich gedeckt ist.

Damit hatte Naidoo auf eine Systemfrage und einen blinden Fleck im bundesdeutschen Selbstverständnis gezielt. Das unterscheidet ihn von seinen Kollegen, die mit flapsigem Vokabular und engagierter Attitüde Nonkonformismus simulieren und das Einverständnis mit der Merkel-Politik meinen.

„Plumper und gewaltverherrlichender Pegida-Sprech“

Naidoo verweigert sich dem klebrigen Mainstream und verstößt mal aufreizend, mal verschroben oder versponnen gegen seine Sprach- und Spielregeln. Eine selbstsichere, im Innern souveräne Republik könnte auch das gelassen hinnehmen; eine uninformierte und infantile Gesellschaft dagegen fühlt sich zwangsläufig herausgefordert und in Frage gestellt.

Nun marschieren sie alle auf: Der Satiriker Jan Böhmermann macht sich mit maximaler medialer Verbreitung über die „Hurensöhne Mannheims“ her – und bestätigt seine Position als öffentlich-rechtlich ausgehaltener, konformistischer Pausenclown. Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth, die Meisterin des feinziselierten Ausdrucks und der präzisen Gedankenführung, konstatiert im „Marionetten-Song“ einen „plumpen und gewaltverherrlichenden Pegida-Sprech“.

„Tatbestandsmerkmale von Volksverhetzung“

Ihr grüner Parteikollege Volker Beck hat sogar „Tatbestandsmerkmale von Volksverhetzung“ ausgemacht. „Im Kern geht es in dem Lied um die Delegitimierung der parlamentarischen Demokratie.“ Dementiert sich ein System, das Figuren wie Roth und Beck schon bis in den Vorhof der Regierungsmacht gespült hat, nicht von ganz allein?

Auch Politiker der Union und der SPD distanzieren sich kraftvoll. Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) kommt das Verdienst zu, mit dem Vorwurf an Naidoo und die Söhne Mannheims, „anti-staatliche Tendenzen“ zu verbreiten, den Kern der Angelegenheit freigelegt zu haben. Der Künstler hat staatsnahe zu sein und zu akzeptieren, daß seine Freiheit die des Hofnarren ist.

Erinnerungen an Wolf Biermann

Eine vergleichbare politisch-mediale Aufmerksamkeit unter den Sängern hatte zuletzt Wolf Biermann erlangt, als die DDR ihm 1976 wegen staatsfeindlicher Hetze die Wiedereinreise verwehrte. Da sage noch einer, Kunst könne nur in Diktaturen politische Brisanz entwickeln, weil Demokratien sie als Ersatzmedium nicht nötig hätten und alle Streitfragen in den zuständigen Gremien kompetent, tabufrei und öffentlich ausgehandelt würden!

Auf dem berüchtigten Kulturplenum des SED-Zentralkomitees 1965, das die Liberalisierungstendenzen im DDR-Kulturbetrieb abrupt beendete, schimpfte Staats- und Parteichef Walter Ulbricht: „Ist es denn wirklich so, daß wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, nu kopieren müssen? Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des Je-Je-Je, und wie das alles heißt, ja, sollte man doch Schluß machen.“ Erich Honecker, damals der zweite Mann im Staate, geiferte, „der Gegner“ locke mit „einer hektischen, aufpeitschenden Musik, die die moralische Zersetzung der Jugend begünstigt“.

Naidoo, der Jugendverderber

Auch in Naidoo wird ein Jugendverderber gewittert. Das Vokabular klingt ganz ähnlich. Ein Musik-Experte hat seine sämtlichen Sündenfälle aufgelistet. Schon 1999 sei Naidoo „das erste Mal auffällig geworden, da sagte er in einem Interview, statt für ‘irgendwelche Tiere oder Ausländer’ agiere er lieber für seine Heimat Mannheim“. Man beachte den Ausdruck „auffällig geworden“, der dem Polizeijargon entstammt.

Ein anderer Journalist meint, Naidoo gehöre „längst in die rechte Ecke gestellt“, also mundtot gemacht. Ein Dritter schrieb in einem offenen Brief: „Für die Zukunft wünsche ich dir allen Boykott, den du bekommen kannst.“ Blickt man auf die niedlichen Autorenfotos, denkt man unwillkürlich: So jung noch und schon so verdorben, beflissen, angepaßt! Marionetten halt. Starke Individuen, Einzelgänger, Querköpfe sind diesem Typus naturgemäß ein Greuel.

Ein Volk von Ex-Nazis beim Lieblingssport

Die Boykottbewegung läuft sich warm. Den Anfang hat Radio Bremen, der Staatssender des rot-grünen Chaos-Landes, gemacht und die Präsentation von zwei Konzerten der Söhne Mannheims und Xavier Naidoo in Bremen storniert. Immer schneller dreht sich das bundesdeutsche Denunziationskarussell, werden Volksfeinde namhaft, dingfest und unschädlich gemacht. Argumente und Appelle an die Fairneß helfen nicht, denn es handelt sich um ein pathologisches Verhalten, das politisch-historische Ursachen hat.

Im Gedicht „Artikel 3“ von Alfred Andersch aus dem Jahr 1976 heißt es: „ein volk von ex-nazis und ihren mitläufern betreibt schon wieder ihren Lieblingssport die hetzjagd auf kommunisten sozialisten humanisten dissidenten linke“. Andersch spielte auf die Praxis der Berufsverbote an. Sie gehört zur Geschichte des Kalten Krieges, in dem die zwei feindlich aufeinander bezogenen deutschen Staaten im eigenen Haus die vermuteten Parteigänger des jeweils anderen bekämpften.

Antifaschismus harmoniert mit totalitärer Gesinnung

Als Andersch das Gedicht verfaßte, hatte der Wind sich allerdings längst zu drehen begonnen. Der Antifaschismus, dieser wichtigste Legitimationsgrund der DDR, wurde nun auch in der Bundesrepublik kulturell hegemonial, was an der von Andersch festgestellten, postnazistischen Mitläufer-Mentalität nichts änderte. Wie ja auch in der DDR der Antifaschismus bestens mit der totalitären Stasi-Mentalität harmonierte.

Beide Antifa-Varianten fanden im wiedervereinten Land nach einigen Irritationen zu einer aggressiven Synthese zusammen. Drei der fünf  Verfolgtengruppen in Anderschs Gedicht betätigen sich heute als Verfolger, die Humanisten sind indifferent, während die dissidenten Jagdopfer auf der Rechten zu finden sind. Schon in Kürze könnte Naidoo dazugehören.

JF 20/17

Der Sänger Xavier Naidoo bei einem Auftritt: Zum Abschuß freigegeben Foto: picture alliance / Uwe Anspach / dpa
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