Regierungskritiker verschwinden. Ihre Stimme verstummt. In altmodischen Staaten wird so etwas noch von der Polizei erledigt. In Deutschland läuft das „eleganter“. In Deutschland schaltet man allzu erfolgreichen Meinungsrebellen die sozialen Kanäle ab. In Erdogans Türkei gehen Menschen ins Gefängnis, wenn sie das Falsche sagen.
In Merkels Deutschland schneidet man Regierungskritikern die digitalen Stimmbänder heraus. Ein Bürger, der wegen falscher Meinung im Gefängnis sitzt, kostet nur Geld und ist schlecht fürs Image. Ein virtuell zum Schweigen gebrachter Bürger dagegen zahlt weiter Steuern und ist doch weitgehend harmlos.
In Deutschland arbeiten soziale Medien und die Regierung zusammen, um legale, aber kritische Meinungen (merkeldeutsch: „Haß“) zum Verstummen zu bringen. An Gerichten und Rechtsweg vorbei, ohne Verhandlung oder Berufung. Jüngstes Opfer wurde der bis dato in Retweet-Zahlen erfolgreichste konservative Twitterer, Kolja Bonke.
Kolja Bonke
„Kolja Bonke“ ist ein echter Name, kein anonymer Kunstname. Seine Twitter-Methode war so simpel wie erfolgreich: Bonke griff jene „kleinen“ Meldungen auf, die im offiziellen Wir-schaffen-das-Narrativ regelmäßig „untergehen“, aber für das Leben realer Bürger jenseits von Regierungs- und Redaktionsfluren schmerzhafte Relevanz haben.
Also die täglichen Messerstechereien, die Belästigungen, diese merkwürdigen Texte, bei denen immer nur von „Männern“ und „Jugendlichen“ die Rede ist. Er schrieb bissige Kommentare dazu. Er war Frau Merkel und Herrn Maas gegenüber eher kritisch eingestellt. Und ja, er spricht von „unkontrollierter Masseneinwanderung“. Er ist politisch heute da, wo die CDU vor ihrer Merkelisierung war. Oder wo Helmut Schmidt in Ausländerfragen stand. Also vorsichtig bis konservativ.
Bonke, Baujahr 1979, war einst ein „Linker“, sagt er. Weniger im strikt politischen Sinn als mehr kulturell. (Ist das überhaupt zu trennen?) Hausbesetzer-Partys sind für einen Jugendlichen in dessen Sturm-und-Drang-Zeit natürlich reizvoller als … – ja was tun „konservative“ Jugendliche eigentlich in ihrer Freizeit? Software-AGBs lesen?
Twitter-Meister
Im Jahr 2011 eröffnete Bonke seinen Twitter-Account. (Weil einige Menschen klug genug waren, sich dieses Mediums bis heute zu enthalten, hier eine kurze Erklärung: Twitter ist ein „Kurznachrichtendienst“. Menschen lesen, was andere Menschen schreiben. Die Meldungen, können höchstens 140 Zeichen lang sein. Man „folgt“ („followed“) anderen Menschen und „retweetet“ ihre „Tweets“, wenn man mag. Das heißt, daß man ihre Meldungen an die eigenen „Follower“ verbreitet. Twitter ist/war ein Träger-Medium für „virale“ Meinungen.)
Man sagt, Roosevelt habe das Medium Radio gemeistert, Kennedy das Medium TV, und Trump habe es zur Meisterschaft im Medium Twitter gebracht. (Das ist richtig, aber unvollständig. Trump hat TV und Twitter gemeistert wie kein Politiker vor ihm.)
Kolja Bonke ist (genauer: war) wie Trump ein Meister des Mediums Twitter. (Bleibt man ein „Meister“ seines Faches, wenn einem das Werkzeug genommen wird?) In den stündlichen und täglichen Twitter-Charts spielte er in einer Liga mit @spiegelonline, @zeitonline und andere Meinungskonzernen. Nicht selten lag er vor ihnen.
„Ich erkannte dieses Land nicht wieder“
Als Bonke sich 2011 bei Twitter anmeldete, war er noch unpolitisch. Kolja Bonke ist ein Schreiber, ein Mann des Wortes. Wenn wir nach seinem Namen bei Amazon suchen, finden wir einige Bücher. Vor allem über Sport.
Dann passierte 2015. Merkel setzte deutsches Recht außer Kraft, zumindest nach Meinung vieler. Nicht nur die Bild-Zeitung verfiel in Refugees-Welcome-Euphorie.
Bonke schreibt über diese verhängnisvolle Zeit:
„Ich erkannte dieses Land nicht wieder, um mich herum sah ich plötzlich nur noch Leute, die offenbar einem kollektiven Wahn verfallen waren. Im Oktober 2015 entschied ich dann, den selbst verordneten politischen Maulkorb abzulegen und diesen Wahn zu thematisieren. Von meinen zu diesem Zeitpunkt rund 4.000 Twitter-Followern verlor ich damit innerhalb der ersten Woche zwischen 500 und 1.000, auf dem Höhepunkt der Refugees-Welcome-Hysterie erntete ich erwartungsgemäß nicht wenige empörte Reaktionen. Kurze Zeit später stieg die Zahl der Follower allerdings langsam wieder.“
Die Bedeutung sozialer Medien für die Verbreitung „vergessener“ Nachrichten und kritischer Meinungen wurde mit den Ereignissen der Kölner Silvesternacht 2015/16 auch über die „Netzgemeinde“ hinaus deutlich. Die Ereignisse, die buchstäblich „vor der Nase“ des WDR passierten, wurden von „Leitmedien“ tagelang ignoriert. Ausführliche Berichte über die Geschehnisse fand man bis etwa zum 4. Januar 2016 nur in den „sozialen Medien“. (In der „Fake News“-Debatte 2015/16 würde man später sagen: Am 1. Januar 2016 hätten Berichte vom Kölner Hauptbahnhof als „Fake News“ gegolten.)
„Bitte antworte nicht auf diese E-Mail“
Auch Kolja Bonke twitterte zu „#koelnhbf“. Er ertrug die Differenz zwischen Realität und medialer Berichterstattung nicht mehr. Er war nicht allein, seine Follower-Zahl auf Twitter stieg. Doch sein Erfolg sollte erst einmal ein erstes jähes Ende finden.
Bonke über seinen ersten Twitter-Tod: „Einen Monat später, nach zwei kritischen Tweets zum Wirken unseres Justizministers, war dann bereits erstmals Schluß, @koljabonke wurde mit knapp über 4.500 Followern gesperrt.“
Von Twitter bekam Bonke damals nur eine nebulöse Begründung: „Hallo, Dein Account wurde aufgrund von mehrfacher oder wiederholter Verletzung der Twitter-Regeln gesperrt. [Link zu den Regeln] Bitte antworte nicht auf diese E-Mail, da die Antworten nicht weiter überwacht werden. Vielen Dank, Twitter Support“
Man fühlt sich an Geheimgerichte ohne Berufungsverfahren erinnert. Bonke aber gab nicht auf. Er meldete den nächsten Account @BonkeKolja an.
Auch die Follower-Zahl des zweiten Accounts gedieh. Seine Themen waren wieder all das, was bei „Leitmedien“ unter den Tisch fällt (oder verquast-feuilletonistisch schadlos gemacht wird): Zensur, Amadeu-Antonio-Stiftung, „unvollständige“ Nachrichten über „Männer“, gewisse Brüche in der Berichterstattung über diese oder jene Religion. Bonkes Tweets erreichten regelmäßig Retweet-Zahlen im Hunderter-Bereich. (Man könnte spekulieren, daß „Journalisten“ mit „Kontakten“ nicht ohne Neid auf die Zahlen seines Erfolgs schauten.) Seinen erfolgreichsten Tweet schrieb er Ende Februar 2016:
Alle Regierungsentscheidungen „alternativlos“, alle Regierungsgegner „Nazis“ und alle Einwanderer „Flüchtlinge“ – das ist Deutschland 2016.
Der Tweet wurde zum viralen Hit. 4.871 Retweets und 3.650 Likes. Doch dann war Schluß.
Deutsche Regierungsanhänger jubelten
Am 30. Mai 2017 wurde auch dieser zweite Twitter-Account @BonkeKolja abgeschaltet. Offizielle Begründung: Bonke habe „mehrere Accounts für böswillige oder missbräuchliche Zwecke oder mit inhaltlicher Überschneidung“ erstellt. Das ist, versichert Bonke, schlicht in der Sache falsch. Er hatte außer dem 2015 angemeldeten „@BonkeKolja“ keinen weiteren Twitter-Account, sagt er. Doch Twitter reagiert auf Nachfragen nur mit irrelevanten Standard-Formulierungen. Deutsche Regierungsanhänger jubelten, natürlich auf Twitter, und traten mit Verbalinjurien hinterher.
Bonke will keinen dritten Twitter-Account anlegen. Eine Auswahl seiner bisherigen Tweets läßt sich hier archiviert nachlesen: Twitter hat Bonke sehr deutlich gemacht, daß sich die Sperre auf ihn als Person bezieht. Seine Handy-Nummer, inzwischen notwendig zur Registrierung, ist wohl auf dem Twitter-Index. Via Cookies „weiß“ Twitter, wer er ist. Er könnte es umgehen, Cookies löschen und den Router neu starten, aber Twitter würde ihn wahrscheinlich wieder sperren. Er ist für Twitter eine persona non grata.
Der Geist von Merkel, die Hand von Maas
Bonke ist nicht der Einzige. Man liest derzeit täglich Meldungen über gesperrte konservative Accounts. Zur gleichen Zeit liest man vom „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ des Heiko Maas, das Millionen-Bußgelder gegen soziale Netzwerke verhängen will, die „offensichtlich rechtswidrige“ Meinungen nicht löschen. („Offensichtlich rechtswidrig“ ist eine Verhöhnung des Rechtswegs. Wenn Rechtswidrigkeit „offensichtlich“ ist, wofür braucht es Richter, Anwälte und Berufungsverfahren? Es erinnert ans „gesunde Volksempfinden“ früherer Zeit.)
„Wenn Sie ein Bild von der Zukunft haben wollen, so stellen Sie sich einen Stiefel vor, der auf ein Gesicht tritt. Unaufhörlich“, schrieb Orwell einst in „1984“.
Wenn Sie sich ein Bild von Deutschland im Zeitalter von Merkel, Netzwerkdurchsetzungsgesetz und Postdemokratie machen wollen, stellen Sie sich einfach vor, daß Ihre Accounts willkürlich abschaltet werden, ohne Rechtsweg und ohne Möglichkeit des Widerspruchs. Als Metapher in die nicht-digitale Welt übersetzt: In der Ära Merkel werden die Kneipen und Stammtische der Republik überwacht, und wer an der Theke die Regierung allzu heftig kritisiert, der bekommt plötzlich, mit fadenscheinigen Begründungen und ohne die Möglichkeit der Berufung, ein absolutes Kneipenverbot. Er kann seine Meinung auch weiterhin äußern, klar, aber eben nicht mehr da, wo die Menschen sind.
Kolja Bonke macht auf „gab.ai“ weiter. Gab ist ein US-Anbieter, der Twitter ähnelt, sich aber (zumindest dem Marketing nach) der Meinungsfreiheit verschrieben hat. Bonkes Follower-Zahl ist dort bereits vierstellig, sein Sarkasmus nicht weniger bissig. Und, wichtig: Bonke schreibt an seinem nächsten Buch, einem Roman.
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Dushan Wegner, der Autor dieses Textes, ist natürlich auch auf Gab. Im Internet findet er sich hier. Digitale Stimmbänder haben die Eigenschaft, nachzuwachsen. Menschen werden immer den Drang haben, jenseits aller Ideologie und Schönrednerei über ihre realen Probleme zu sprechen.