Vor 25 Jahren besiegelten auf Druck François Mitterrands und Geheiß Helmut Kohls die deutschen Minister Theo Waigel und Hans-Dietrich Genscher mit ihren Unterschriften unter den Vertrag von Maastricht die Abschaffung der D-Mark. Zuvor hatten sich Waigel und sein Staatssekretär – der spätere Bundespräsident – Horst Köhler anscheinend entscheidend gegen die Franzosen durchgesetzt.
Die Währung solle nicht französisch klingen („ECU“), sondern „Euro“ heißen. Und um ihre Stabilität zu demonstrieren, sollte die Europäische Zentralbank nicht in Paris, sondern in Sichtweite der Bundesbank in Frankfurt angesiedelt werden und ebenso unabhängig sein wie diese. Zudem setzten sie verbindliche „deutsche“ Stabilitätskriterien durch.
Vertrag über einhundertmal verletzt
Herausragende Ökonomen aber warnten, die sogenannte Stabilitätsunion nach deutschem Muster könne zu einer Haftungsunion zu Lasten Deutschlands werden – stellvertretend für andere seien Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling, Karl-Albrecht Schachtschneider und Joachim Starbatty genannt. Auch ich war anfangs skeptisch. Erst als Waigel und Köhler (für den Fall, daß man sich nicht an die Stabilitätsvorgaben halten würde) gegen erbitterten französischen Widerstand auch ein finanzielles Beistandsverbot verankerten, gab ich meinen Widerstand auf. Nun konnte ja nichts mehr passieren.
Was für ein Trugschluß! Erst wurden Staaten aufgenommen, obwohl sie die Voraussetzungen nicht erfüllten. Dann überschritt neben Frankreich ausgerechnet die rot-grüne Bundesregierung als erste die Neuverschuldungsgrenze. Kein Wunder, daß der Vertrag danach über einhundertmal verletzt wurde, ohne daß die vorgesehenen Sanktionen in Kraft traten.
Europa handelt französisch
Schließlich, im Mai 2010, war das Maß für mich endgültig voll: Angela Merkel beugte sich dem Druck von Präsident Sarkozy, seiner Finanzministerin Lagarde, dem IWF-Präsidenten Strauss-Kahn und dem EZB-Präsidenten Trichet, allesamt Franzosen. Erst später kam heraus: sie retteten nicht den Euro oder Griechenland, sie retteten vor allem französische Banken. Damit brachte Merkel die in Maastricht errichtete Brandmauer zwischen dem deutschen Steuerzahler und ausgabefreudigen Politikern im Süden Europas endgültig zum Einsturz und versetzte dem Vertrag den Todesstoß.
Um weitere Bürgschaften zu Lasten Deutschlands lockermachen zu können, verkündete CDU-Fraktionschef Kauder, daß mit dem auf den Vertrag von Maastricht folgenden Fiskalpakt „Europa deutsch spricht“. In der Tat, in Brüssel wird viel deutsch gesprochen – aber der Umgang mit „Maastricht“ zeigt: Wenn es darauf ankommt, wird französisch gehandelt.
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Prof. Dr. Hans-Olaf Henkel ist Abgeordneter des Europäischen Parlaments der Partei Liberal-Konservative Reformer
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JF 06/17