Rot-Grün abgewählt, „Schulz-Zug“ an die Wand gefahren, ein ergebener Merkel-Paladin als Wahlsieger, die Lindner-FDP gewinnt im Heimspiel zweistellig, die Linke muß draußenbleiben, und die AfD ist sicher in das dreizehnte Landesparlament in Folge eingezogen und hat die Grünen locker überholt: Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gibt vier Monate vor der Bundestagswahl ordentlich Stoff zum Nachdenken.
Vom Nachdenken sprechen vor allem die Wahlverlierer, ernst meinen sie es damit offenbar nicht. Daß die Wähler offenkundig genug hatten von der rot-grünen Feierabendregierung mit ihrer Mischung aus Schlendrian, Verschwendung und kleinkarierter Verbots- und Bevormundungspolitik, kommt in ihren Pseudo-Analysen nicht vor.
Wir haben doch nichts wirklich falsch gemacht, die doofen Wähler sind schuld, weil sie einfach nicht kapiert haben, wie toll wir sind, wir haben’s ihnen halt nicht fest genug eingehämmert. Sogar den Regierungsfunkern fällt auf, wie lässig-locker die abgestrafte SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ihren sichtlich schon länger vorbereiteten Rücktritt von den Parteiämtern erklärt. Und die fast halbierten Grünen müssen als Erfolg feiern, daß sie nicht wie befürchtet ganz aus dem Landtag geflogen sind.
Der Erfolg ist weniger strahlend, als er erscheint
Nachdenken täte allerdings auch den schwarz-gelben Wahlsiegern gut. Vielleicht ginge ihnen dann auf, daß sie weniger um ihrer selbst willen gewählt wurden, sondern weil eine Fortsetzung von Rot-Grün den Wählern wohl noch fürchterlicher erschien.
Daß die Linkspartei, die vom sang- und klanglosen Verschwinden der „Piraten“ kaum profitieren konnte, knapp an der undemokratischen Fünf-Prozent-Hürde gescheitert ist, läßt den Erfolg von CDU und FDP strahlender erscheinen, als er in Wahrheit ist. Doch auch mit den Kommunisten im Landtag gäbe es keine strategische linke Mehrheit, da mag die Linke jetzt noch so sehr giften gegen eine SPD, die sich im Wahlkampf dem vor allem im Westen vorherrschenden linken Sammelsurium aus Radikalinskis und Wirrköpfen denn doch nicht vorbehaltlos ausliefern mochte.
Der noch zu Jahresbeginn als Messias gefeierte SPD-Hoffnungsträger Martin Schulz ist damit im Grunde jetzt schon gescheitert. Nach dem dritten Wahldesaster in Serie ist die Luft aus seinem mit großem Getöse aufgeblasenen Ballon pfeifend entwichen. Wenn er trotzdem „Kanzlerkandidat“ bleibt, dann wohl vor allem deshalb, weil keiner an seiner Stelle verlieren möchte. Vielleicht war das von Anfang an die Mission, die Sigmar Gabriel ihm zugedacht hatte.
Keine große Bindungskraft
Läuft jetzt also alles wieder auf Angela Merkel zu, nachdem sogar ihr farbloser treuer Kofferträger Armin Laschet die SPD in deren Stammland den Ministerpräsidentenposten streitig machen kann? Von den fast 45 Prozent eines Jürgen Rüttgers in der Landtagswahl 2005 ist Laschet weit entfernt. Beide „Volksparteien“ liegen nur wenig oberhalb der 30-Prozent-Marke. Die SPD hat ihr schlechtestes Ergebnis in 70 Jahren eingefahren, die CDU ihr zweitschlechtestes. Mit beider Bindungskraft ist es nicht mehr weit her.
Darin liegt die Bedeutung des Wahlerfolgs der AfD, die von allen Parteien in dieser Landtagswahl die höchsten Stimmengewinne verbuchen konnte und gegen den konzertierten Widerstand des Parteien- und Medien-Establishments auf schwierigem Gelände mit einem soliden Ergebnis den dreizehnten Landtagseinzug in Folge schaffte – trotz der zusätzlichen Hypothek, daß zumindest bis zum Kölner Parteitag über weite Strecken immer wieder interne Querelen und offener Streit aufflammten.
Die AfD wirkt bereits durch ihre Existenz. Ihre Konkurrenz hat die CDU erst zu dem Manöver veranlaßt, sich so zu stellen, als hätte sie nichts mit dem drastischen Verlust an öffentlicher Sicherheit, den erdrückenden finanziellen Lasten und sozialen Problemen zu tun, die auf die Merkelsche Masseneinwanderung zurückgehen, und zumindest rhetorisch einen Kurswechsel zu vollziehen, während die SPD in Nibelungentreue an der Politik der offenen Grenzen festhält.
Wichtiger Schritt
Das hat der Union einige Wähler zurückgebracht. Die dem Frieden nicht trauen, haben in nicht geringer Zahl trotz aller Gegenpropaganda der AfD ihre Stimme gegeben. Das dokumentiert einmal mehr, daß diese Partei das Potential hat, das deutsche Parteiensystem dauerhaft zu verändern und zu beeinflussen. Der Erfolg bei der „kleinen Bundestagswahl“ ist ein wichtiger Schritt, um die parlamentarische Basis dafür auch im Bundestag zu gewinnen.
Auf diesem Weg wird die AfD weiter dicke Bretter bohren müssen. Die Beharrungskräfte, sich ans Vertraute zu klammern, sind auch in der Wählerschaft groß; nur zu gern wird das erste rhetorische Lüftchen schon als Wende zum Besseren begrüßt. Doch die Probleme sind weiter da, sie werden auch nicht durch eilig aus dem Laschet-Hut gezogene Hundert-Tage-Programme verschwinden, sondern sich weiter kumulieren und verschärfen.
Um diese Beharrungskräfte zu überwinden, heißt für die AfD die Aufgabe: Dranbleiben, als kritische Opposition weiter die Fehlleistungen der anderen klar und sachlich beim Namen nennen, ohne sich in schrillem Verbalradikalismus und abseitigen Debatten zu verlieren. Gelingt es ihr, sich dauerhaft als freiheitlich-konservative Stimme der Vernunft in der politischen Landschaft festzusetzen, kann auch das eigentliche Ziel erreicht werden: Die Brechung der linken Diskurshegemonie, die auch Union und FDP derzeit noch immer im Griff hält.