Wenn alle Jahre wieder ein „Unwort des Jahres“ ausgerufen wird, geht es, wie beim „Wort des Jahres“, nicht um Sprache, sondern um Herrschaft. Wer sich das ins Gedächtnis ruft, wundert sich auch nicht mehr über die mehr oder minder obskuren Entscheidungen, die eine wenig durchsichtige Jury da regelmäßig ausklüngelt: Es geht darum, anderen die Wortwahl vorzuschreiben, mit anderen Worten: um Politik, denn Sprachmanipulation ist ein gewaltiges Herrschaftsinstrument.
„Gutmensch“ soll nun also das Unwort des Jahres 2015 sein. Obwohl man es im abgelaufenen Chaos-Jahr eigentlich kaum noch zu hören bekommen hat. Aber die Jury hört das Gras wachsen: Als „Gutmenschen“ würden „diejenigen beschimpft, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagieren oder die sich gegen Angriffe auf Flüchtlingsheime stellen“. Mit dem „Gutmenschen“-Vorwurf würden „Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd, als Helfersyndrom oder moralischer Imperialismus diffamiert“.
Jury mit ideologischer Schlagseite
Äh, nein. Mit dem leider schon etwas abgenutzten Schlagwort wird die Naivität, Dummheit und Weltfremdheit von naiven, dummen und weltfremden Menschen, die Wünschbares und Wirklichkeit nicht auseinanderhalten können, griffig auf den Punkt gebracht. Daß die Naiven, Dummen und Weltfremden das nicht gern hören, liegt auf der Hand.
Daß diese in der Regel Linke sind, liegt in der Natur linker Ideologie. Und daß die Unwort-Ausrufer den öffentlichen Diskurs in ihrem Sinne manipulieren wollen, indem sie Kritik, die offensichtlich trifft, für pfuiteufel erklären und aus dem Verkehr ziehen wollen, hat wiederum mit der ideologischen Schlagseite der Jury zu tun.
Naiv, dumm und weltfremd sind die „Unwort“-Anprangerer nämlich nicht; die wissen genau, was sie tun. Und lassen dafür auch schon mal bei den eigenen Regeln Fünfe grade sein. „Unwort“-verdächtig sind nach deren selbsterklärten Grundsätzen nämlich unter anderem Wörter und Formulierungen, die „euphemistisch, verschleiernd oder gar irreführend sind“.
Propagandabegriff „Flüchtling“
Wenn es danach ginge, hätten sie eigentlich den in den Medien rauf und runter genudelten Propagandabegriff „Flüchtling“ zum „Unwort des Jahres“ ausrufen müssen: Praktisch keiner der anderthalb oder so Millionen Immigranten, die im vergangenen Jahr in Deutschland einmarschiert sind, erfüllt nämlich die objektive Definition dieses Begriffs, weil so gut wie jeder entweder aus einem sicheren Herkunftsland oder über einen sicheren Drittstaat eingereist ist.
Trotzdem wird hierzulande munter solidaritätsheischend pauschal zum „Flüchtling“ erklärt, was anderswo in Europa „Immigrant“ oder „illegaler Einwanderer“ heißt. Wenn das keine Verabredung zur Verschleierung und Irreführung ist… Aber der „Flüchtling“ ist ja schon vergeben, der wurde vor einem Monat bereits als „Wort des Jahres“ aufs Podest gehoben.
Wie wäre es dagegen, das „Unwort des Jahres“ zum „Unwort des Jahres“ zu erklären? Hinter der ganzen Unwortsucherei steckt ohnehin die reichlich undemokratische Geisteshaltung von Sprachpolizisten. Alternativ könnte man ja per Wettbewerb die „Manipulation des Jahres“ suchen. Aber da würde dann wohl der Briefkasten erst recht überquellen – und die „Unwort“-Jury stünde selbst als heißer Kandidat auf der Anwärterliste.