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Meinung: #Aufschrei 0.0 – Wenn die feministische Empörung ausbleibt

Meinung: #Aufschrei 0.0 – Wenn die feministische Empörung ausbleibt

Meinung: #Aufschrei 0.0 – Wenn die feministische Empörung ausbleibt

Silvester in Kölnueerw
Silvester in Kölnueerw
Silvester in Köln: Der Feminismus hat versagt Foto: dpa
Meinung
 

#Aufschrei 0.0 – Wenn die feministische Empörung ausbleibt

In der Neujahrsnacht haben sich unglaubliche Szenen auf der Kölner Domplatte abgespielt. Junge Frauen wurden eingekreist, betatscht, beschimpft und gedemütigt. Der Aufschrei der Feministen blieb allerdings aus. Es waren wohl die falschen Täter. Ein Gastkommentar von Birgit Kelle.
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Es ist ziemlich genau drei Jahre her, daß uns im Januar 2013 Rainer Brüderle und ein altherrendämlicher Anmachversuch in einer Hotelbar eine Sexismus-Debatte in Deutschland bescherte, angeheizt durch den sogenannten #aufschrei bei Twitter. Da waren wir also, wir Damen. Opfer der FDP, Opfer der Männer, Opfer von Verbalattacken, von falschen Blicken, falschen Worten. Alles mächtig schlimm, denn es war klar: Frauen sind ständig dem unkontrollierbaren Potenzgebaren und den patriarchalen Unterdrückungsphantasien heterosexueller weißer Männer ausgesetzt.

Nun sind wir drei Jahre weiter. In der Neujahrsnacht haben sich Szenen auf der Kölner Domplatte und vor dem Hauptbahnhof abgespielt, die ich als blanken Horror bezeichnen würde. Bislang haben über 30 Frauen Anzeige erstattet, selbst die Polizei vermutet noch eine große Dunkelziffer von Opfern, die sich bisher nicht bei der Polizei gemeldet haben. Eine Gruppe von geschätzt 40 bis 100 Männern hat systematisch junge Frauen eingekreist, sie betatscht, ihnen in den Schritt, an die Brüste, unter den Rock gegriffen. Sie als Huren beschimpft, sie ausgelacht und teilweise auch noch ausgeraubt.

Laut Presseberichten ist einer jungen Frau Strumpfhose und Slip heruntergerissen worden, eine andere berichtet, sie habe die fremden Hände in „allen Körperöffnungen“ gespürt. Gleiche Szenen scheinen sich auch ganz in der Nähe vor dem Alten Wartesaal in Köln ereignet zu haben. Auch vom Stuttgarter Bahnhof wird aus der Silvesternacht ähnliches berichtet, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie in Köln.

Es waren wohl die falschen Täter

Und während man spontan vermutet, in einem Land, in dem jedes falsche Wort und jeder vermeintlich falsche Blick zu einem feministischen #aufschrei führt, weil Mann sich angeblich falsch benommen hat, bleibt das feministische Netz angesichts dieser unglaublichen Vorgänge in Köln stumm. Aufschrei 2016? Eher Aufschrei 0.0 – kein Aufschrei, nirgends.

Der Grund ist einfach: Es waren wohl die falschen Täter. Laut Augenzeugenberichten und Zeugenaussagen der betroffenen Opfer waren es nämlich arabisch aussehende Männer, die Polizei selbst sprach von nordafrikanisch aussehenden Männern. Wer auch immer sie waren, die Polizei hat inzwischen eine Ermittlungsgruppe zusammengestellt, die die Vorfälle untersucht. Eines ist klar: Es waren offenbar Männer mit Migrationshintergrund. Und wohl deswegen bleibt das feministische Netz stumm. Eine kurze Durchsicht bei Twitter, Emma, Missy Magaziny, sonst Garanten akuter Empörungsreflexe, zeigt: Keine Reaktion.

Ich poste einen Bericht zu den Kölner Vorfällen auf meiner Facebook-Seite, die Reaktionen sind erwartungsgemäß in drei Fraktionen aufgeteilt: Entsetzte Reaktionen angesichts dieses Ausmaßes an sexuellen Übergriffen mitten im öffentlichen Raum. Ein Drittel spontanes Dumpfbackentum, das Messer zücken will und zur Lynchjustiz aufruft an allen, die irgendwie fremd aussehen und innerhalb von Sekunden bei der Unterstellung landet, das passiert eben, wenn so viele Flüchtlinge von der „doofen Merkel“ ins Land gelassen werden.

Wenn es sich um deutsche Hooligans gehandelt hätte

Und dann das unvermeidliche Gutmenschentum, das sich darüber beschwert, daß überhaupt veröffentlicht wird, daß es Männer mit arabischem oder afrikanischem Aussehen waren. Denn das sei ja irrelevant, außerdem hetzerisch und rassistisch und spiele zudem „nur den Dumpfbacken“ in die Hände. Also mal besser nicht darüber reden, wer die Täter wohl waren, wie sie aussahen, bloß keine Details, man will ja niemandem auf die Füße treten.

Damit sind sie auf einer Linie mit Löschung von diversen Facebook-Postings in Diskussionsforen, wo über die Kölner Vorfälle berichtet wurde. Sowohl Kritik an dem Einsatz der Polizei als auch die Hinweise auf die mögliche Abstammung der Täter und selbst Augenzeugenberichte wurden immer wieder von Administratoren gelöscht. Augen zu, Ohren zu, Mund zu.

Nun könnte man ja sagen: Na gut, solange man noch nichts sicher weiß und die Identität der Täter nicht klar ist, wollen wir mal nicht spekulieren und falsche Debatten anheizen. Zwei Einwände: Hätte es sich bei den Tätern zum Beispiel um deutsche Hooligans gehandelt, wir wüßten alle inzwischen deren Vornamen, die „Tagesschau“ hätte berichtet, und Justizminister Maas hätte einen runden Tisch eingesetzt. Niemand hätte ein Problem damit, daß die Identität der Täter offen genannt wird, zumal Pranger in Deutschland ja wieder ganz hoch im Kurs stehen.

Wir sind ein Land sprachlicher Fettnäpfchen geworden

Wie um Himmels willen soll nach Tätern gefahndet werden, wenn es nicht mehr möglich sein darf, sie zu beschreiben? Und ja, verdammt, es ist relevant, wie jemand aussah, genauso relevant wie die Frage, welche Sprache er sprach, welchen Akzent er hatte oder wie alt er ungefähr war. Wer einen Täter finden will, muß ihn so genau wie möglich beschreiben (dürfen).

Noch einmal zurück zu Rainer Brüderle. Ein angetrunkener Politiker macht einer Journalistin ein mißglücktes Kompliment – das reichte vor drei Jahren aus, um die halbe Bevölkerung Deutschlands als sexistische Chauvinisten unter Generalverdacht zu setzen. Es reichte aus, um Forderungen nach neuen Gesetzen und Verhaltenskodexen aufzustellen. Und es reichte aus, Mann zu sein, um sich latent auf der Täterseite wiederzufinden, selbst wenn man sich nie etwas hatte zuschulden kommen lassen.

Wir sind ein Land geworden, in dem man sprachlich nur noch von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen tappt, weil sich eine Frau oder eins der Hunderte von Geschlechtern falsch, gar nicht, oder nicht angemessen sprachlich berücksichtigt fühlt. Wir sind ein Land, in dem man als Mann überlegt, zu einer Frau alleine in den Aufzug zu steigen oder als Vorgesetzter Gespräche mit Mitarbeiterinnen noch unter vier Augen zu führen, es könnte ja falsch verstanden werden.

Ich will kein Verständnis haben

Und jetzt Köln. Männer, die Frauen massiv körperlich betatschen, sie sexuell nötigen, sie beleidigen, sie ausrauben. Auf einem öffentlichen Platz. Kein Einzelfall, sondern massiv, gezielt und offenbar ohne Angst vor der Videoüberwachung und der Polizeipräsenz. Der Aufschrei bleibt aus. Genauso übrigens, wie er im Herbst ausblieb, als die ersten Berichte aus Flüchtlingsunterkünften veröffentlicht wurden, daß es dort zu sexuellen Übergriffen gegenüber Flüchtlingsfrauen kommt. Auch damals kein Aufschrei, statt dessen der Rechtsextremismusvorwurf an diejenigen, die Sorge äußern, daß ein Frauenbild zuwandert in unser Land, das wir nicht dulden können.

Auch hier waren es wohl die falschen Täter. Der Sexismus-Vorwurf, sonst schnell zur Hand, weicht der Aufforderung zum Verständnis für andere Kulturen. Ich will kein Verständnis haben und werde es auch nicht aufbringen. Es ist mir egal, welche Nationalität ein Täter hat, welche Hautfarbe oder welche Sprache. Und wenn wir mit manchen Nationalitäten, Hautfarben und Sprachen mehr Probleme haben, als mit anderen, gehört es zur ganzen Wahrheit dazu. Weil es auch keinen Unterschied macht, ob das Opfer eine Deutsche oder eine Frau mit Migrationshintergrund ist, ob sie Flüchtling ist oder Asylbewerberin. Wenn wir Täter jedoch mit zweierlei Maß messen, lassen wir die betroffenen Frauen im Stich.

Der Text erschien zuerst auf nrwjetzt.de

Silvester in Köln: Der Feminismus hat versagt Foto: dpa
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