„Ich bin keine Feministin, ich bin Egoistin“, schreibt Welt-Redakteurin Ronja von Rönne in ihrem ungewöhnlich erfrischenden Text zur Feminismus-Debatte. Erfrischend, denn er ist wie ein geöffnetes Fenster in einem dunklen, staubigen Raum mit Verwesungsgeruch. Schon Alexander Kissler meinte neulich im Cicero nach dem peinlichen Emma-Artikel zur Quote im Cockpit, daß der Feminismus in eine „historische Phase“ eingetreten sei. Das bedeutet, er ist tot. Und was tot ist, stinkt.
Ebenso wie Rönne habe auch ich nie erlebt, daß Frausein ein Nachteil wäre. Als Tochter jenes Landes, das im Jahr 1906 als erste europäische Nation das Frauenwahlrecht einführte, wußte ich immer, daß ich alles erreichen kann, was ich will. Wenn ich will.
Meine Mutter hatte studiert, blieb aber mit uns Kindern viele Jahre zu Hause, weil wir Kinder das brauchten. Ruhe, Bindung, Selbstvertrauen. Ihr Zuhausebleiben, bis wir alt genug waren, wurde schon damals durch eine „Herdprämie“ gefördert: Frauen waren mündig genug, um selbst zu entscheiden, wie ihr Lebenslauf aussehen sollte. So was wie einen Hausfrauenberuf auf Lebenszeit gab es nicht. Warum auch?
In Deutschland kann Frausein von Vorteil sein
Nein, ein Nachteil war mein Frausein nie, doch in Deutschland lernte ich schnell, daß es durchaus ein Vorteil sein kann. Als 18jährige an der Uni merkte ich, daß es so etwas wie Stipendien nur für Frauen gab, Frauenbeauftragte, Förderprogramme und „Girls‘ Days“. Ich brauchte das nicht, aber es gab einem das Gefühl, wenn irgendwas schiefgeht, könnte frau ein wenig rumheulen und schon würde sich eine Lösung finden.
Ich kann mich noch an eine Diskussion mit einer Kommilitonin bei einer Zigarettenpause im Gang vorm Lesesaal erinnern. Wir waren im ersten Semester und hörten uns „Grundzüge der Soziologie“ an. Ganz aufgeregt zündete sie ihre Zigarette an und meinte, Frauen müßten für ihre Rechte kämpfen. Ich fragte mich, warum eigentlich, fand aber ihre Wut faszinierend. Ich ließ sie reden.
Ich empfand das alles in der Tat als „ekelhaft“, wie Rönne auch. Ich hatte dabei dasselbe mulmige Gefühl, wie wenn ich in der grünen Unistadt Freiburg den Ausländerbonus ausspielte. Wenn ich beispielsweise beim Fahrradfahren auf dem Gehweg ertappt wurde und sagte: „Nix verstehen!“ Ich verstand natürlich alles sehr wohl. Stellte mich nur dumm – genau wie die Feministinnen in meinen Augen.
Rosinen rauspicken
So stimmt Ronja von Rönnes Anfangssatz auch nicht ganz, denn eine Feministin ist im Grunde nichts anderes als eine Egoistin, die sich aus allen Brötchen die Rosinen rauspickt, auch wenn sie diese dann möglicherweise solidarisch mit ihren Freundinnen teilt.
Mit zunehmendem Konkurrenzkampf um Macht im Beruf ist eine solche Solidarität unter Frauen aber nicht mehr angebracht. Warum sollte man etwas von den schwererbeuteten Rosinen an die Konkurrentin abgeben, nur weil diese eine Frau ist? „An die Stelle des Kampfes um Frauenrechte ist schon lange der Kampf des Individuums um sein Glück getreten, aber das wird nicht gerne gehört, das ist egoistisch und unromantisch, das Feindbild nicht klar und die Fronten diffus“, schreibt Rönne.
Ja, das Berufsleben ist männlich, aber nicht, weil da nur Männer sind. Es ist männlich, weil es dort um Macht geht. Da kommt man nur weiter, indem man sich dementsprechend verhält. Das hat nichts mit „Gender“ zu tun. Es ist die Frage, was zuerst war, das Huhn oder das Ei.
Neue Generation ehrgeiziger Frauen
In unserer Gesellschaft werden diejenigen Eigenschaften als erstrebenswert angesehen, mit denen man am meisten Macht an sich reißen kann. Da Männer jahrtausendelang an der Macht waren, gelten diese Eigenschaften zufällig als männlich. Bis jetzt. Nun hat eine neue Generation ehrgeiziger Frauen entdeckt, daß sie nur lernen müssen, mit diesen Waffen umzugehen, dann wird ihnen im Beruf nichts mehr im Weg stehen.
Doch was sie vergessen, ist, daß sie mit diesen Waffen herzlich wenig anfangen können, sobald sie einen Säugling im Arm halten, ihr eigenes Kind. Ab diesem Zeitpunkt gelten andere Überlebensstrategien, andere Ziele, andere Werte. Das ist ganz natürlich so.
Und dann klingt plötzlich die Beschreibung „Egoistin“ ganz hohl. Und wie dankbar man doch wird, als moderne, studierte, arbeitende Frau, daß es doch die Errungenschaften der verstaubten Feministinnen früherer Zeiten gibt, wie Kitaplätze, Elterngeld, Mutterschutz und Gesetze, die einem den Fuß in der Tür zur Berufswelt offenhalten.
Verlust statt Erungenschaft
Denn wir „Egoistinnen“ der neuen Generationen wissen oft nicht mehr, wie wir ein solches langsames Leben, ohne Konkurrenzkampf und Anerkennung, bei dem sich alles um Poabwischen, Stillen, Sandkasten und Gutenachtgeschichten dreht, meistern sollen und dies auch noch als geistig erfüllend empfinden können.
Aber das ist keine Errungenschaft, sondern ein unvorstellbarer Verlust für uns Frauen, die wirklich Frauen und nicht nur Feministen oder Egoisten sein wollen.
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