Respice finem, bedenke das Ende, lautet ein zeitloser römischer Grundsatz. Aber die Regierung in Berlin denkt nicht über den Tag hinaus, wirft Grundsätze über Bord. Lehren aus Fehlern zieht sie nicht, sondern stürzt sich jetzt in ein neues militärisches Abenteuer in Syrien. Der Einsatz ist weder militärisch vernünftig, noch trägt er zur Bekämpfung des Terrorismus in Europa bei.
Allein die praktische Vernunft gebietet, andere Konsequenzen aus den Anschlägen in Paris zu ziehen, als eine Fregatte ins östliche Mittelmeer zu schicken und einige alternde Tornado-Aufklärungsflugzeuge in den überfüllten syrischen Luftraum. Der algerische Schriftsteller Boualem Sansal sagte nach den Anschlägen von Paris: „Der Islamismus hat der Menschheit den Krieg erklärt, seine Verfechter wollen die Macht. Weltweit mobilisieren sie Anhänger, und ihnen gegenüber steht nichts, Leere.“
Mit der Zuwanderung kamen die IS-„Soldaten“
Dieses Nichts, ein sicherheitspolitisches Vakuum, besteht in Europa. Während mittel- und osteuropäische Staaten die Risiken einer überwiegend moslemischen Zuwanderung erkannt haben und vernünftige Sicherheitsmaßnahmen treffen, hängen die alten EU-Mitglieder immer noch der Illusion einer vielfältigen, toleranten und weltoffenen Staatengemeinschaft an, in die jeder einreisen und in der jeder bleiben kann.
Und wo es – zumindest in Deutschland – in einem Vierteljahr soviel staatliche Unterstützung gibt, wie arabische Böden den Ackerbauern nicht in einem Jahr an Ertrag bieten. Mit den Zuwanderern, die den Okzident als „El Dorado“ identifiziert haben, kommen allerdings auch andere, zum Beispiel „Soldaten“ des Islamischen Staates.
Staat mit gestörten Strukturen
Die Konsequenzen aus Paris müssen zunächst andere sein als militärische. Frankreich würde am besten unterstützt werden, indem Deutschland die Grenzen zum Nachbarn sichert und sorgfältig jeden kontrolliert, der in das Nachbarland will. In der Bundesrepublik selbst müssen nicht registrierte, sich offensichtlich illegal hier aufhaltende Ausländer von den Polizeibehörden erfaßt werden.
Wenn es stimmt, daß sich bis zu einer halben Million Illegale in Deutschland aufhalten, von denen man nicht weiß, woher sie kommen, wohin sie wollen und vor allem was sie hier wollen, gleicht Deutschland mehr einem Staat mit gestörten Strukturen und weniger einer Interventionsmacht. Um einem weiteren Anstieg der Zahl illegaler Einreisen entgegenzuwirken, ist ein wirkungsvolles Grenzregime erforderlich, nachdem die europäischen Grenzschutzabreden das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben wurden.
Assads Ausgrenzung hilft niemandem
Der polnische Außenminister Witold Waszczykowski hat zum Thema Sinn und Notwendigkeit eines militärischen Einsatzes in Syrien den Finger in die Wunde gelegt: „Können Sie sich vorstellen, daß wir unsere Armee zum Kampf nach Syrien schicken, während hunderttausend Syrer in Berlin Kaffee trinken und zusehen, wie wir für ihre Sicherheit kämpfen?“ fragte Waszczykowski. Bei den stundenlangen Debatten im Bundestag ist kein Wort darüber verloren worden, wie der Krieg in Syrien mit örtlichen Kräften beendet werden kann.
Die pauschale Ablehnung, dem „Massenmörder“ Assad die Hand zu reichen, hilft niemandem. Westliche Politiker hatten noch nie Scheu, Diktatoren die Hand zu reichen, wenn Aussicht auf lohnende Geschäfte bestand. Die Pilgerzüge zum Mullah-Regime in Teheran sind der jüngste Gipfel der Peinlichkeit. Die Debatte, ob die russische Politik der Einbindung Assads vielleicht die erfolgreichere sein könnte als ein Einsatz von Kampfflugzeugen, wird in Berlin tabuisiert.
Afghanistan wird fallen
Ungefähr zehn Jahre lang haben Berliner Politiker den Wählern weiszumachen versucht, Deutschland werde auch in Afghanistan verteidigt. Nach zehn Jahren zogen die Bundeswehr und die anderen Armeen westlicher Staaten bis auf ein paar Ausbildungskompanien ab. Jeder weiß, daß Afghanistan bald in die Hände jener fallen wird, die auch im Islamischen Staat das Sagen haben.
In Afghanistian war dasselbe wie auch im vorherigen Großeinsatz auf dem Balkan zu beobachten. Der Westen hat kein politisches Konzept. Man will sich humanitär engagieren, weiteres Morden verhindern und stellt nach Militäreinsätzen fest, daß sich Länder wie der Irak und Libyen in apokalyptische Orte des Schreckens verwandelt haben. Die Enthauptungsorgien an Minderheiten im Irak gibt es erst seit dem Ende von Saddam Hussein.
Kosovo ist ein „failed state“
Wie unfähig auch deutsche Interventionspolitik ist, läßt sich an dem kleinen Balkan-Staat Kosovo festmachen. Trotz einer Aufbauhilfe von mehreren Milliarden Euro und der Entsendung von zeitweise rund 10.000 Bundeswehr-Soldaten ist das Land von Bundeswehr und Entwicklungshilfe nicht stabilisiert worden, sondern es gab in diesem Jahr neue Flüchtlingswellen. Kosovo ist ein „failed state“ wie Afghanistan und Irak. Berliner Politiker sollten sich hüten, jetzt ihren Blick auf das afrikanische Mali als Interventionsort zu richten. Was wollen wir da? In die Falle des IS gehen?
Auf die Frage nach dem Ziel eines Syrien-Einsatzes werden deutsche Politiker schmallippig. Sie können nicht einmal die rechtlichen Grundlagen buchstabieren. Der Einsatz ist weder von einem UN-Mandat gedeckt, noch liegt ein Hilfeersuchen der Regierung Syriens vor. So blieb Berlin nichts anderes übrig, als die selbst implodierende EU als System kollektiver Sicherheit zu definieren, in dessen Rahmen man tätig wird, um damit die rechtliche Grauzone etwas aufzuhellen. Das Einsatzziel Syrien ist ein Symbol – für eine Flucht Berliner Politiker vor ihrer Verantwortung in Deutschland und Europa.
JF 51/15