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Meinung: Amerikas Halali

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Meinung
 

Amerikas Halali

Mit Osama bin Ladens Liquidierung feierte Barack Obama den bisher größten Triumph seiner Präsidentschaft, die zunehmend ins Trudeln geraten war: Gesundheitsreform, Arbeitslosigkeit, Sparprogramme, gigantische Schulden – innenpolitisch war das meiste schiefgegangen. Der Erfolg in Pakistan bescherte dem Präsidenten nun ein unerhofftes Geschenk: Anderthalb Jahre vor dem Wahltag dürften die Zweifel an Führungsfähigkeit und Entschlußkraft zunächst einmal verstummen. Doch Ibn Ladens Bedeutung war längst rückläufig. Ein Kommentar von Günther Deschner.
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Cato, Palmer, Exklusiv

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Eine Amerikanerin jubelt auf dem Times Square in New York über die Nachricht vom Tod Osama Bin Ladens Foto: Wikipedia/Josh Pesavento

Freude, Jubel, Gratulationen, Triumph: Diesen 1. Mai werden Amerika und die Welt nicht so schnell vergessen. Wenige Monate vor dem zehnten Jahrestag des Blutbads in New York, teilte Präsident Barack Obama die Liquidierung von Osama bin Laden mit. „Justice has been done“, sagte er, „der Gerechtigkeit wurde Genüge getan“. Ibn Laden galt als Drahtzieher der Anschläge des 11. September 2001 und als Ikone der radikal-islamischen Gegner des Westens. 

Mit Osamas Liquidierung feierte Obama den bisher größten Triumph seiner Präsidentschaft, die zunehmend ins Trudeln geraten war: Gesundheitsreform, Arbeitslosigkeit, Sparprogramme, gigantische Schulden – innenpolitisch war das meiste schiefgegangen. Der Erfolg in Pakistan bescherte dem Präsidenten nun ein unerhofftes Geschenk: Anderthalb Jahre vor dem Wahltag dürften die Zweifel an Führungsfähigkeit und Entschlußkraft sowie an der außen- und sicherheitspolitischen Kompetenz des Amtsinhabers zunächst einmal verstummen. 

Obamas Vorgänger George W. Bush hatte im Habitus eines Cowboys versprochen, man werde Ibn Laden unschädlich machen, „tot oder lebendig“. Mit den Taten und Drohungen des saudischen Topterroristen wollte Bush die Invasion Afghanistans und seinen Angriffskrieg im Irak rechtfertigen. Was daraus entstand – Folter und die Aushöhlung der Bürgerrechte, Guantánamo und Abu Ghraib – war das, was letztendlich zur Entfremdung der Welt von Amerika beitrug und was dessen Anspruch, Wächter der Menschenrechte, von Demokratie und Freiheit zu sein, so unglaubwürdig machte.

Ein Fanal für das verunsicherte Land

Was dem Vorgänger nicht gelungen war, erledigte Barack Obama jetzt punktgenau. „Wir werden Ibn Laden töten“, hatte er schon im Wahlkampf versprochen; die Erfüllung dieses Versprechens aber schien nach seinem Amtsantritt in weite Ferne gerückt. Nach nahezu zehn verlorenen Jahren, die die Spur Osama bin Ladens verwischt hatten, und inmitten von Selbstzweifeln und Spekulationen über einen amerikanischen Niedergang, trug Obama nun eine Hymne auf „Gottes eigenes Land“ vor: „Wir werden heute einmal mehr daran erinnert, daß Amerika erreichen kann, was es sich vornimmt.“ 

Ein Fanal für das verunsicherte Land! Vielleicht mußten die Amerikaner Ibn Laden fassen, um Frieden zu finden. Doch seine Bedeutung war längst rückläufig. In Washington weiß man, daß mit dem Saudi nicht auch al-Qaida und schon gar nicht der Terrorismus gestorben ist. Noch immer wachsen einer Hydra neue Köpfe nach, wenn man ihr einen abschlägt. Dafür braucht es weder Ibn Laden noch eine al-Qaida. Sie hat sich seit Jahren zu einer losen und amorphen Struktur entwickelt. „Ein Mann, eine Bombe“ lautet heute das Motto. Al-Qaida, wenn es sie als Organisationskern überhaupt noch gibt, ist heute so etwas wie ein Franchise-Unternehmen. 

Insofern hat heute jedes Land eine „Terror-Zelle“. Nach der Verhaftung von drei Marokkanern in Deutschland, die verdächtigt werden, Bombenanschläge geplant zu haben, räumten die deutschen Behörden ein, daß mehr als 200 Inhaber deutscher Pässe in Ausbildungslagern in den Stammesgebieten waren und viele davon inzwischen wieder in Deutschland sind. Es ist schwierig, im Fall Osama bin Laden objektiv zu sein.

Vielleicht wäre es weitaus besser gewesen, wenn es den USA gelungen wäre, ihn festzusetzen und vor ein Gericht zu stellen. Das hätte rechtsstaatlichen Kriterien sicher eher genügt als Kopfschüsse eines Spezialkommandos. Ein Prozeß nach rechtsstaatlichen Maßstäben hätte nicht nur die genauen Planungen des 11. September 2001 aufdecken können, sondern auch die Legendenbildung schwerer gemacht.

„Auge um Auge, Zahn um Zahn“

Dennoch ist es naheliegend, daß die Amerikaner keinen Wert darauf gelegt haben, Osama einen erstklassig-rechtsstaatlichen Musterprozeß zu bieten. Um ihm dann einen Anwalt aufzuzwingen und sämtliche Möglichkeiten sich zu verteidigen und unangenehme Wahrheiten auszuplaudern so doch wieder zu nehmen; oder ihn etwa laufen zu lassen, aus Mangel an unumstößlichen und erhärteten Beweisen? Wir können es nur vermuten, aber wie leicht hätte Ibn Laden in einem Gerichtsverfahren auch Informationen preisgeben können, die manche offizielle amerikanische Darstellung erschüttert hätten?

Doch Osamas Jahrhundertschlag von 2001 hatte tiefere, atavistische Schichten im historischen Bewußtsein der Amerikaner berührt. Daß seine kaltblütige Liquidierung und die spurenlose Entsorgung seiner Leiche gefeiert wurden, zeigt, wie tief das Gefühl der Demütigung durch den gelungenen Luftangriff der al-Qaida auf New York sich eingefressen hatte. Noch nie in der Geschichte ihres Landes hatten die Amerikaner – die wahren Meister der Massentötung aus der Luft – am eigenen Leib erlebt, wie es aussieht, wenn man wehrlos den Angriffen von „Terrorbombern“ ausgeliefert ist.

Ob die Welt das Vorgehen in Abbottabad gerechtfertigt findet, ist für die Vereinigten Staaten höchst belanglos. „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ schien ihnen das angemessene Urteil. Sie haben die Macht und setzen sie ein. Die offene Rechnung mit dem meistgesuchten Terroristen der Welt ist jetzt beglichen. Eine Spielart der normativen Kraft des Faktischen eben, die zu anderen Zeiten auch andere Völker kannten.

JF 19/11

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