Unter den Bedingungen unseres modernen Kurzzeitdenkens kann es leicht sein, daß die Rebellion der vier aufrechten hessischen SPD-Abgeordneten gegen die Wahl Andrea Ypsilantis zur hessischen Ministerpräsidentin mit Hilfe der Linkspartei bald vergessen sein wird. Doch würde solches Vergessen unserer politisch-moralischen Kultur ein schlechtes Zeugnis ausstellen.
Denn das Handeln der hessischen Vier vor vier Wochen verdient, als ein positives Datum deutscher Parlaments – und Parteiengeschichte im Gedächtnis zu bleiben. Eine von ihnen, Carin Everts hat die Sache auf den Punkt gebracht: Sie wäre bei ihrer Ja-Stimme in der geheimen Abstimmung mit einem gebrochenen Rückgrat aus der Wahlkabine herausgekommen.
Der Vorgang behält eine prinzipielle Bedeutung, bezeichnet er doch einen Punkt auf einem Weg, den unsere politische Ordnung schon seit längerem eingeschlagen hat: von der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes zum Parteienstaat, in dem die Oligarchie der Parteioberen und der Funktionärskaste über alles entscheiden will – ungeachtet des verfassungsrechtlich legitimierten Instituts des freien Abgeordnetenmandats.
Deformation der Verfassungswirklichkeit
Diese Deformation unserer Verfassungswirklichkeit hat schon bis jetzt viel zur sinkenden demokratischen Glaubwürdigkeit beigetragen. Wie sagt der Staatsrechtler Hans-Herbert von Arnim so richtig? Unsere Demokratie zeichne sich dadurch aus, dass sie immer weniger eine ist.
Die Rebellion der hessischen Vier hat offengelegt, wie viele SPD-Mitglieder-und Wähler auch in Hessen mit Ypsilantis Politik des „Mit dem Kopf durch die Wand“ (Kurt Beck) nicht einverstanden waren und sind. Sie hat zugleich deutlich gemacht, mit welch totalitären und sektenhaften Methoden das Partei-Establishment die Abweichler diffamiert und verfolgt.
Man fühlte sich von Anfang an und bis heute an die klassisch Marxistisch-bolschewistischen Parteien erinnert, in denen bekanntlich die Begriffe wie „Abweichler“, „Dissidenten“ und selbst „Minderheit“ mit einem religionsartigen Verdammungsurteil belegt werden.
Offensichtlich hat die Mehrheit der hessischen SPD-Landtagsfraktion keinen Grundkurs in Zeitgeschichte absolviert, zumal sie mit dem Blick nach Rechts ohnehin überbelastet war. Die hessischen Vier haben aber ein Signal dafür gesetzt, wie der Freiheitlichen Demokratie Sauerstoff zugeführt werden kann. Nötig hat sie es, wie der Wiesbadener Fall zeigt, auf jeden Fall.