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Interview der Woche: Susanne Dagen: „Alternative Buchmesse ‘SeitenWechsel’ schon jetzt ein großer Erfolg“

Interview der Woche: Susanne Dagen: „Alternative Buchmesse ‘SeitenWechsel’ schon jetzt ein großer Erfolg“

Interview der Woche: Susanne Dagen: „Alternative Buchmesse ‘SeitenWechsel’ schon jetzt ein großer Erfolg“

Susanne Dagen, Buchhändlerin, Verlegerin („Edition Buchhaus Loschwitz“ & Reihe „Exil“) sowie Initiatorin der rechten Buchmesse „Seitenwechsel“ in Halle, in Ihrem Buchhaus Loschwitz / Kulturhaus Loschwitz in Dresden. Foto: Imago / Sven Ellger
Susanne Dagen, Buchhändlerin, Verlegerin („Edition Buchhaus Loschwitz“ & Reihe „Exil“) sowie Initiatorin der rechten Buchmesse „Seitenwechsel“ in Halle, in Ihrem Buchhaus Loschwitz / Kulturhaus Loschwitz in Dresden. Foto: Imago / Sven Ellger
Initiatorin Dagen: „Unser neue Buchmesse wird zur Institution werden.“ Foto: Imago / Sven Ellger
Interview der Woche
 

Susanne Dagen: „Alternative Buchmesse ‘SeitenWechsel’ schon jetzt ein großer Erfolg“

Deutschland bekommt eine neue Buchmesse: Die erste „SeitenWechsel“ findet am 8./9. November statt – Medien und Politik laufen dagegen Sturm, wollen die „rechte Messe“ verhindern. Veranstalterin Susanne Dagen wehrt sich im JF-Interview gegen die Vorwürfe.
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Frau Dagen, wird es Ihren Gegnern gelingen, die Messe „SeitenWechsel“ noch zu verhindern?

Susanne Dagen: Nein, auf keinen Fall. Auch wenn es eifrig versucht wird.

Vom wem?

Dagen: Oh, da hat die sogenannte Zivilgesellschaft tief aus ihrem Füllhorn geschöpft. Etwa mit einer Resolution aus den Reihen des Hallenser Stadtrats.

Welche die Messe Halle GmbH auffordert, sich von der „als rechtsextrem einzustufenden Buchmesse“ Seitenwechsel geschäftlich „zu verabschieden“.

Dagen: Genau, unterzeichnet von Abgeordneten der SPD, Grünen, Linken und leider auch der Freien Wähler. Oder mit einer Petition auf der Plattform change.org mit über 30.000 Unterschriften, die von der Stadt Halle verlangt, Seitenwechsel abzusagen. Natürlich sekundiert, ja vorbereitet von einer einschlägigen Medienberichterstattung, für die der öffentlich-rechtliche Deutschlandfunk bereits im März den Aufschlag gemacht hat. Weitere Medien haben sich dann daran gehängt.

Dagen: „Auch das ‘Wir-Festival’ wird ‘SeitenWechsel’ nicht verhindern“

Insbesondere dem MDR wirft die Messe vor, sich „bereitwillig (an) der Verbotskampagne gegen Seitenwechsel“ zu beteiligen und mit seiner Berichterstattung auf die „moralische Exekution“ der Aussteller zu zielen. Wie kommt es, daß die Messegesellschaft nicht einknickt, wie das wohl die meisten Unternehmen tun würden?

Dagen: Sie dazu zu bewegen hat Oberbürgermeister Alexander Vogt, parteilos, ja schon probiert – erfolglos. Und auch das Stadtmarketing hat versucht, die Messe dazu zu bringen, den Mietvertrag mit uns aufzulösen. Doch wir arbeiten gut mit unserem Vermieter, der Messegesellschaft, zusammen. Und da die Messe Halle keine kommunale, sondern eine private Einrichtung ist, hat die Politik nun mal kaum Handhabe.

Deshalb versucht man es jetzt auf andere Weise: Kann man Seitenwechsel nicht verhindern, will man sie sabotieren. Zum Beispiel die Mitteldeutsche Zeitung, die schreibt, man werde sehr genau beobachten, wer dort als Aussteller und auch als Besucher hinkommt. Das ist natürlich eine unverhohlene Drohung, um Verlage und Bürger abzuschrecken und Seitenwechsel zu einem Mißerfolg zu machen.

Könnte das gelingen?

Dagen: Nein, wir haben bereits sechzig Aussteller, zehn mehr als ich mindestens vorausgesetzt habe, und werden sicher auf 5.000 Besucher kommen.

Was, wenn nicht?

Dagen: Das wird nicht passieren, denn der Kartenvorverkauf läuft sehr gut.

Ein weiterer Versuch, Seitenwechsel noch auszumanövrieren, ist eine – fast zweimonatige! – Gegenveranstaltung. Was hat es damit auf sich?

Dagen: In der Tat, von September über Oktober bis hin zum Wochenende der Messe am 8. und 9. November veranstaltet die Hallenser Zivilgesellschaft nun ein „Wir-Festival“. Bezeichnend ist der Name, denn „Wir“ heißt ja: Ihr nicht!

Allerdings entwickelt sich die Sache nicht nach der Vorstellung der Initiatoren. Die hätten gerne, daß die Stadt das Festival auch finanziell unterstützt – es geht also auch wieder einmal darum, mit dem „Kampf gegen Rechts“ Fördergelder zu generieren. Doch das klappt diesmal nicht, da die kommunalen Kassen leer sind. Die Realität spielt uns also in die Karten, und auch das „Wir-Festival“ wird nicht verhindern, daß unsere Messe stattfindet.

„Übergriffe gegen rechte Verlage auf der Frankfurter Buchmesse“

Was genau ist eigentlich Seitenwechsel?

Dagen: Ich bin seit 35 Jahren Buchhändlerin und habe die Entwicklung der Buchmessen sehr genau verfolgt. Das Jahr 2017 war eine Zäsur, als während der Frankfurter Buchmesse mehrere Stände konservativer Verlage beschädigt wurden, und zwar nachdem zuvor der Veranstalter der Messe politisch Stimmung gegen diese gemacht hatte.

Konkret gab es damals einen Aufruf des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels gegen rechte Verlage sowie eine von diesem organisierte Demo gegen diese vor deren Messeständen – betroffen war auch diese Zeitung.

Dagen: Das muß man sich einmal vorstellen: Der Messeveranstalter mobilisierte gegen seine eigenen Mieter! Die Konsequenz waren Übergriffe – kein Wunder, hatte der Börsenverein doch dazu aufgefordert, den mißliebigen Verlagen zu „begegnen“, sich gegen sie zu „engagieren“ und „Haltung zu zeigen“. In der Folge veröffentlichte ich den von etlichen Prominenten, wie Uwe Tellkamp, Hans-Joachim Maaz, Cora Stephan oder Matthias Matussek, unterzeichneten Protestaufruf „Charta 2017“.

Darin hieß es über den Börsenverein: „Wenn ein Branchen-Dachverband … darüber befindet, was als Meinung innerhalb des Gesinnungskorridors akzeptiert wird und was nicht, wenn gar zu ‘aktiver Auseinandersetzung’ mit mißliebigen Verlagen unter Nennung ihrer Standnummer aufgerufen wird und diese dann im ‘Kampf gegen Rechts’ beschädigt und ausgeräumt werden – dann ist unsere Gesellschaft nicht mehr weit von einer Gesinnungsdiktatur entfernt.“

Dagen: Ja, doch als Reaktion darauf verbannte der Börsenverein im kommenden Jahr die mißliebigen Verlage in einen abgetrennten Bereich, schuf also eine Art Messe-Ghetto. Mit all dem war klar, daß es keine freie Buchmesse mehr gibt. Hinzu kommt, daß dort immer weniger Verlage, dafür aber immer mehr staatliche Institutionen und NGOs vertreten sind, wie etwa die Bundeszentrale für politische Bildung oder die Amadeu-Antonio-Stiftung. Ich habe mir im Frühjahr mal die Mühe gemacht, das Ausstellerverzeichnis der Leipziger Buchmesse durchzugehen: Das hat nichts mehr mit den Buchmessen von vor zum Beispiel zwanzig Jahren zu tun.

„Es geht nicht um links und rechts, sondern um freie Geister“

Seitenwechsel verstehen Sie also als Gegenentwurf, als Rückkehr zur traditionellen, für alle offenen Buchmesse?

Dagen: Ja, und mit bezahlbaren Standmieten.

Aber ist Seitenwechsel nicht die Buchmesse des „rechten Lagers“, wie etwa der Berliner „Tagesspiegel“ schreibt?

Dagen: So versuchen uns die Medien nun zu framen, aber das ist lächerlich. Seitenwechsel steht vielmehr für einen Perspektivwechsel – und das ist ja, was wir als Leser ständig machen. Es ist also eigentlich gar nichts Neues, sondern nur das, was kluge und differenzierte Menschen immer tun. Eingeladen habe ich übrigens über 300 Verlage aus allen Richtungen, also auch solche, die sich als links verstehen.

Wenn die Linken aber nicht kommen, wird dann nicht zwangsläufig eine rechte Buchmesse daraus? 

Dagen: Nein, es geht nicht um links und rechts, sondern um freie Geister. Darum, Verlagen wieder einen Raum zu geben, die sonst keinen mehr finden – sei es weil sie ausgegrenzt werden, in Frankfurt und Leipzig nicht mehr sicher sind, die Miete dort nicht mehr bezahlen können oder weil sie dort ihr Publikum nicht mehr finden etc.

„Corona als gesellschaftlicher Brandbeschleuniger“

Wenn die Zäsur 2017 war, warum kommt Seitenwechsel dann erst jetzt, acht Jahre später?

Dagen: Zum einen verfügte ich 2017 noch gar nicht über die dafür nötigen Kontakte. Vor allem aber muß man als Mensch in so etwas erstmal hineinwachsen. So war ich etwa bis 2019 eigentlich eher reaktiv – zum Beispiel war die „Charta 2017“ ja reine Reaktion.

Dann habe ich vor sechs Jahren begonnen, mich in der Dresdner Lokalpolitik zu engagieren, zog für die Freien Wähler in den Stadtrat ein und bin damit immer mehr vom reaktiven zum aktiven bürgerschaftlichen Engagement gewechselt. Und schließlich haben sich seitdem auch die Verhältnisse zugespitzt. So war ich etwa noch 2018 auf der Leipziger Buchmesse zur Diskussion auf ein Podium eingeladen – heute vollkommen undenkbar!

Die Frage ist auch, ob es 2017 für eine solche Messe bereits ausreichend Aussteller und Publikum gegeben hätte. Vergessen Sie nicht, daß seitdem Corona war, ein enormer gesellschaftlicher Brandbeschleuniger, der vielen Menschen erst klargemacht hat, in was für einer Gesellschaft sie leben.

Warum in Halle und nicht in Leipzig, der alten deutschen Buchhauptstadt, oder in Dresden, der Kulturhauptstadt Mitteldeutschlands?

Dagen: Zum einen wegen meiner guten Beziehungen zur Messe Halle, aber auch wegen der Standmieten. Zudem ist wie schon gesagt das Messegelände dort im Gegensatz zu Leipzig und Dresden nicht in kommunaler Hand, weshalb die Wahrscheinlichkeit, kurz vor knapp noch gekündigt zu kriegen, ziemlich gering ist. Und schließlich ist Halle als Messestandort zentraler gelegen als Dresden und Leipzig.

„Im Grunde sind diese Umstände ein Skandal“ 

Seitenwechsel findet statt – das klingt, als sei nichts faul im Staate Deutschland. Aber Angst vor Kündigung, Druck auf die Messegesellschaft, politische Cancelversuche und Sabotage, mediale Verleumdung: Ist es normal, daß eine Buchmesse in einer demokratischen Gesellschaft unter solchen Bedingungen stattfindet?

Dagen: Nein, natürlich nicht. Im Grunde sind die Umstände ein Skandal! Für mich aber sind sie eben leider auch längst nicht mehr ungewöhnlich. All das hatte ich erwartet – anders als mein Vermieter, die Messe. Für sie ist die Erfahrung neu, und sie lernt nun das über unsere Gesellschaft, was ich bereits früher erfahren mußte. Um so dankbarer bin ich allerdings, bei ihr auf Menschen getroffen zu sein, die Rückgrat haben.

In einem normalen, demokratischen Land dürfte das jedoch nicht nötig sein, ja in einem normalen Land gäbe es Seitenwechsel gar nicht, weil kein Bedarf bestünde, da dort Buchmessen Orte wirklicher Vielfalt sind. Und das führt uns zu der eigentlich zentralen Frage, die jeden Bürger umtreiben müßte: Warum ist das nicht möglich?

Wie lautet Ihre Antwort?

Dagen: Weil unser Land auf dem Weg in einen neuen Totalitarismus ist. Das fällt mir auch auf, wenn ich in die Verlagsprogramme schaue: Ich frage mich bei vielen Büchern: Für wen sollen die eigentlich sein? Früher, in der DDR, hätte man gesagt, Lektüre für die Parteisoldaten. Diese Bücher machen etwas mit der Branche, machen aber auch etwas mit dem Leser, den sie in eine Richtung drängen, die ihn Abweichendes nicht mehr denken lassen sollen.

Ist Seitenwechsel also nicht nur eine Messe, sondern auch ein Zeichen: Ein Symbol für den Zustand unserer Demokratie und Gesellschaft?

Dagen: Das Wort Zeichen finde ich grundsätzlich schwierig. Ich würde sagen, Seitenwechsel ist ein Lackmus-Test und hoffentlich auch Ausgangspunkt eines Wandels. Denn es ist ja immer so, daß dieser von einigen wenigen ausgeht, die voranschreiten und damit Dinge in Bewegung setzen.

Seitenwechsel wird etwas auslösen?

Dagen: Ich hoffe, daß wir im Lauf der Zeit immer mehr Initiativen nach uns ziehen. Daß immer mehr Menschen sagen, diese Art von Freiheit lassen wir uns nicht mehr nehmen! Ich glaube, Seitenwechsel ist der Anfang einer Normalisierung.

„Unsere Kritiker kriegen sich vor Haß und Hetze gar nicht mehr ein“ 

Mehrere Medien werfen Ihnen vor, daß Seitenwechsel „ausgerechnet am 9. November“ (FAZ), „dem Gedenktag der Reichspogromnacht“ (Tagesschau) stattfindet – sprich: Sie wollten entweder provozieren oder gar heimlich die Judenverfolgung abfeiern.

Dagen: Denen ist wirklich nichts zu dumm. Aber um das aufzuklären: Bei der Suche des Termins richte ich mich vor allem nach dem Veranstaltungskalender der Messegesellschaft. Zudem sollte der Termin nach der Frankfurter Buchmesse, aber noch vor dem Advent liegen. Doch falls er eine Bedeutung hätte, dann wäre es, daß der 9. November der Jahrestag des Mauerfalls ist.

Es gibt ja das Wort „Fokussierungsillusion“, wonach die Fokussierung auf etwas zeigt, was einen ausmacht: Deshalb ist der 9. November für mich der Tag des Mauerfalls. Während die Fokussierung auf das Dritte Reich, die übrigens typisch für den Westen ist, einiges über die aussagt, die mir diese Koinzidenz vorwerfen.

Was wird der Seitenwechsel-Besucher konkret geboten bekommen?

Dagen: Ich rechne wie gesagt mit mindestens 5.000 Besuchern, auch dank unseres erschwinglichen Eintritts von 15 Euro pro Tag oder 25 Euro für beide Tage. Dann ist’s aber auch schon proppevoll! Unsere Gäste erwarten neben den Ausstellern auch fast siebzig Veranstaltungen, zum Teil mit Prominenten wie etwa Michael Klonovsky, Roger Köppel, Michael Meyen, Cora Stephan, Vera Lengsfeld, Antje Hermenau, Uwe Steimle, Matthias Matussek, Uwe Tellkamp oder Gloria von Thurn und Taxis.

Das klingt nach einem stark sachbuchorientierten Programm. Ist Seitenwechsel also im Gegensatz zu etablierten Buchmessen nichts für Freunde der Belletristik?

Dagen: Nein, auch die findet ihren Raum, repräsentiert durch die eher kleinen Verlage, etwa der Schweizer Verlag Loco mit den Autoren Peter Niebergall und Volker Mohr. Ich selbst, also der Verlag „edition buchhaus loschwitz“, werde etwa Jörg Bernig präsentieren, der Gedichte liest. Dennoch ist Ihre Frage berechtigt, denn sicher gibt es einen Schwerpunkt bei politischen Titeln und Themen – aber auch weil der Buchmarkt allgemein inzwischen politischer ist. Das Programm ist übrigens schon jetzt auf der Netzseite der Messe einzusehen.

Werden nach der ersten Seitenwechsel alle Hebel in Bewegung gesetzt, um eine Wiederholung 2026 zu verhindern oder wird sich Ihre Messe etablieren?

Dagen: Letzteres, kein Zweifel! Und zwar weil sich Skandalisierung abnutzt. Weil der Bedarf für Buchmessen wächst, da es das Buchhandelssterben für Verlage immer wichtiger macht, jede Gelegenheit zu nutzen, sich direkt den Lesern zu präsentieren. Und weil, wenn die politische Entwicklung so weitergeht, auch die Zahl der Bürger steigt, die frei und unabhängig lesen, denken und debattieren möchten. Quantitativ wird Seitenwechsel zwar vermutlich nur langsam wachsen, aber sich als „Institution“ rasch etablieren. Übrigens nicht zuletzt dank unserer Kritiker, denn daß diese sich vor Haß und Hetze gar nicht mehr einkriegen, macht Seitenwechsel schon jetzt zu einem großen Erfolg.
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Susanne Dagen. Die Buchhändlerin, geboren 1972 in Dresden, gründete mit ihrem Lebenspartner 1995 das „BuchHaus Loschwitz“ im gleichnamigen Dresdner Stadtteil, das 2021 Ziel eines Anschlags wurde. Seit 2002 führen sie den Verlag „edition buchhaus loschwitz“ mit seiner Reihe „Exil“ und eröffneten 2005 das neben der Buchhandlung gelegene Veranstaltungshaus „KulturHaus Loschwitz“. Die Buchmesse „SeitenWechsel – Die BücherMesse“ findet am Wochenende vom 8. und 9. November in Halle an der Saale statt – Eintrittskarten gibt es hier.

Aus der JF-Ausgabe 43/25.

Initiatorin Dagen: „Unser neue Buchmesse wird zur Institution werden.“ Foto: Imago / Sven Ellger
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