Alles andere als beliebt gemacht hat sich Hans-Peter Martin bei seinen Kollegen in Straßburg und Brüssel. Seit 1999 sitzt der Fuchs im Hühnerstall der Eurokraten nun im Europäischen Parlament. Martin gilt als Störenfried: Ist er ein wackerer Streiter für die Interessen der Bürger oder schlicht teamunfähig, wie seine Kritiker meinen? Nicht nur von der SPÖ trennte er sich im Unfrieden. Auch die bekannte ORF-Moderatorin Karin Resetarits, mit der er 2004 in Brüssel einzog, ergriff 2005 die Flucht. Martin hatte ihr per Gastkommentar in der Kronen-Zeitung, Österreichs Boulevardblatt Nummer eins, attestiert, sie sei bei einer wichtigen Abstimmung „wieder mal nicht anwesend“ gewesen.
Zur Haßfigur der EU-Parlamentarier schlechthin entwickelte er sich Ende 2004, nachdem er Kollegen jeder Couleur beschuldigt hatte, Spesen und Reisekosten falsch abgerechnet zu haben (JF berichtete). Laut Martin hatten sie sich in Tagegeldlisten eingetragen und danach den Sitzungsort gleich wieder verlassen. Allein deutsche EU-Abgeordnete hätten in 7.200 Fällen so getrickst, listete Martin auf.
Der 1957 in Bregenz am Bodensee geborene Jurist ( www.hpmartin.net ) begann seine Laufbahn als Journalist beim Spiegel. Aufsehen erregte er 1995 mit seinem Buch „Die Globalisierungsfalle“, gelang ihm darin doch eine bis heute immer noch erstaunlich aktuelle Analyse dieses Phänomens. Was er bereits damals über shareholder value, Deregulierung und sogar über Phänomene sagte, die angeblich erst die Finanzkrise zutage brachte, etwa die „Offshore-Anarchie“ oder die verderblichen Folgen bestimmter Derivate, ist ganz erstaunlich.
Hier zeigen sich freilich auch die Grenzen seiner Fähigkeiten: In der Analyse oft präzis und hellsichtig, sind seine Folgerungen mitunter unlogisch oder gar nur politisch korrekt. So schlug er eine Stärkung der europäischen Institutionen vor, ausgerechnet durch zivilgesellschaftliche – also nicht demokratisch legitimierte – Institutionen wie Nichtregierungsorganisationen, die sogenannten NGO. In seinem eben erschienenen Buch „Die Europafalle“ imaginiert er zudem ein „europäisches Volk“, womit offensichtlich gemeint ist, demokratische Abstimmungen auf nationaler Ebene seien künftig überflüssig. Damit befindet sich Martin in den zentralen Fragen des EU-Systems auf dem Niveau der politischen Klasse, die er auf moralischer Ebene angreift.
Im Wahlkampf wird er massiv von der allmächtigen Kronen-Zeitung unterstützt. Dort liest man seit Wochen Auszüge aus seinem Buch, und es vergeht kaum ein Tag, an dem sich nicht Jubel-Leserbriefe im Blatt finden. Doch ob Martin seinen 14-Prozent-Überraschungssieg von 2004 wiederholen können wird, ist fraglich – zu viele Europakritiker machen sich inzwischen Konkurrenz: die FPÖ mit Andreas Mölzer, das BZÖ mit Ewald Stadler, und sogar die EU-freundliche ÖVP wagt einige Nadelstiche, die in Brüssel freilich bald wieder vergessen sein werden.