Herr Hoffmann, in Ihrer soeben erschienenen Studie „Der Fall Eva Herman. Hexenjagd in den Medien“ kommen Sie zu dem Schluß, daß das Internet hier in einem bislang kaum erreichten Maße als Medium der Gegenöffentlichkeit in Erscheinung getreten ist.
Hoffmann: Ja, denn die herkömmliche Medienlandschaft in Deutschland ist einer Diktatur nicht ganz unähnlich. Die traditionelle Medienoligarchie wird nicht vom Volk gewählt, besitzt aber die Herrschaft über die Mikrofone und kann so in weiten Teilen durchsetzen, was als Wirklichkeit zu gelten hat. Es gibt keine effektiven Kontrollinstanzen – der Presserat ist ein zahnloser Tiger – und keine wirkungsvolle Kritik. Als Eva Herman sich schließlich mit dem Wort „Gleichschaltung“ an Medienkritik versuchte, begann die mediale Hölle über sie hereinzubrechen. Dabei scheint sie im Volk eine etwa fünfzigprozentige Zustimmung zu genießen. Dieses Mißverhältnis konnte früher von den Medien ignoriert werden. Allein in den „schwerfälligen“ und letztlich der Kontrolle der Zeitungen unterliegenden Leserbriefspalten konnte etwas davon zum Ausdruck kommen. Das Internet aber ermöglicht inzwischen erstmals eine aktuelle und halbwegs repräsentative Artikulation der ausgeschlossenen Meinung bzw. der schweigenden – je nachdem – Mehrheit der Volkes. Die Frage, die sich aber heute noch kaum beantworten läßt, ist, ob sich damit langfristig unser politischer Öffentlichkeitsdiskurs revolutionieren wird.
Das inzwischen interaktive Internet ersetzt also die Opposition?
Hoffmann: Die parlamentarische Opposition kann es natürlich nicht ersetzen, aber vielleicht zu einer „Apo 2.0“ werden. In den sozialistischen Diktaturen Osteuropas kam als Gegenbewegung zur Sprachlosigkeit des Volkes gegenüber den Mächtigen der sogenannte Samisdat auf: die Verbreitung von nicht systemkonformen Schriften auf nichtoffiziellen Kanälen, beispielsweise durch Abtippen, Fotokopieren und Weiterreichen. Das Internet ist für unsere Gesellschaft der neue Samisdat geworden, aber im Gegensatz zum klassischen Samisdat, der dem Kommunikationsmonopol der Mächtigen immer unterlegen war, ist es sogar schneller und effektiver als die herrschenden Medien. Einige, die derzeit gegen Medienmanipulationen wie im Fall Herman protestieren, tun das nicht ohne Grund mit Wahlsprüchen wie „Wir sind das Volk!“ Sie möchten ein Stück Demokratie zurückholen.
„Ohne Internet hätte Herman schon das Land verlassen müssen“
Wie wäre der Fall Herman ohne das Netz verlaufen?
Hoffmann: Das kann man erkennen, wenn man den Fall Esther Vilar als Vergleich heranzieht. Vilar hatte in den siebziger Jahren der feministischen Ideologie widersprochen und wurde deshalb von Alice Schwarzer unter anderem als Faschistin angefeindet. Weil die Angriffe auf Vilar nicht nachließen, mußte sie schließlich Deutschland verlassen. Das bleibt Frau Herman vermutlich erspart – wohl nicht zuletzt dank ihres starken Rückhalts im Internet! Die Schweigespirale, von der die Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann spricht, wird dort durchbrochen: Menschen, deren Meinung in den Medien nicht erscheint, sehen auf einmal, daß es vielen anderen ebenso geht, und trauen sich deshalb weit eher, ihre Meinung zu äußern. Zudem konnte Herman auf ihrer Website mit einer Audiodatei beweisen, daß das, was sie tatsächlich gesagt hatte, von der Darstellung abwich, mit der sie in vielen Medien verzerrend zitiert worden war. Die Wahrheit erreicht die Bürger also ungefiltert, und jeder kann sich selbst dazu positionieren.
Auch im Fall Martin Hohmann 2003 gab es schon das Internet.
Hoffmann: Ja, aber es hat sich in den letzten Jahren noch einmal rasant weiterentwickelt. Dafür wurde das Schlagwort Web 2.0 geprägt: Nicht-professionelle Bürger werden dabei zu Journalisten, ähnlich wie in der Frühzeit des Nachrichtenwesens im 18. Jahrhundert. Das geschieht beispielsweise durch sogenannte Blogs, im Internet veröffentlichte „Tagebücher“, mit denen Laienjournalisten Nachrichten verbreiten und kommentieren können. Daß ich so schnell ein Buch zum Fall Eva Herman herausbringen konnte, liegt nicht zuletzt daran, daß ich ein eigenes Blog mit dem Namen „Genderama“ führe, in dem ich die Geschlechterdebatte aus einer Sicht begleite, die konträr zu den Massenmedien ausgerichtet ist. Dort habe ich die Herman-Debatte von Anfang an verfolgt und konnte entsprechend schnell reagieren. Es war absehbar, daß man mit jemandem, der den Feminismus lautstark kritisiert, in dieser Art umgehen würde.
Einem breiteren Publikum sind Sie mit Ihrer 2005 veröffentlichten Medienanalyse „Warum Hohmann geht und Friedman bleibt“ bekannt geworden. Handelt es sich beim Fall Herman um die Fortsetzung bzw. Wiederholung des Falles Hohmann?
Hoffmann: Nur zum Teil. Aber immerhin insofern, als ebenso wie damals auch jetzt die starke Orientierung der Journalisten an den Leitmedien sowie der Einfluß von Gruppendruck zum sogenannten Rudeljournalismus und letztlich zu einer Art Einheitsmeinung geführt hat. Eva Herman bezeichnet das als „Gleichschaltung“. 2006 erschien die Studie „Die Souffleure der Mediengesellschaft“, die diese damals formulierte Thesen bestätigt: Laut dieser Untersuchung liegt die Parteipräferenz von Journalisten nur zu neun Prozent bei CDU/CSU und nur zu sechs Prozent bei der FDP. Die Grünen dagegen verfügen mit 36 Prozent über eine satte Mehrheit, zusammen mit der SPD, die bei 26 Prozent liegt, sogar eine absolute Mehrheit. Der Vollständigkeit halber: Die PDS erreichte ein Prozent, die Sonstigen drei Prozent, und zwanzig Prozent gaben an, keine Neigung zu einer Partei zu haben. Gleichzeitig berichten Journalisten, daß sie sich bei der Ausbildung ihrer Meinung eher an Vorgesetzten und Kollegen orientieren als an ihren Bekannten außerhalb dieses Metiers. Das erklärt die tiefe Kluft zwischen der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung, die auch im Fall Herman deutlich wird.
„Wer glaubt, das NS-Tabu wurde Herman zum Verhängnis, irrt“
Bereits 2001 haben Sie sich in Ihrer ausgiebigen Analyse „Sind Frauen bessere Menschen?“ intensiv mit dem Feminismus auseinandergesetzt. Auch in Ihrer neuen Untersuchung widmen Sie sich in einem eigenen Kapitel dem Thema Feminismus, das Sie – und nicht etwa das NS-Tabu – als den Schlüssel zum Fall Herman betrachten.
Hoffmann: Das NS-Tabu ist doch in Wahrheit sehr durchlässig. Alice Schwarzer hatte Hermans Thesen mit Hitlers Mutterkreuz in Verbindung gebracht, ohne daß jemand Schwarzers Verwendung des NS-Begriffes skandalisierte. Viel wesentlicher ist dagegen die gesellschaftliche Stellung des Feminismus. Ich nenne in meinem Buch eine ganze Reihe von Fällen, in denen Menschen, die es gewagt hatten, sich entgegen dem feministischen Weltbild zu äußern, dafür aufs Schlimmste niedergemacht wurden. Den Fall Vilar habe ich schon erwähnt. Überdies erfahren von manchen Wortmeldungen überhaupt nur wenige Menschen, weil diese erbarmungslos im Keim erstickt werden.
Der israelische Historiker Martin van Creveld warnt in einem Interview mit dem „Focus“, der Fall Herman werfe „ernste Fragen über die Grenzen der freien Meinungsäußerung in Deutschland auf – und über die Bereitschaft deutscher Feministinnen, Nazi-ähnliche Methoden zu benutzen, um ihre Gegner zum Schweigen zu bringen“.
Hoffmann: Volle Zustimmung! Der Begriff „Feminazis“ ist nicht ohne Grund entstanden. Es finden sich im Feminismus totalitäre und faschistoide Aspekte. Totalitär ist es, wenn jede abweichende Meinung niedergeknüppelt wird. Und faschistoid ist es, wenn Frauen genetisch, biologisch, moralisch und in vielerlei anderer Hinsicht als die höherwertigen Menschen phantasiert werden. Die in Alice Schwarzers Zeitschrift Emma gepriesene Publizistin Valerie Solanas ging ja sogar so weit zu schreiben, weil Frauen ein größeres Lebensrecht als Männer hätten, sollten Männer schnell und schmerzlos vergast werden.
Neben der Diffamierung stellen Sie noch eine weitere effektive Vernichtungsstrategie der Medien dar.
Hoffmann: Viel wirkungsvoller als das Diffamieren ist das Totschweigen. Bezeichnenderweise haben mehrere Journalisten auf Eva Hermans Rauswurf aus Kerners Talkshow mit dem Urteil reagiert, der eigentliche Skandal sei gewesen, daß man sie überhaupt eingeladen habe. Auch über die massiven Zuschauerproteste gegen das ZDF, die Mahnwachen und Petitionen berichten die etablierten Medien einfach nicht. Es gibt im Journalismus den Begriff Agenda-Setting, was soviel bedeutet wie: die Themen zu benennen, über die überhaupt diskutiert werden darf. Der amerikanische Schriftsteller Ray Bradbury formulierte einmal ironisch: „Wenn man Menschen nicht unglücklich machen möchte, gebe man ihnen nicht die Möglichkeiten, sich zwischen zwei Optionen zu entscheiden. Am besten, man gibt ihnen nur eine. Noch besser: Man gibt ihnen gar keine.“ In ähnlicher Weise präsentieren uns die herkömmlichen Medien keine Alternative zur feministischen Ideologie. Wenn nun eine so prominente Person wie Eva Herman eine Alternative vorschlägt, wird ihr von allen Seiten mindestens „krauses Denken“ unterstellt. Die Männerrechtsbewegung im In- und Ausland hingegen, die bislang kaum ein Prominenter unterstützt, wird von den konventionellen Medien fast durchgehend ignoriert. Das ist ein bemerkenswerter Kontrast: Als in den siebziger Jahren der Feminismus aufkam, waren die Medien voll mit Berichten darüber.
Das Internet durchbricht also auch das gesteuerte Agenda-Setting?
Hoffmann: Und zwar schon seit langem. Die Lewinsky-Affäre etwa wurde erst durch den Weblogger Matt Drudge zum Thema gemacht. Die etablierten Medien hielten sich zunächst über das, was Bill Clinton mit seiner Praktikantin im Weißen Haus angestellt hatte, zurück. Das konnten sie wegen des Internet aber nicht durchhalten.
Über die Männerrechtsbewegung berichten Sie in Ihrem neuen Buch „Männerbeben“, das Ende November erscheint.
Hoffmann: Der für manche möglicherweise merkwürdig anmutende Titel verdeutlicht genau das, wovon ich eben gesprochen habe. Es ist wie ein Erdbeben: Auf der Oberfläche, die von den etablierten Medien repräsentiert wird, stehen die Strukturen noch immer, aber im Untergrund wirken bereits mächtige Kräfte. Schon die Shell-Jugendstudie 2002 ergab, daß insbesondere die nachrückende Generation ihre Meinung vor allem im Internet vertritt, weil sie bei den konventionellen Medien für ihre Sichtweisen und Probleme keinen Zutritt erhält. Ähnlich ist es in der Geschlechterdebatte. Da stehen sich in den herkömmlichen Medien zwei Lager von Frauen mit ihren Lebensentwürfen gegenüber: hier Alice Schwarzer, dort Eva Herman. Von uns Männern wird offenbar erwartet, denjenigen Entwurf zu unterstützen, der sich durchsetzt. Daß wir Männer eigene politische Anliegen haben, blenden die Medien dabei fast völlig aus. Professor Gerhard Amendt vom Institut für Geschlechter- und Generationenforschung in Bremen hat das glasklar formuliert: Es gebe einen eindeutigen Bezug zwischen den niedrigen Geburtenraten der Deutschen und den weitgehend vernachlässigten Wünschen und Vorstellungen der Männer. Solange Politik und Medien diese Anliegen weiterhin ignorieren, wird es keinen Frieden im Geschlechterkampf geben.
Werden also die herkömmlichen durch die neuen, interaktiven Medien strategisch geschwächt?
Hoffmann: Ohne Zweifel. Zum einen ist das Netz eine kostenlose Konkurrenz und zieht das begrenzte Gut Aufmerksamkeit auf sich. Zum anderen untergräbt es die journalistische Autorität, wenn zum Beispiel quer durchs Netz enthüllt wird, daß der Videomitschnitt zur Kerner-Show, den das ZDF auf seiner Website präsentiert, in Wahrheit eine geschnittene Version der Sendung darstellt. Da die Fälle Hohmann, Herman, Ermyas M. in Potsdam usw. immer durchsichtiger werden, reagieren die Rezipienten der alten Medien immer verärgerter und das Ansehen der Journalisten sinkt stetig. Gleichzeitig steigt das Ansehen des Internet, weil es dort noch echte Meinungsfreiheit und kontroverse Debatten gibt.
„Die JF muß künftig online schneller reagieren können!“
Die JF geht ab 15. November mit einem neuen Online-Nachrichtenportal ans Netz. Eine Notwendigkeit?
Hoffmann: Unbedingt! Gerade als Teil der Gegenöffentlichkeit müssen Sie auf aktuelle Entwicklungen rasch reagieren, bevor die Debatte gelaufen ist. Das gilt übrigens auch für die herkömmlichen elektronischen Medien. ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut erklärte in einer Stellungnahme zu den zahlreichen Protesten gegen seinen Sender nach der Kerner-Sendung, man müsse im Zeitalter von Blogs und Internetforen seine Kommunikation schneller und effizienter gestalten, um in den Augen des Publikums glaubwürdig zu bleiben.Was bleibt künftig von den traditionellen Medien – wie etwa der Druckausgabe der JF? Hoffmann: Sie müssen den Bürgern für ihr Geld eine Qualitätspresse bieten, die diesen Namen auch verdient. Indem sie beweisen, daß eine journalistische Ausbildung zu besseren Artikeln führt als die Laienbeiträge im Internet. Einfach nur falsche Agenturmeldungen ohne Gegenrecherche abzuschreiben, wie im Fall Herman mehrfach geschehen, die Leserschaft politisch zu indoktrinieren oder auf der Jagd nach dem nächsten Skandal immer hysterischer zu berichten, dürfte die wenigsten Leser überzeugen. Wenn ich Derartiges will, kann ich auch kostenlos unseriöse Netzportale wie Indymedia oder Politically Incorrect konsumieren. Das Netz macht Informationen und Journalismus leider nicht nur schneller, sondern manchmal auch unseriöser. Die herkömmlichen Medien werden sich also neu sortieren, aber es wird wohl auch in absehbarer Zukunft viel Platz für diejenigen geben, die sich an die neuen Verhältnisse anzupassen und im üblichen medialen Konkurrenzkampf zu behaupten wissen.
Arne Hoffmann: Der Germanist und Medienwissenschaftler hat soeben die Untersuchung „Der Fall Eva Herman. Hexenjagd in den Medien“ (Lichtschlag) vorgelegt. Seit seiner 2005 veröffentlichten Studie „Warum Hohmann geht und Friedman bleibt. Antisemitismusdebatten in Deutschland von Möllemann bis Walser“ (Edition Antaios) gilt der 1969 in Wiesbaden geborene Publizist als einer der profiliertesten nonkonformen Medienanalytiker. 2001 publizierte er außerdem die umfangreiche Analyse „Sind Frauen bessere Menschen?“ sowie 2002 das „Lexikon der Tabu-brüche“ (beide bei Schwarzkopf & Schwarzkopf). Ende des Monats erscheint sein Debattenband „Männerbeben. Das starke Geschlecht kehrt zurück“ (Lichtschlag).