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„Unsere Schwäche, ihre Stärke“

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Herr Latk, Sie sind seit fast dreißig Jahren mit den Realitäten des Aufeinandertreffens von Christentum und Islam weltweit vertraut. Am 31. Oktober, dem Reformationstag, hat sich der evangelische Pfarrer Roland Weißelberg in Erfurt öffentlich selbst verbrannt, um auf die „Ausbreitung des Islam“ hinzuweisen. Hat er mit seiner Warnung recht? Latk: Wenn es zulässig ist, unsere Erfahrungen in aller Welt auf Europa zu transponieren, ja. Nehmen Sie das Beispiel Nigeria, im Norden des Landes sind die Moslems in der Mehrheit, im Süden die Christen. Im Norden müssen wir erleben, wie die Religionsführer die Politik zunehmend zwingen, religiöse Gesetze einzuführen. Im Norden müssen Christen im Zweifel immer mit einem moslemischen Mob oder mit gezielten Übergriffen einzelner Extremisten rechnen. Weltweit hat die Hilfsaktion Märtyrerkirche es tagtäglich mit Christen – oder ihren Hinterbliebenen – zu tun, die Opfer, ich will nicht sagen des Islam, aber islamisch motivierter Gewalt geworden sind. Im Süden Nigerias dagegen sind die Muslime „lammfromm“, weil sie dort klar in der Minderheit sind. Wenn sich nun in Europa die Situation entsprechend verändert, wird sich vermutlich auch hierzulande das gesellschaftliche Selbstverständnis und Verhalten der Muslime ändern. Das wird natürlich nicht von heute auf morgen und auch nicht flächendeckend geschehen, sondern allmählich und zuerst in den Großstädten, wo sich die Moslems konzentrieren. Denken Sie etwa an die jüngsten Äußerung des niederländischen Justizministers Piet Hein Donner, der den Muslimen in Aussicht stellte, Scharia-Recht in das bestehende Strafrecht aufzunehmen. Das heißt, das, was bislang nur einige Liberale befürchten müssen, die ja derzeit zu den schärfsten Kritikern des Islam gehören, kann dann auch einfache Christen treffen? Latk: Gut möglich, daß das, was bislang nur Leute wie Theo van Gogh, Salman Rushdie – oder nehmen Sie in Deutschland derzeit die Drohungen gegen die Bundestagsabgeordnete Elkin Deligöz – betrifft, dann zum Problem vieler Menschen wird. Der Fachjournalist Udo Ulfkotte sagt voraus, daß in Deutschland in einigen Dekaden auch nicht-muslimische Frauen nicht ohne Kopftuch auf die Straße gehen können. Das mag als gewagte Spekulation erscheinen, ist aber – wenn wir daran denken, daß es Länder gibt, wo Frauen ohne Kopftuch eine Verstümmelung ihres Gesichts durch Säureattacken moslemischer Fundamentalisten befürchten müssen – nicht völlig unmöglich. Könnte der Islam in Europa sich nicht anders entwickeln, Stichwort „Euro-Islam“? Latk: Das ist natürlich nicht ganz auszuschließen, allerdings hat der prominenteste Vertreter dieser Schule, Bassam Tibi, unlängst angekündigt, Europa in Richtung USA zu verlassen. Aber natürlich bemüht sich auch die Hilfsaktion Märtyrerkirche parallel um einen Dialog mit den Muslimen. Denn richtig ist, daß selbst in Ländern, in denen heute Spannungen zwischen Christen und Moslems herrschen, diese vor zwanzig, dreißig Jahren noch fast einträchtig nebeneinander lebten. „Dialog“ ist auch die Strategie, die die Evangelische Kirche in Deutschland verfolgt – und gegen die Pfarrer Weißelberg mit seinem Flammentod protestiert hat. Latk: Anders als die Kirchen in Deutschland führen wir diesen Dialog auf Grundlage unserer Alltagserfahrungen mit den Muslimen, nicht religionsutopischer Gesellschaftsträumereien. Leider glauben die Landeskirchen hierzulande, sie könnten den Dialog etwa unter Fragestellungen wie „Ist Allah auch der Gott der Christen?“ führen. Damit kommen wir zur eigentlichen Ursache des Problems, der geistlichen Erosion des Christentums. Denn viele Christen, zumindest im Westen, haben das christliche Bekenntnis vergessen oder schämen sich gar dafür. Das Wesen des Christentums liegt aber nicht in der gern zitierten christlichen Kultur, sondern im christlichen Bekenntnis. Diese Schwäche der Christenheit ist die eigentliche „Stärke“ des Islam! Weißelberg kritisiert in seinem Abschiedsbrief offenbar diese „Haltung der Kirchen“. Latk: Was ihn offensichtlich zu seiner Tat hat schreiten lassen, ist unsere Gleichgültigkeit angesichts der Tatsache, daß sich die Islamisten in Europa zunehmend mit ihren Institutionen einrichtet. Und daß sie dabei zunehmend auch auf die Schaltstellen unserer Gesellschaft abzielen. Das muß man erkennen und kritisch benennen. Man darf nicht so tun, als sei das einzige Problem, einen Weg zu finden, wie wir damit zurecht kommen. Denn es ist ein fataler Irrtum zu glauben, man könnte mit dieser Vorleistung einmal das gleiche Entgegenkommen erwarten. Die Islamisten interessieren sich für unsere Toleranzpurzelbäume herzlich wenig. Doch kommt es erstmal zu einem bösen Erwachen, wird es zu spät sein. Davor wollte Weißelberg uns wohl warnen. Pfarrer Weißelberg hat sich bei seiner Tat auf die Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz, dessen langjähriger Freund und Studienkollege Sie waren, berufen. Der hatte sich 1976 aus Protest gegen die SED-Diktatur öffentlich selbst angezündet. Haben wir es tatsächlich mit einem zweiten Fall Brüsewitz zu tun? Latk: Man muß wissen, daß Weißelberg bei Lehrern studiert hat, die die Schrecken des Nationalsozialismus erlebt und ihm vermittelt haben. Dann hat er erleben müssen, wie der Sozialismus alle Hoffnung auf Freiheit zunichte machte und sich gar eine „Kirche im Sozialismus“ bildete, ähnlich den „Deutschen Christen“ im Nationalsozialismus. Nach dem Untergang der DDR schließlich wurde er Zeuge, wie der Islam fast unbeachtet immer weiter nach Europa vordringt. Aus den totalitären und christenfeindlichen Erfahrungen seines Lebens heraus fühlte er sich wohl verpflichtet, diesmal rechtzeitig ein unüberhörbares Warnsignal zu geben. Er hatte 1976 erlebt, was Oskar Brüsewitz mit seiner Selbstverbrennung bei manchen in der Evangelischen Kirche in puncto SED ausgelöst hatte, und offenbar gehofft, etwas Vergleichbares nun auch in puncto Islam zu bewegen. Brüsewitz‘ Tat wurde in der DDR verunglimpft, im Westen peinlich „ausgesessen“. Was kann sich Weißelberg erwartet haben? Latk: Was die offizielle Kirche angeht, haben Sie recht, aber unter der Decke der Diktatur hat Brüsewitz‘ Fanal doch viel bewegt. Es gab in den mitteldeutschen Landeskirchen zahlreiche kleine widerständige Gruppen und Kreise, die aber vor Brüsewitz voneinander nichts wußten. Erst sein Opfer hat den widerständigen Kräften in den Kirchen der DDR gezeigt, daß sie nicht alleine sind, hat sie ermutigt, ihre Arbeit nicht nur fortzusetzen, sondern auszuweiten, weil der Fall ihnen gezeigt hat, daß gerade im Erreichen einer öffentlichen Wahrnehmung ein gewisser Schutz besteht. Ist es tatsächlich vorstellbar, daß durch Weißelberg ein entsprechender Effekt eintritt? Latk: Auch ich bin skeptisch, aber wer weiß, ob wir nicht vielleicht in ein paar Jahren – von einer neuen Entwicklung in der Kirche überrascht – verwundert auf den Reformationstag 2006 zurückblicken werden? 1995 verbrannte sich der Heimatvertriebene Reinhold Elstner in München aus Protest auf offener Straße. Es gab keine Reaktionen. Latk: Ich muß zugeben, auch ich habe nichts davon gehört. Ob Weißelbergs Botschaft die Evangelische Kirche tatsächlich erreicht hat, ist zweifelhaft. Der zuständige Bischof von Magdeburg etwa zeigt sich zwar schockiert, sorgte sich aber zunächst vor allem darum, daß es in Sachen Christen und Islam nun „keine Unruhe“ gebe. Latk: Leider reagieren viele Kirchenvertreter mit Ablenkungsmanövern. Ob der thüringische Landesbischof Christoph Kähler, der laut Berliner Tagesspiegel von „Krankheit und Depression“ spricht, obgleich offenbar geklärt ist, daß es sich bei Weißelberg um einen „vernünftigen, agilen, vitalen Mann“ handelte, wie die FAZ schreibt. Oder der an sich von mir geschätzte Magdeburger Bischof Axel Noack, der Weißelbergs Botschaft mit dem Hinweis begegnet, in Mitteldeutschland sei der Islam keine auffällige Erscheinung. Dabei ist doch klar, daß eine solche Replik an der Sache vorbeigeht, denn natürlich geht es nicht um Erfurt oder Thüringen, sondern um die Islamisten, wie sie sich in Europa etablieren. Selbstmord ist dem Christen verboten, hat die Kirche nicht recht, wenn sie Weißelbergs Opfer ablehnt? Latk: Nach meiner Einschätzung bewegt man sich auf der falschen Ebene, wenn man Brüsewitz und wohl auch Weißelberg einfach unter der Kategorie Selbstmord subsumiert. Beide haben sich zwar selbst getötet, aber die Tötung war nicht ihre Absicht, sondern in ihren Augen ein letztes Mittel, um eine Situation oder eine Entwicklung, die sie als fatal bewertet haben, zu verändern. Selbstmord ist klassischerweise Sünde, wenn diese Tat Gott leugnet. Brüsewitz und wohl auch Weißelberg haben aber das Gegenteil getan – sie haben Zeugenschaft geleistet. Das bedeutet nicht, daß ich ihr Handeln per se gutheiße, auch in ihm kommt ein gewisser Gotteszweifel zum Ausdruck, da sie offenbar das Vertrauen insoweit verloren hatten, als sie glaubten, diese Dinge selbst in die Hand nehmen zu müssen. Doch haben sie ihr Opfer grundsätzlich in einem außergewöhnlichen Gottvertrauen gebracht, sonst wäre ihnen die Selbsttötung wohl gar nicht möglich gewesen. Brüsewitz stand anders als Weißelberg allerdings in einem dauernden Abwehrkampf gegen die Stasi. Latk: Es stimmt, daß wer bei Brüsewitz mit einer Ultima ratio argumentiert, feststellen muß, daß Weißelberg objektiv wohl nicht alle Mittel ausgenutzt hatte. Aber ich kann mir vorstellen, daß Weißelberg sich subjektiv in einer Notsituation gesehen hat. Vielleicht ist er einer Kurzschlußhandlung zum Opfer gefallen? Der „Tag der offenen Moschee“ war keine vier Wochen her, wer weiß, was er da erlebt haben mag. An diesem Tag wird in vielen Medien die Vereinigung mit dem Islam als gleichrangig erstrebenswert wie die Einheit der Christenheit dargestellt. Vielleicht hat Weißelberg sich gesagt: „Ich bin 73, ich habe nicht mehr die Zeit und Kraft, mir bleibt nur, ein Zeichen zu setzen, sozusagen ‚auf den Tisch zu hauen‘!“ Erschreckt dieser Entschluß uns vielleicht deshalb so sehr, weil wir vergessen haben, für den christlichen Glauben auch mit unserem Leben einzustehen – wie es dem Christentum an sich keinesweges fremd ist? Latk: Das dürfte der entscheidende Punkt sein. Denn in Europa richten die meisten Christen ihr Leben so ein, als ob die Zeit zwischen Geburt und Tod das Leben wäre und alles danach wirklich nur ein Danach ist. Vor diesem Danach ängstigt man sich höchstens noch. Und dieses Sich-Ängstigen wird schließlich wiederum als Glaubensgrund betrachtet. Lebenspflicht ist ergo, die Zeit zwischen Geburt und Tod bestmöglich zu nutzen. Das also ist das Grundübel, daß wir Christen Europas nicht mehr getragen sind von einem Leben in Ewigkeit, sondern fixiert sind auf unsere irdische Zeit. Sie waren es, der 1976 den Fall Brüsewitz überhaupt erst an die Öffentlichkeit gebracht hat. Latk: Es war für mich damals schrecklich, feststellen zu müssen, daß die Kirche Brüsewitz Opfer tatsächlich so handhaben wollte, wie die SED es wünschte, nämlich unter den Teppich zu kehren. Seine Bekenntnis-tat sollte durch seine Verunglimpfung im Neuen Deutschland als Psychopath quasi ausgelöscht werden. Indem die Kirche dieser Machenschaft nur intern, halbherzig und indirekt widersprach, machte sie sich zum Komplizen. Das schlimmste war Manfred Stolpes Satz, damals Vertreter der Kirche bei der DDR-Regierung, man müsse in dieser Stunde Solidarität üben – „mit dem Staat“! Spätestens der Fall Brüsewitz machte für alle erkennbar, daß „Kirche im Sozialismus“ nicht Kirche im sozialistischen Raum meinte, sondern daß sie Teil der „sozialistischen Gesellschaft“ war! Sie haben damals zusammen mit einem Freund in einem „illegalen“ Interview mit den Ost-Berliner Korrespondenten von ARD und ZDF die Wahrheit ans Licht gebracht. Latk: Hätten wir das nicht getan, hätten all jene, auf die Brüsewitz‘ Fanal als Weckruf gewirkt hat, die Geschichte vom irren, depressiven Pfarrer geglaubt, und seine Botschaft wäre verpufft. Damit hatten Sie sich allerdings selbst ans Messer geliefert. Latk: Nur die Rückendeckung bei einigen meiner Amtsbrüdern hat mich vielleicht vor dem Schicksal bewahrt, daß mich die Stasi einfach verschwinden ließ. So wurde mir ein Ultimatum gestellt: Ausreise oder Verhaftung. Als ich mich daraufhin hilfesuchend an meine Kirche wandte, verweigerte man mir die Unterstützung. Aus Rücksicht auf meine Familie zog ich die Ausreise der Verhaftung vor, woraufhin die Kirche argumentierte, ich hätte meine Pfarrgemeinde böswillig verlassen, und ein Disziplinarverfahren gegen mich eröffnete, das zu meiner Entfernung aus dem Dienst führte. Damit hatte ich auch keine Chance mehr, im Westen meine Tätigkeit als Pfarrer fortzusetzen. Rehabilitiert wurde ich erst im April 2005. Und ich habe bis zum Schluß darum kämpfen müssen! Man würde vermuten, Sie wären im Westen von der Amtskirche als Held gefeiert worden? Latk: Erst später habe ich begriffen, daß die Evangelische Kirche im Westen von einer erheblichen Linkslastigkeit geprägt war. Ich war perplex, als ich hier vielfach auf Theologen traf, die quasi die Meinung vertraten, auch wenn die SED viele Fehler mache, im Gegensatz zur Bundesrepublik sei in der DDR der Sozialismus immerhin schon erreicht. Wenn sich die Evangelische Kirche zu Zeiten des Nationalsozialismus dem Zeitgeist angepaßt hat und dies zu Zeiten der DDR erneut tat, verhält es sich dann heute vielleicht ebenso? Latk: Ich verrate wohl kein Geheimnis, wenn ich sage, daß die Mehrheit des Kirchenestablishments grundsätzlich der Meinung ist, Kirche müsse sich nach dem richten, was der Zeitgeist ist. Was ist mit der „Lehre aus der Vergangenheit“, genau das nicht mehr tun zu wollen? Latk: Solche Bekenntnisse sind als Anpassung an den Zeitgeist von heute zu verstehen, der solche Bekenntnisse verlangt. Heute erleben wir, daß ein Mann wie der EKD-Ratsvorsitzende Bischof Wolfgang Huber, der bis in die späten achtziger Jahre noch – man möge mir die Formulierung verzeihen – quasi ein sozialdemokratischer Plakatständer war, sich enorm gewandelt hat. Allerdings liegt es im Zuge der Zeit heute wieder mehr auf Glaubensinhalte zu achten. Wer weiß also, ob diese Wende zum Besseren echter Einsicht oder nur einer erneuten zeitgeistigen Änderung der Großwetterlage zu verdanken ist? Moritz Schwarz Klaus-Reiner Latk war Studienkollege und persönlicher Freund von Pfarrer Oskar Brüsewitz, der sich am 18. August 1976 in der Fußgängerzone der mitteldeutschen Gemeinde Zeitz bei Gera aus Protest gegen die Unterdrückung der Christen in der DDR mit Benzin übergoß und lebendig verbrannte. Latk brachte damals die Hintergründe des Falls, die die SED vertuschen wollte, an die Öffentlichkeit. Dafür von der Stasi bedroht, ging er in den Westen. Geboren 1941 in Halle an der Saale, ist der ehemalige Theologe heute Geschäftsführer der Hilfsaktion Märtyrerkirche, die sich seit 1969 für verfolgte Christen vor allem in kommunistischen und islamischen Ländern einsetzt. Kontakt: Tüfinger Straße 3, 88690 Uhldingen-Mühlhofen, Telefon: 0 75 56 / 92 110, Internet: www.h-m-k.org weitere Interview-Partner der JF

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