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„Schönbohm hatte gewarnt“

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Herr Carstensen, nach jüngsten Agenturmeldungen bestätigen die Ermittler im Fall Ermyas M. inzwischen, daß das Opfer den Streit selbst provoziert und auch die Tätlichkeiten eröffnet habe. Prominente Wortführer des „Kampfes gegen Rechts“ wie der Soziologe Wilhelm Heitmeyer oder der Uwe-Karsten Heye von der Aktion „Gesicht zeigen“ haben allerdings zuvor schon erklärt, entscheidend für die Wertung des Vorfalls als „rassistischem Überfall“ sei das Schimpfwort „Nigger“. Kann man davon automatisch auf eine rassistische Gesinnung der mutmaßlichen Täter schließen? Carstensen : Nein, denn erfahrungsgemäß begleiten beleidigende und verletzende Verbalattacken die meisten tätlichen Auseinandersetzungen. Falls das diskriminierende „Nigger“ nicht Ausdruck der Erregung, sondern einer Überzeugung war – handelt es sich dann automatisch um einen rassistischen Zwischenfall? Carstensen : Auch hier gibt es für die Polizei keinen Automatismus. Voraussetzung für eine fremdenfeindliche Straftat im polizeilichen Sinne ist, daß die Überzeugung oder politische Positionierung als Tatmotiv eine Rolle spielt. Die Auseinandersetzung muß also mit dem Ziel gesucht worden sein, etwa die rassistische Einstellung „ausleben“ zu können. Es ist also durchaus möglich, daß ein Vorfall, der in der öffentlichen Wahrnehmung als „rassistisch“ wahrgenommen wird, letztlich keinen Eingang in die Polizeistatistik für Straftaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund findet. „Man kann nicht sagen, daß Opfer bevorzugt Ausländer sind“ Die mutmaßlichen Täter kommen angeblich aus der Türsteher- Szene. Wie ist deren Gewaltverhalten zu beurteilen? Carstensen : Unsere polizeilichen Erfahrungen mit Personen aus der Türsteher- und Rockerszene zeigen, daß man hier mit dem Einsatz von Gewalt schnell bei der Hand ist. Dabei kann nicht gesagt werden, daß die Opfer bevorzugt Ausländer sind. Das heißt, wenn man die mutmaßlichen Täter unter dem Aspekt ihrer Gruppenzugehörigkeit betrachtet, hätte das Opfer ebensogut ein weißer Deutscher sein können? Carstensen : Das ist insofern richtig, wenn man sich nur diesen einen Gesichtspunkt ansieht. Brisant ist ein Bericht der „Berliner Morgenpost“, wonach die Zeugenaussagen, die zu der Neubewertung geführt haben, bereits seit dem 18. April – also schon am zweiten Tag nach der Tat – Bestandteil der Ermittlungsakte seien. Das heißt, die Polizei hat mit dem Verschweigen dieser Information Politik gemacht? Carstensen : Nein. Die Kollegen haben in erster Linie Spuren zu verfolgen. Es gibt genügend Gründe, nicht immer gleich die Öffentlichkeit zu informieren. Täter wie Opfer steht Persönlichkeitsschutz zu. Das gilt besonders, wenn Umstände noch unklar sind oder Spuren beseitigt werden könnten. Das klingt plausibel, gewährt der Polizei aber einen Ermessensspielraum, der politischer Manipulation Tür und Tor öffnet. Auf der Grundlage des Verschweigens dieser Tatsachen wurde in den Tagen nach der Tat Politik gemacht, von der Forderung nach einem erneuten NPD-Verbot durch die Grünen bis zur Umleitung von Millionen von Steuergeldern für den Kampf gegen Rechts. Carstensen : Ich kann nur wiederholen, daß die Arbeit der Polizei von diesen politischen Erwägungen unberührt zu bleiben hat. Für uns zählen die Ermittlungen. Der Fall hat nicht nur politische Folgen, er bestimmt auch die Stimmung im Land, vermittelte erneut vielen – vor allem jungen Leuten – einen „deutschen Selbstekel“. Und bescherte Deutschland in ganz Europa häßliche Schlagzeilen. Ist angesichts dieser „Kollateralschäden“ die restriktive Informationspolitik nicht ein politischer Skandal? Carstensen : Nein, denn die Polizei mußte diese Zeugenaussagen erst einmal überprüfen. Die Folgen, die Sie beschrieben haben, sind nicht Folge des Verhaltens der Ermittlungsbehörden, sondern der Öffentlichkeit, die geurteilt, hat ohne auf die Ermittlungsergebnisse zu warten. Hätte die Polizei nicht zumindest auf die Existenz von widersprechenden Aussagen hinweisen können? Carstensen : Sie hätte auf jeden Fall deutlich machen sollen, daß sie in alle Richtungen ermittelt. Der „Stern“ berichtet, daß allerdings durchaus Grund für Kritik an der Informationspolitik besteht. Demnach lasse „die Bundesanwaltschaft Teile ihrer Ermittlungsergebnisse an ausgewählte Medien durchsickern“. Carstensen : Es ist grundsätzlich so, daß Ermittlungsergebnisse auch von der politischen, etwa ministeriellen Ebene abgefragt, dort bewertet und dann nach eigenem Ermessen der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Wie die Politik mit diesen Ergebnissen umgeht, ist nicht Sache der Polizei. Aber ich erinnere daran: Es war gerade Minister Schönbohm, der davor warnte, voreilige Schlüsse zu ziehen! Und es waren Öffentlichkeit, Medien und Politik, die ihn dafür kritisierten! Dann war die heftig kritisierte Position Schönbohms die aus polizeilicher Sicht seriöseste? Carstensen : Das würde ich so sehen. In der ARD-Sendung „Sabine Christiansen“ mußte er sich noch anhören, er „bagatellisiere rassistische Gewalt“. Carstensen : So ist das in der Politik, aber jetzt sieht man, wie sehr man ihm damit offenbar Unrecht getan hat. Als Herr über die brandenburgische Polizei war er wohl am ehesten in der Lage, den Fall zu beurteilen. Das heißt, Sie kritisieren, daß Generalbundesanwalt Nehm die Angelegenheit an sich gezogen hat? Carstensen : Nein, denn der Generalbundesanwalt wird sicherlich seine Gründe dafür gehabt haben. Oder folgte er politischer Opportunität? Carstensen : Das ist eine Unterstellung, oder haben Sie dafür Beweise? Liegt die Vermutung nicht nahe, da beim jetzigen Stand der Ermittlungen rätselhafter denn je ist, welche Gründe dies gewesen sein sollen? Muß der Generalbundesanwalt jetzt nicht plausible Annahmen auf den Tisch legen oder zurücktreten? Carstensen : Nein, das sehe ich nicht so, denn wäre bei der Tat doch Fremdenfeindlichkeit ein Motiv gewesen, hätte dieser Umstand die Grundlagen unseres gesellschaftlichen Miteinanders betroffen. „‚Fremdenfeindlichkeit‘ auch gegen Deutsche?“ Das bedeutet, „politische“ Gewalt muß also nicht mehr von einer politisch definierten Kampf- oder Terrorgruppe ausgehen, sondern es reicht dazu das vorurteilsgeladene „Bauchgefühl“ gewalttätiger Privatleute? Birgt dieses Verständnis – konsequent angewandt – nicht die Gefahr der Inflation? Carstensen : Da muß man natürlich vorsichtig sein. Ein vorurteilsgeladenes Bauchgefühl wird sicher nicht zu solch einer Einschätzung ausreichen. Aber wenn man mit einer solchen Tat, zum Beispiel in der Öffentlichkeit oder bei extremistischen Gruppen, Beifall erzielt und vielleicht zur Nachahmung animiert – sogenannte Resonanztaten – so gilt es, präventiv Zeichen zu setzen. Also wird der Generalbundesanwalt künftig alle Gewalttaten mit diskriminierendem Hintergrund – und da nennt das Grundgesetz neben „Rasse“ gleichrangig „Geschlecht, Sprache, Heimat, Herkunft, Abstammung, Glaube, religiöse und politische Anschauung“ – an sich ziehen? Carstensen : Ich glaube nicht, aber immerhin werden solche Fälle, die wir seit einiger Zeit unter dem Begriff „Haßkriminalität“ zusammenfassen, in die Ermittlungszuständigkeit des polizeilichen Staatsschutzes gegeben. In Zukunft wacht der Staat also nicht mehr nur über das strafrechtliche Verhältnis zwischen den Bürgern, sondern – bei Straftaten – auch über ihr „Gesinnungsverhältnis“ untereinander? Carstensen : Das ist gar nichts Neues. Der Staat schützt damit Personen, die wegen ihrer Gesinnung oder Lebensweise Opfer von Straftaten werden. Künftig werden also auch Straftaten, bei denen Deutsche „Christenschwein“ oder „Schweinefleischfresser“ genannt werden, als „fremdenfeindlich“ gezählt? Carstensen : Ich vermute eher nicht. Schon weil der Deutsche hier ja nicht fremd ist. Immerhin, sogar die „FAZ“ sieht im Strafrecht „ein neues ‚ius sanguinis‘ auf dem Vormarsch“, also eine Einteilung in Opfer, gegen die Rassismus und Fremdenfeindlichkeit juristisch möglich ist – also Ausländer und Eingebürgerte – und solche, gegen die das nicht möglich ist, nämlich die angestammten Deutschen. Carstensen : Diese Gefahr sehe ich nicht, denn in ihrem strafrechtlichen Gehalt wiegen Taten gegen angestammte Deutsche ja nicht geringer. Das heißt, vom Delikt her werden alle Straftaten gleichbehandelt. Bei Straftaten, bei denen aber zudem noch eine besondere Abfälligkeit durch Fremdenfeindlichkeit in Motivlage hinzutritt, hat der Richter lediglich zusätzlich die Möglichkeit, diese durch härtere Bestrafung zu ahnden. Betreibt der Staat da nicht eine Ideologisierung der Privatsphäre, und dies auf Kosten der Gleichbehandlung der angestammten Deutschen? Carstensen : Nein, sondern man hat sich darüber Gedanken gemacht, wie Probleme in unserer Gesellschaft wie etwa diskriminierende Motivlagen bei der Gewaltkriminalität einzubeziehen sind. Die Polizei zeigt damit vor allem, daß sie bei ihrer Arbeit durchaus auf Höhe unserer gesellschaftlichen Debatte ist. Bernd Carstensen ist stellvertretender Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (bdk). Geboren wurde der Kriminalhauptkommissar 1952 in Kiel. Der bdk, gegründet 1968, ist der gewerkschaftliche Berufsverband der Angehörigen der deutschen Kriminalpolizei und aller in der Kriminalitätsbearbeitung tätigen Polizeiangehörigen. Monatlich veröffentlicht der Verband die Zeitschrift Der Kriminalist. Foto: Demonstranten in Potsdam: „Die Öffentlichkeit hat geurteilt, ohne auf die Ermittlungsergebnisse der Polizei zu warten“ weitere Interview-Partner der JF

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