Am 16. April vollendet Joseph Kardinal Ratzinger sein 78. Lebensjahr. Und wahrscheinlich bald auch seine römische Laufbahn. Es sei denn, man wählte den Dekan des Kardinalskollegiums, der das Konklave zu leiten hat und als „papabile“ oder wenigstens als „Papstmacher“ gilt, selbst zum Nachfolger Petri. Freilich gibt es mit dem Dezisionismus des Heiligen Geistes, der weht, wo er will, kein „Wetten daß“. Warum man sich dennoch wünschen mag, daß Ratzinger in Rom verbliebe und sich nicht in sein bayerisches Heimatasyl zurückzöge? Weil das Pontifikat Johannes Pauls II. viel zu früh beendet wurde und dringend einer Fortführung bedarf! Durch einen Johannes Paul III., der das immense Werk seines Vorgängers abzurunden in der Lage ist. Ratzinger war der gute Geist des großen Papstes. Es sind gewiß nicht allein oder vor allem die hohen kirchlichen Ämter, die Ratzingers Autorität begründen. Wenn er scheinbar unbewegt seine leise und helle Stimme erhebt, können sich auch kritisch distanzierte Geister dem Zauber dieser Persönlichkeit und der Macht seines Wortes kaum entziehen. Das muß man einmal erlebt haben – etwa vor einigen Monaten in München mit Jürgen Habermas, wie er die vertrockneten intellektuellen Gemüter in Bewegung versetzt. Wie er die mystisch erlebte und vernünftig durchdachte Wirklichkeit des Glaubens mit den geistigen und moralischen Problemen der Gegenwart zu verbinden weiß. Allzu modern angepaßte Theologen, die einen Glauben reflektieren, den sie vielleicht schon längst verloren haben, hat Ratzinger schon früh durchschaut. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, dem er als Berater diente, war es besonders für Häretiker naheliegend, sich auf einen vermeintlichen „Geist“ dieses Konzils zu berufen statt auf dessen Wortlaut. Als Präfekt der Glaubenskongregation – seit 1981 – blieb es Ratzinger nicht erspart, sich kritisch mit liberalistischen und sozialistischen Ideologien zu beschäftigen, die den christlichen Glauben verfälschten. Aber nicht das abgrenzende Anathema, die bloße Verurteilung, sondern die argumentative theologische Auseinandersetzung zeichnete das Charisma des gelehrten Glaubensdenkers aus. Das zeigte sich besonders in dem Streit um eine Befreiungstheologie, welche die „Option für die Armen“ mit der „Option für den Sozialismus“ verwechselte. Dieser Streit zwischen „Boffis“ und „Ratzis“ hat sich von selbst erledigt durch das globale Ereignis von 1989. Wer kennt heute noch Leonardo Boff? Und wer nimmt Hans Küng, den liberalen Protagonisten christlicher Selbstaufhebung, noch ernst? Die angeblich Progressiven, inzwischen zu giftigen Greisen mutiert, können abdanken. Was bleibt, ist – natürlich, übernatürlich – ein Christentum à la Ratzinger. Wolfgang Ockenfels ist Professor für Christliche Sozialwissenschaften in Trier und Chefredakteur der Zeitschrift „Die Neue Ordnung“ mit Sitz in Bonn
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