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„Gute Chancen in Straßburg“

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Herr Högn, der Bundesrat hat 2000 – von der Öffentlichkeit praktisch unbemerkt – den 5. August, den fünfzigsten Jahrestag der Unterzeichnung der Charta der Heimatvertriebenen, zum „Nationalen Gedenktag für die Opfer von Vertreibung“ erklärt. Högn: Der Tag sollte entweder angemessen, zum Beispiel mit entsprechender Medienaufmerksamkeit und einer Gedenkstunde im Deutschen Bundestag, begangen werden oder gar nicht. Den Gedenktag einerseits „einzurichten“, ihn dann aber de facto zu ignorieren, empfinde ich als regelrechte Verhöhnung, schlimmer noch als die sonst übliche Nichtbeachtung der Vertriebenenschicksale. Vor ein paar Tagen erst hat sich Bundespräsident Köhler in Warschau um die Interessen der Polen gegenüber den deutschen Vertriebenen gekümmert, wir dagegen gehen auch an unserem Gedenktag in puncto bundespräsidiale Fürsorge leer aus. Horst Köhler war als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten zunächst mit verständnisvollen Bemerkungen zur Vertreibungsproblematik aufgefallen, nach seiner Wahl distanzierte er sich jedoch während seiner Antrittsreise nach Warschau scharf von den beiden derzeit wichtigsten Projekten der deutschen Vertriebenen, dem Zentrum gegen Vertreibungen und der Preußischen Treuhand. Högn: Wir sind von den Äußerungen des Bundespräsidenten in der Tat bitter enttäuscht, denn wir hatten gehofft, daß er, dessen Familie selbst die Vertreibung erlebt hat, eine realistische Sicht auf die Situation der Vertriebenen haben würde. Die Ablehnung der Preußischen Treuhand – einem Zusammenschluß enteigneter Vertreibungsopfer aus den ehemals preußischen Ostgebieten, der sich der Sicherung und Durchsetzung privatrechtlicher Eigentumsansprüche gegenüber der Republik Polen widmet – durch Bundespräsident Köhler kann man ohne weiteres auch als gegen die Sudetendeutsche Initiative (SDI) gerichtet betrachten. Vermutlich hat uns der Bundespräsident nur deshalb nicht erwähnt, weil er in Warschau und nicht in Prag zu Besuch war und weil die Aktion der Sudentendeutschen im Vergleich zu der der Preußen noch zu klein und unbedeutend ist. Was unterscheidet die Preußische Treuhand inhaltlich von der SDI? Högn: Während die Preußische Treuhand (PT) über Eigenkapital durch Aktien verfügt und aufgrund ihrer relativen Finanz- und Personalstärke dazu in der Lage ist, Eigentumsansprüche treuhänderisch wahrzunehmen und sogar selbständig Musterklagen durchzufechten, kann die SDI lediglich potentiell eigentumsanspruchberechtigte Vertriebene – oder deren Erben – beraten und an einen kompetenten Rechtsbeistand vermitteln. Allerdings erfüllen wir angesichts der Tatsache, daß viele Betroffene zu entmutigt sind, um selbständig aktiv zu werden, beziehungsweise aufgrund von Formfehlern schon bei der Klagezulassung scheitern, trotz unserer bescheidenen Möglichkeiten eine überaus wichtige Funktion. Haben Sie denn schon Erfolge vorzuweisen? Högn: Inzwischen haben wir 79 Einzelbeschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eingereicht, die allesamt mittlerweile bestätigt und registriert worden sind. Das ist schon ein großer Erfolg, denn in 95 Prozent der Fälle scheitern solche Anträge. Derzeit schnüren wir schon ein zweites Bündel. Über hundert Klienten haben wir bislang schon vermittelt, und über hundert weitere Interessenten haben sich schon bei uns gemeldet. Angesichts von ursprünglich 2,9 Millionen sudetendeutschen Vertriebenen ist das nicht viel. Högn: Das stimmt, aber erstens waren nicht alle 2,9 Millionen Vertriebene Grundbesitz- oder Immobilien-Eigentümer, zweitens sind viele bereits verstorben und die Ansprüche vergessen, drittens sind viele zu alt und enttäuscht, um den Kampf um ihr Recht noch einmal aufzunehmen, und viertens wissen wohl auch zu wenige von der Existenz der SDI, da die etablierte Presse bis auf je einen kleinen Beitrag in der FAZ und der Welt bislang keine Notiz von uns genommen hat. Im Gegensatz zur Preußischen Treuhand, die ein gewisses Medienecho gefunden hat. Högn: Allerdings darunter auch viele diffamierende Beiträge. Immerhin bleibt uns das auf diese Weise erspart. Hat die SDI Kontakte zur Treuhand? Högn: Nur lose, aber geprägt von Sympathie. Warum vereinigen sich PT und SDI nicht zu einer gemeinsamen Initiative? Högn: Weil die Adressaten unserer Forderungen zwei verschiedene Staaten sind. Im Fall der Treuhand die Republik Polen, im Fall der SDI die Tschechische Republik. Kann sich die SDI nicht zu einer Sudetendeutschen Treuhand weiterentwickeln, zum Beispiel mit Unterstützung der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL), schließlich wurde die Preußische Treuhand auch von der Landsmannschaft Ostpreußen und der Landsmannschaft Schlesien ins Leben gerufen? Högn: Eben – während es sich bei der SDI um eine Initiative von anfangs lediglich acht Privatleuten gehandelt hat. Die Hoffnung auf einen Einstieg der SL in unser Projekt halte ich für unrealistisch, denn die Vertriebenenverbände sind „dank“ der immer stärker zusammengestrichenen Fördergelder seit dem Regierungswechsel 1998 finanziell kaum noch in der Lage, Projekte wie die SDI substantiell zu fördern. „Kluft zwischen Funktionären und der Stimmung an der Basis“ Ostpreußen und Schlesiern war das bei der Gründung der Preußischen Treuhand 2003 noch möglich. Oder fürchten Sie die Verflechtung mit der SL, weil der Verband dann unter politischen Druck gesetzt würde? Högn: Natürlich würde genau das passieren, und sowohl die SDI als auch die SL sind viel zu schwach, um einem solchen Druck standhalten zu können. Denken Sie daran, daß sich nicht nur der Bund der Vertriebenen (BdV) ganz und gar, sondern sogar die Landsmannschaft Ostpreußen (LO) zunehmend unter dem Druck der etablierten Medien und Politik von der PT distanzieren. Allerdings sollte man sich vergegenwärtigen, daß es einen erheblichen Unterschied zwischen den Verlautbarungen der Funktionäre und der Stimmung an der Basis gibt. Wie ist das Verhältnis der SDI zur SL? Högn: Auch hier nur ein loser Kontakt, der von Toleranz geprägt ist. So nimmt zum Beispiel das SL-Verbandsorgan, die Sudetendeutsche Zeitung, immerhin unsere Anzeigen an. Warum sind die separaten Gründungen PT und SDI überhaupt notwendig, könnte man von den Landsmannschaften nicht erwarten, daß sie deren Funktion wahrnehmen? Högn: Zwar können die Landsmannschaften als eingetragene Vereine ihre Mitglieder vor Gericht nicht vertreten, der Hauptgrund aber ist, daß es den Vertriebenenverbänden immer darum ging, die Vertreibungsfrage politisch zu lösen. Das klingt doch vernünftig. Högn: Mittlerweile dürfte jedem klar sein, daß das nicht mehr passieren wird. Natürlich haben auch wir nach der Wende in Osteueropa 1989 große Hoffnungen gehabt, daß mit der Demokratisierung der Vertreiberstaaten viel Bewegung in unsere Belange kommen würde. Mit Schrecken mußten wir aber im Lauf der neunziger Jahre erkennen, daß das nicht der Fall war. Weder verhielten sich die neuen Demokratien in Osteuropa in der Frage des Vertreibungsunrechts beziehungsweise des Menschenrechts auf Heimat sonderlich demokratisch, noch bekamen die Vertriebenen auch nur die geringste Unterstützung aus Deutschland für ihre Ansprüche. Der Höhepunkt der Enttäuschung war die Deutsch-Tschechische Erklärung von 1998, die politisch durchgeboxt wurde, ohne sich um historische Gerechtigkeit zu kümmern. Aus Imagegründen hat die Regierung Kohl damals die sudetendeutschen Interessen – man muß es leider sagen – verraten. Diese „befohlene“ angebliche Aussöhnung hat viele Sudetendeutsche tief verbittert. Dennoch glaubt die SL weiterhin an eine politische Lösung? Högn: Zumindest offiziell. Doch der politische Ansatz lautet damals wie heute schlicht „abwarten“. Doch auf was, fragen wir uns? Etwa darauf, daß sich von alleine ein Gesinnungswandel in den Vertreiberstaaten und der Bundesrepublik Deutschland einstellt? Erst 2002 hat das Parlament in Prag die Benes-Dekrete feierlich bestätigt, und die Bundesrepublik Deutschland hält sie – wie der EU-Beitritt der Tschechischen Republik beweist – 2004 offenbar für mit den Werten der westeuropäischen Wertegemeinschaft vereinbar! Das hätte sich 1989 niemand von uns auch nur in seinen schlimmsten Alpträumen vorstellen können! Die sogenannte politische Lösung meint in Wahrheit die biologische Lösung: Abwarten, bis der letzte Vertriebene gestorben ist. Das ist eine grausame und zynische Lösung! Wir aber wollten nicht mehr auf den Tod warten – dagegen wehren wir uns. Der Bund der Vertriebenen argumentiert ebenso wie Bundespräsident Köhler, gerade materielle Forderungen, wie sie PT und SDI erheben, verhinderten eine politische Lösung. Högn: Eine Argumentation, die meines Erachtens an Zynismus nicht zu überbieten ist. Man will uns ruhigstellen bis zum Totenbett. Vor allem die Äußerungen des Bundespräsidenten in Warschau, der deutlich gemacht hat, daß er die Preußische Treuhand am liebsten verbieten lassen würde, was leider aus rechtsstaatlichen Gründen nicht möglich sei, sind unerträglich. Im übrigen begreift man offenbar nicht, daß es uns nicht nur um materielle Forderungen geht, sondern vor allem darum, daß die Sudetendeutschen vor der Geschichte endlich von dem Makel befreit werden, Handlanger eines totalitären Regimes gewesen zu sein. „Die einzige Möglichkeit, sich zu wehren, ist privatrechtlich“ Allerdings sympathisierten aber doch auch Sudetendeutsche mit den Nationalsozialisten und trugen 1938 durch Provokationen zur Verschärfung der Lage zwischen dem Deutschen Reich und der Tschechoslowakei bei. Högn: Das ist richtig, aber weder haben die Sudetendeutschen 1938 das Münchner Abkommen durchgesetzt, noch haben sie 1939 die sogenannte Resttschechei besetzt, noch haben sie 1942 in Lidice geschossen. Das waren, wenn schon, die Deutschen. Die Folgen haben aber vor allem die Sudetendeutschen und die anderen Vertriebenen tragen müssen, und bis heute werden wir in diesem Unglück von den Deutschen im Stich gelassen. Man bedient sich heute der Methode, sich durch die Brandmarkung der Vertriebenen als rückwärtsgewandt, wenn nicht gar als revanchistisch, aus der Verantwortung für die Geschichte zu stehlen. Ihre Restitutionsforderungen haben also eigentlich eine moralische Dimension? Högn: So ist es, wir wollen vor allem von der Kollektivschuld – unsere Vertreibung, Ermordung und Enteignung wurde 1945 und 1946 mit dem Argument der Kollektivschuld betrieben – freigesprochen werden, die man den Sudetendeutschen anlastet! Die materielle Restitution ist lediglich ein Hebel dafür. Der einzige Hebel, der uns als Privatleuten überhaupt zur Verfügung steht! Denn welche Möglichkeit haben wir sonst? Unser Unternehmen ist also wesentlich weniger materiell, als das den Anschein hat. Wie reagiert man in der Tschechei auf die SDI? Högn: Zunächst haben uns Presse und Politik ignoriert. Inzwischen aber widmen uns die tschechischen Medien eine gewisse Aufmerksamkeit, und wir erfahren neben den üblichen Ausfällen auch immer wieder eine durchaus faire Behandlung. Man könnte sagen, wir kommen in der Tschechei bislang besser an als in Deutschland. Was die Politik angeht, so hält man dort noch weitgehend an der Strategie des Ignorierens fest, aber wir bemerken hinter den Kulissen doch eine gewisse Unruhe. So wurde zum Beispiel der Präsident des Europäischen Gereichtshofes für Menschenrechte nach Brünn eingeladen und ihm die große Masaryk-Medaille in Gold umgehängt. Auf typisch Schwejksche Art versucht man offenbar, Vorsorge zu betreiben. Nachdem die Benes-Dekrete sogar den Weg in die EU geschafft haben, fragt sich, auf welcher Grundlage Sie in Straßburg arbeiten? Högn: Die Benes-Dekrete zu akzeptieren war eine politisch motivierte Entscheidung, wir bauen aber darauf, daß sich das Straßburger Gericht davon nicht beeindrucken läßt und streng nach rechtsstaatlichen Prinzipien entscheidet. Tatsächlich verstoßen die durch die Benes-Dekrete legitimierten Mord-, Vertreibungs- und Enteignungsmaßnahmen nicht nur gegen das Völkergewohnheitsrecht, sondern auch gegen den Artikel 1 (Schutz des Eigentums) sowie gegen den Artikel 14 (Diskriminierungsverbot) des ersten Zusatzprotokolls der Europäischen Menschenrechtskommission – von Prag 1993 unterzeichnet. Dazu kommt, daß die Maßnahmen gegen die Sudetendeutschen dazu geeignet waren, dieser Volksgruppe die Lebensgrundlage zu entziehen. Das aber ist das ausschlaggebende Moment für die Erfüllung des Tatbestandes des Völkermordes. Denn dieser bemißt sich nicht nach der Zahl der Toten, sondern nach der Qualität der Verbrechen. Wir rechnen uns deshalb in Straßburg durchaus gute Chancen aus. Immerhin erscheinen im Vergleich zur Preußischen Treuhand die Aktivitäten der SDI schon viel weiter fortgeschritten. Högn: Und bisherige Urteile des Straßburger Gerichts in ähnlich gelagerten Fällen – etwa bezüglich Enteignungen in der SBZ oder Rumänien – machen uns Mut! Erich Högn ist Vorsitzender der Sudetendeutschen Initiative – Arbeitsgemeinschaft zur Rechtswahrung sudetendeutscher Interessen, die sich wie die derzeit heftig umstrittene Preußische Treuhand (JF 8/04) der Entschädigung von enteigneten Vertriebenen auf privatrechtlichem Wege widmet. Die Familie des 1934 in Böhmisch-Hammer im Obererzgebirge geborenen Bankkaufmanns wurde 1946 vertrieben, heute lebt er in Königstein im Taunus. Sudetendeutsche Initiative (SDI): Die SDI unterstützt enteignete sudetendeutsche Vertriebene bei ihren Restitutionsklagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Sie vermittelt Rechtsbeistand und betreut die Kläger während des Verfahrens. Gegründet 2002 als private Initiative, ist die SDI von der Sudentendeutschen Landsmannschaft unabhängig und finanziert sich aus Spenden und Gebühren. Kontakt: Sudetendeutsche Initiative, Gerhardshainer Straße 22, 61462 Königstein, Tel. & Fax: 061 74 / 21 0 99 Foto: Vertriebene auf dem 55. Sudetendeutschen Tag in Nürnberg: „Sich wehren, statt auf die biologische Lösung zu warten“ weitere Interview-Partner der JF

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