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„Der Crash hat schon begonnen“

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„Der Crash hat schon begonnen“

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Herr Professor Hamer, was tun, wenn der Crash kommt?

Hamer: Vorbereitet sein, es mag abgedroschen klingen, aber hier gilt – frei nach Gorbatschow – "Wer nicht vorbereitet ist, den bestraft das Leben". Wir haben unser Buch "Was passiert, wenn der Crash kommt" in diesem Stil betitelt, um die Leute aufzurütteln und aus den Träumen der Scheinblüte zu reißen.

Eine Weltuntergangsprophezeiung?

Hamer: Ich weiß, wer Unheil vorhersagt ist nicht wohlgelitten, das war schon zu Zeiten der Kassandra so. Am Ende hätten sich die Trojaner aber wohl gewünscht, doch auf sie gehört zu haben. Mit dem Buch wollen wir bewirken, daß die Menschen in unserem Land die Gefahr ernst nehmen und sich darauf vorbereiten. Wer sich rechtzeitig vorbereitet, kommt mit dem geringsten Schaden davon.

Wann kommt der Crash?

Hamer: Er hat schon begonnen! Jeder Crash kommt in drei Schritten, dem Börsencrash, dem Bankencrash und schließlich dem Realcrash, also dem Zusammenbruch von Wirtschaft, Unternehmen, Arbeitsplätzen und Finanzanlagen. Den Börsencrash haben wir schon gehabt.

Der Zusammenbruch des Neuen Marktes ist ja nun schon eine Weile her, und der Deutsche Aktienindex ist mit etwa 3.000 Punkten – gegenüber den 7.000 Punkten der Überbewertung – wieder in einem realistischen und halbwegs stabilen Bereich. Fällt der Crash – die große Depression – also vielleicht doch aus?

Hamer: Schön wär’s, doch bereits in den sogenannten "goldenen Zwanzigern" mündete eine Scheinblüte in einer Depression. In den "goldenen Neunzigern" haben wir eine ähnliche Scheinblüte gehabt. Die unglaubliche Geldschwemme haben viele Menschen für echten Wohlstand gehalten, dabei aber übersehen, daß sich das Volumen des monetären Bereichs in den letzten dreißig Jahren vervierzigfacht, das Volumen der Güterproduktion aber nur vervierfacht hat. Die Finanzwelt hat sich also von der Welt der realen Güter gelöst und Sumpfblüten getrieben, die nun unweigerlich verwelken werden. Die kommende Depression ist also die Korrektur der Fehlentwicklung der vergangenen Jahrzehnte. Da sollte man sich von ein bißchen Ruhe nach dem ersten Sturm an den Aktienmärkten nicht in Sicherheit wiegen lassen.

Also hat der alte Marx doch recht gehabt, der Kapitalismus ist dazu verurteilt, von Krise zu Krise zu taumeln?

Hamer: Nein, die Ursache liegt in der unkontrollierten Ausdehnung der Geldmenge, vor allem des Dollars, also in einem Mißbrauch des Kapitalismus.

Sie sprechen vom US-Haushalts- und Leistungsbilanzdefizit?

Hamer: Ich spreche von der Politik der Fe-deral Reserve Bank, also der US-Notenbank, die anders als die Bundesbank früher bei uns nicht staatlich, sondern eine Privatbank ist und damit im Prinzip so viel Geld drucken kann, wie sie für richtig hält. Natürlich hängt das mit dem Bedarf der USA an Geld zusammen, die – wie Sie eben angedeutet haben – bekanntlich weit über ihre Verhältnisse leben, nicht zuletzt durch ihre Kriegspolitik seit dem 11. September 2001. Das System funktioniert nur deshalb, weil noch alle Welt die "faulen" – sprich ungedeckten – US-Dollars nach wie vor annimmt. Wer das allerdings nicht mehr tut, wird dann zur "Achse des Bösen" gezählt.

Sie prophezeien, daß uns die Depression auch mit den Schattenseiten der Globalisierung bekanntmachen wird.

Hamer: Die positive Seite der Globalisierung war die Steigerung des Wohlstandes durch internationalen Handel und Wandel. Doch nun wird sich die internationale Vernetzung per Dominoeffekt für viele als Verhängnis erweisen: Die Krise ist ebenso global wie zuvor der Erfolg. Allein China – aufgrund seiner besonderen Situation und dank einer Politik, die schon heute mehr auf Gold als auf Dollar setzt – wird halbwegs unberührt die Sache überdauern.

Ergo kann Deutschland dem Weg in die Depression nicht entgehen?

Hamer: Nein, aber natürlich nicht nur wegen der globalen Vernetzung, sondern auch wegen hausgemachter Fehler. Nicht alles Übel kommt aus Amerika. Alle westlichen Staaten – außer Australien und Großbritannien – haben sich ständig weiter verschuldet, ohne je etwas zurückzuzahlen, haben unmäßige Sozialversprechen gegeben, haben im Grunde "Wechselreiterei" betrieben.

Ihr Ratschlag: Deutsches Kapital rechtzeitig aus den USA abziehen?

Hamer: Das können wir gar nicht, Deutschland ist schließlich nicht mehr souverän. Mit der Aufgabe der Bundesbank sind wir auf einen Konsens in der Europäischen Zentralbank angewiesen – die übrigens eng mit der Federal Reserve Bank verbunden ist. Wir können es uns aber auch gar nicht leisten, die Amerikaner "hochgehen" zu lassen, dazu sind wir politisch viel zu abhängig und zu klein und ökonomisch zu eng mit ihnen verflochten.

Also spielen alle die Komödie mit, bis sie zur Tragödie wird?

Hamer: Richtig, so lange, bis die Haushalte kollabieren und die Sozialsysteme explodieren. Am Ende der letzten großen Depression 1934 waren in den USA die Löhne um 25 Prozent gesunken, 30 Prozent der Betriebe verschwunden und 80 Millionen Amerikaner ohne Ersparnisse.

Ist es nicht zu einfach, aus dem Studium der Weltwirtschaftskrise von 1929 auf die Gegenwart zu schließen, schließlich haben sich viele Faktoren völlig verändert?

Hamer: Das erscheint nur vordergründig berechtigt. Die große Krise damals ist zum Beispiel unter anderem auch durch den Handel mit Derivate-Papieren – deren "Wert" in künftig erhofften Gewinnen liegt – verursacht worden. Daraufhin wurde der Handel damit verboten. Inzwischen aber hat die rot-grüne Bundesregierung auf Druck der US-Finanz den Derivatehandel wieder erlaubt. In den USA ist der Derivatehandel bereits wieder derart im Schwange, daß es ohne weiteres durch ihn zu ganz großen Krächen kommen kann. So hat zum Beispiel die US-Bank J.P. Morgan das 34fache ihres Eigenkapitals in Derivate-Risiken "stecken". Man macht also die gleichen Fehler wieder. Angesichts dessen kann man hier durchaus aus der Vergangenheit lernen. Die Annahme, nach der Erfahrung von 1929 hätten wir alle gelernt, die Wiederholung solch einer Entwicklung künftig zu verhindern, traf für die Generation, die die Depression noch miterlebt und die Lehren daraus beherzigt hat, zu. Die heutige Generation, die immer nur die Sicherheit der Märkte kennengelernt hat, muß offenbar erst ihre eigenen Erfahrungen machen.

Was bedeutet es für Deutschland konkret, wenn die Depression kommt?

Hamer: Am schwersten werden Mittelstand und Arbeiterschaft betroffen sein: der Mittelstand, weil er sein Vermögen, die Arbeitschaft, weil sie ihre Arbeitsplätze verlieren wird. Vor allem verschuldete Betriebe werden ausgelöscht. Betroffen sein werden besonders Branchen, die langfristige und nicht lebensnotwendige Produktionen oder Dienstleistungen anbieten. Dazu gehören etwa die gesamte Investitionsgüterwirtschaft, der Kultursektor, Teile des Gesundheitsmarktes, Luxusdienstleister wie Reise-Unternehmen und Gastronomie und der Markt langlebiger Güter wie der Automobilbau, die Elektro- oder Möbelindustrie. Besonders dramatisch wird die Situation für jenen Teil der Bevölkerung werden, der von Transferleistungen lebt, also für Rentner und Sozialhilfeempfänger.

Was kann man tun?

Hamer: Die Politik wird weiter versagen oder nur in Trippelschritten der Krise hinterherlaufen. Also muß jeder Einzelne selbst seine Krisenstrategie vorbereiten. Die Betriebe müssen reagieren, indem sie sich jetzt entschulden, Kapazitäten und Lagerbestände verringern, sowie Forderungs- und Liquiditätsmanagement betreiben. Die Privathaushalte müssen reagieren, indem sie nicht in Finanzwerten anlegen, sondern in realen Werten wie Gold, Land oder Immobilien. Mit der richtigen Vorbereitung und einer Portion Glück kann man die Depression wirtschaftlich heil überstehen, und nach vier bis fünf Jahren wird es wieder bergauf gehen.

Kritiker werfen Ihnen angesichts dieses Szenarios nicht nur Schwarzmalerei, sondern gar Verschwörungstheorien vor.

Hamer: Natürlich – Politiker, Banken, etc. hören solche Prognosen gar nicht gern, zumal sie für die Entwicklung mit die Verantwortung tragen und nur an Optimisten verdienen, das heißt diesen Finanzanlagen verkaufen können.

In Deutschland ist das Thema Rentenversicherung in aller Munde, gerade private Rentenversicherer sind aber in den USA sehr aktiv.

Hamer: Eine ganze Reihe deutscher Versicherungsunternehmen werden pleite gehen, wenn die Dollarblase platzt und sie sich nicht rechtzeitig "aus dem Dollar zurückgezogen haben".

Den Deutschen wird derzeit erklärt, daß sie auf die staatliche Rentenkasse nicht mehr bauen können und sich privat absichern müssen. Nun bricht auch noch diese Stütze weg?

Hamer: Ich sehe dennoch die Versicherungen insgesamt nicht vom Aussterben bedroht. Natürlich wird es aber auch hier Einschnitte geben.

Werden diese Herausforderungen bei der derzeitigen Diskussion um eine Neugestaltung unseres Versicherungswesens denn berücksichtigt?

Hamer: Leider nicht im mindesten! Denn die Politiker schauen immer noch nicht nach vorne, sondern sehnsüchtig zurück in die "goldenen Neunziger" – sie tanzen immer noch ums goldene Kalb. Über Modelle wie Bürgerversicherung oder Kopfpauschale wird bald niemand mehr diskutieren, weil Probleme ganz anderer Ausmaße die Diskussion bestimmen werden. Die Krise wird Deutschland so heftig erschüttern, daß sie nicht auf den Sektor der Wirtschaft beschränkt bleiben wird, auch Politik und Gesellschaft werden betroffen sein, sowohl das Parteiensystem wie auch unsere Single-Kultur.

Die JUNGE FREIHEIT beginnt in dieser Ausgabe eine Serie über die Großfamilie als Sozialverband – eigentlich ein Modell aus vorindustrieller Zeit. Prophezeien Sie tatsächlich eine Renaissance dieses Modells?

Hamer: Zumindest werden wir ein ganz neues Familienbewußtsein entwickeln, denn in der Krise hilft einem niemand außer der Familie. Wer alleinsteht, ist verlassen. All jene, die weder auf ihr Glück noch auf den Rückhalt einer Familie bauen können, werden wohl auch in eine persönliche Sinnkrise geraten. So zieht die Krise immer weitere Kreise, sie erfaßt über die Gesellschaft schließlich auch die innere Sicherheit und spätestens dann auch die Politik. Die Politiker, die diese Entwicklung nicht verhindert haben, werden, möglicherweise samt ihren Parteien, verschwinden – siehe Italien.

Wird es zur Bildung radikaler Interessenparteien kommen oder zu einer Rückkehr des bei uns längst unüblich gewordenen volksgemeinschaftlichen Gedankens in der Politik?

Hamer: Das vermag wohl niemand vorauszusagen. Fest steht, Deutschland ist denkbar schlecht auf die gesellschaftliche Krise vorbereitet, denn wir haben keine gemeinsame ethische Basis mehr in unserem Land. Die gemeinsame christliche Grundlage ist ebenso verschwunden wie die nationale. Die sozialistische Solidarität, in deren Namen die christliche und die nationale Solidarität spätestens seit 1968 Zug um Zug zerstört wurden, hat sowieso nie funktioniert. Und die "Bürgergesellschaft" ist nur Schönfärberei der Tatsache, daß man die Gesellschaft immer weiter individualisiert und im wesentlichen nur als Anspruchsgrundlage gesehen hat.

Dann zerbricht Deutschland?

Hamer: Vielleicht nicht zerbrechen, aber verarmen. Und danach wird etwas Neues kommen, aber ob uns das gefällt, ist die Frage. Die Scheinblüte und Wechselreiterei jedenfalls platzen und werden Armut, Verzweiflung und Wut auf die politische Klasse hinterlassen. Die Suche nach einem neuen, tragfähigen Weg, der aus den Zusammenbrüchen von Sozialismus und Kapitalismus hinausführt, beginnt. Es wird vielleicht jene personale, mittelständische Wirtschaft und Gesellschaft sein, wie sie allen Demokraten und Marktwirtschaftlern seit jeher vorgeschwebt hat.

Prof. Dr. Eberhard Hamer ist Leiter des Mittelstandsinstituts Niedersachsen in Hannover. Bis 1994 lehrte er als Professor für Wirtschafts- und Finanzpolitik an der Fachhochschule für Wirtschaft in Bielefeld. Geboren 1932 in Mettmann im Neanderthal, studierte er Volkswirtschaft, Jura und Theologie und wurde zunächst Rechtsanwalt. Zuletzt veröffentlichte er das Buch "Was passiert, wenn der Crash kommt? Wie sichere ich mein Vermögen oder Unternehmen?" (Olzog-Verlag, 2002)

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