Als die Rürup-Kommission von der Bundesregierung installiert wurde, ließ die bunte Zusam-mensetzung nichts Gutes erwarten. Der 9. April hat es zutage gebracht: es reichte nicht einmal zum Schlechten. Die Rürup-Kommission war nicht in der Lage, ein Modell für die langfristige Finanzierbarkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vorzulegen. Sie erzeugte nur Langeweile. Geliefert wurde eine kurzfristige Streichliste mit Schlagseite, die über 24 Milliarden Euro oder 2,4 Beitragsprozentpunkte einsparen soll. Das eigentliche Problem des Gesundheitswesens blieb unangetastet: die permanente Wachstumsschwäche der Finanzierungsbasis, die mangelnde Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven auf der Ausgabenseite und der Effizienz- und Effektivitätsreserven des Systems. Statt dessen hat die Expertenrunde ein Bündel geschnürt, das zusätzliche Belastungen für die Versicherten und die Steuerzahler bei gleichzeitiger Entlastung der Arbeitgeber bringt und die soziale Unausgewogenheit der Akutmaßnahmen deutlich macht. Ein Beispiel: Heute wird das Krankengeld mit 7,5 Milliarden Euro durch hälftige Beiträge der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer gemeinsam finanziert. Bei einem GKV-Beitrag von 14,3 Prozent sind das 0,75 Beitragssatzpunkte, von denen die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber 0,375 tragen. Wird das Krankengeld aus der GKV-Leistung herausgenommen, freuen sich die Krankenkassen ebenso wie die Arbeitgeber. Die Versicherten aber tragen mit 0,75 Beitragspunkten die doppelte Last in einer eigenständigen Krankengeld-Versicherung. Dieses Beispiel gilt auch für die Leistungen, die nicht mehr von der GKV, sondern über Steuern finanziert werden sollen. Die Arbeitgeber zahlen nichts mehr für die Schwangerschafts-, Mutterschafts-oder Haushaltshilfen – die Kassen werden über Steuern subventioniert und die Arbeitgeber sparen. Der Versicherte, der auch Steuerzahler ist, wird weiter belastet. Von Zuzahlungen bei einer Inanspruchnahme von GKV-Leistungen werden Einsparungen von zehn Milliarden Euro erwartet: bei Zahnersatz, Medikamenten und dem Arztbesuch (Praxisgebühr). Sie sollen gesundheitsbewußtes Handeln fördern, als ob die Beitragszahlung an die GKV und die Selbstmedikation der Versicherten nicht genug „Zuzahlung“ wäre. Ganz zu schweigen von der Tatsache, daß der Arbeitgeber natürlich den von ihm bezahlten Beitrag an die Krankenkasse in das von ihm erzeugte Produkt „einpreist“. Der Versicherte als Konsument zahlt. Eine deutliche Senkung der Beitragssätze durch eine Einengung des Leistungskatalogs der GKV und die Zuzahlungen (Selbstbeteiligung) betrifft nur die Kranken. Das widerspricht allen Vorstellungen eines solidarischen Gesundheitswesens. Davon abgesehen: die vorgeschlagenen Maßnahmen der Rürup-Kommission sind unsystematisch aus dem Frühjahrsgutachten des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen und dem Herbstgutachten des Sachverständigenrates für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland abgekupfert worden. Der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 14. März 2003 und den Überlegungen von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) ist nichts Neues hinzugefügt worden. Dem Wunsch von Ulla Schmidt, eine Lösung für die anhaltende Wachstumsschwäche der Beitragsentwicklung vorzulegen, haben die Kommissionsmitglieder nicht entsprochen. Statt dessen wurden zwei Alternativen präsentiert, die sich ausschließen. Das ist ein Zeichen der Schwäche und Zerstrittenheit der Kommission. Die Kopfbeiträge koppeln die Gesundheitsausgaben von den Arbeitskosten ab. Sie beseitigen damit die Wachstumsschwäche der Finanzierungsbasis des derzeitigen Systems. Die Solidarfunktion der GKV aber wird eingeschränkt auf den Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken. Der Kopfbeitrag – von Rürup präferiert – ist unabhängig von Arbeitsentgelt und Rente. Verteilungspolitische Aufgaben des heutigen Systems müßten über die Steuer- und Transferpolitik gelöst werden. Die Chance, daß der GKV-Kopfbeitrag kommt, ist gering. Hans Eichel wird auf die leeren Steuerkassen hinweisen und damit diesem Modell den Todesstoß versetzen. Die von Lauterbach bevorzugte Alternative ist eine Erwerbstätigenversicherung. Eine Verbreiterung der Beitragsbemessungsgrundlage unter Einbeziehung von Miet- und Zinseinnahmen, stützt sich darauf, daß dies die veränderte Einkommens- und Vermögenssituation der Versicherten besser abbildet als die alleinige Stützung auf Löhne und Gehälter. Da eine Verbreiterung der Beitragsbemessungsgrundlage nach Berechnungen zu wenig hergibt, sieht das Lauterbach-Modell die Einbeziehung aller Beschäftigten in die GKV vor. Selbständige und Beamte sollen bis zur Beitragsbemessungsgrenze der GKV aus der Privaten Krankenversicherung in die GKV überführt werden. Es wird auch über eine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze der GKV auf die der Gesetzlichen Rentenversicherung von 5.100 Euro nachgedacht. Fest steht, daß der Kopfbeitrag teurer wäre als die Erwerbstätigenversicherung. Steuerzuschüsse wären in dem die Solidarität betonenden Modell nicht notwendig.
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