Über vier Millionen Menschen nutzen derzeit in unserem Land knapp eine Million Klein- und Schrebergärten auf einer Gesamtfläche von rund 47.000 Hektar. Der Bedarf ist damit, so der Bundesverband Deutscher Gartenfreunde, bei weitem nicht gedeckt. Man kann vermuten, daß, geeignete Grundstücke vorausgesetzt, durchaus eine Verdoppelung dieser Zahlen möglich ist. Insbesondere in einschlägigen Ballungsgebieten seien die Wartelisten für die „Oasen im Schatten von Betonriesen“ lang. Die Zeiten, in denen Menschen dieses Engagement wählen, bloß um ein Bedürfnis nach Entspannung in natürlicher Umgebung zu stillen, dürften aber längst vorbei sein. Auch wenn das Ende der Spaßgesellschaft aus opportunistischen Gründen allenthalben deklariert wird: Insbesondere die jüngeren und mittleren Generationen wissen den Unterhaltungswert der Metropolen und das Zerstreuungspotential der reichhaltigen Medienwelt viel zu sehr zu schätzen, als daß sie sich nach den Bonsaiversionen von Ackerbau und Viehzucht aufrichtig sehnen könnten. Es spricht daher manches dafür, daß es nicht der Wunsch nach einer erfüllenden Lebensgestaltung ist, der eine wachsende Zahl von Menschen in die Schrebergärten treibt. Sie suchen weniger nach dem beschaulichen Glück im kleinen als – vielleicht in ihrer Mehrheit noch eher instinktiv – nach einer Rückversicherung gegen die Unwägbarkeiten der modernisierten Erwerbsgesellschaft. Die letzten zehn Jahre haben unter dem Strich für die Massen eine Senkung ihres Lebensstandards gebracht. Alt und Jung spüren, daß sich dieser Trend, wenn wirklich Anreize für eine ungehemmte Entfaltung der wahrhaft freien Marktwirtschaft geschaffen werden sollten, in markanter Weise beschleunigen wird. Da ihnen die Argumente gegen die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen ausgegangen sind oder eventuell auch bloß der Mut fehlt, diese ins Feld zu führen, konzentrieren sie sich auf individuelle Strategien, um sich wenigstens auf bescheidenem Niveau eine Existenzgrundlage zu schaffen. Momentan mögen in diesem Sinn Schrebergärten noch ein Instrument sein, um sich selbst und den Mitmenschen ein Urlaubsidyll vorzuspiegeln, das den notwendigen Verzicht auf kostspielige Reisen scheinbar erträglich macht. Bald aber könnten die produktiven Möglichkeiten, die diese Parzellen in sich bergen, in den Vordergrund rücken. Mit etwas Geschick dürfte nicht allein die Selbstversorgung an Gewicht gewinnen. Es sollte möglich sein, daß in Erntezeiten auch Überschüsse für den nicht institutionalisierten Lebensmittelmarkt oder den Tauschhandel bereitgestellt werden. Im Extremfall bietet der Schrebergarten sogar eine Alternative zur Obdachlosigkeit, die durch anhaltende Erwerbslosigkeit erzwungen sein mag. Für das Erscheinungsbild unserer Gesellschaft ist dies eine positive Perspektive. Slums verlieren ihren Schrecken, wenn sie nicht wild wuchern, sondern auf der Grundlage einer soliden Infrastruktur entstehen.