Am 20. März 2003 marschierte eine „Koalition der Willigen“ unter Führung der USA in den Irak ein, was nachfolgend zur Eroberung von Bagdad und zum Sturz des Diktators Saddam Hussein führte. Danach etablierten die USA und deren Verbündete ein Besatzungsregime, gegen das es vielfältigen Widerstand gab. Vor diesem Hintergrund übernahmen die US-Streitkräfte das berüchtigte Abu-Ghraib-Gefängnis 32 Kilometer westlich von Bagdad, um darin angebliche Saddam-Getreue, Aufständische, Terroristen und Kriminelle zu inhaftieren, wobei die Zahl der Insassen der Haftanstalt schnell bis auf 8.000 stieg.
Wie die Vorgesetzte der Wachmannschaften in Abu Ghraib, Brigadegeneral Janis Karpinski, später sagte, seien neunzig Prozent der Festgehaltenen unschuldig gewesen: „Sie waren einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort.“ Doch damit nicht genug: Obwohl die USA die Dritte und Vierte Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen und den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten sowie auch das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter ratifiziert hatten, wurden die in Abu Ghraib festgehaltenen irakischen Militärangehörigen und Zivilisten systematisch erniedrigt, gequält, mißbraucht und teilweise sogar ermordet.
Das Ganze begann zumeist mit dem Vorenthalten von Wasser, Nahrung und Kleidung sowie Schlafentzug und Beschmieren mit Exkrementen. Dazu kamen dann sexuelle oder andere Demütigungen und etliche Vergewaltigungen. Darüber hinaus sind zahlreiche weitere Formen von Folter belegt: Beschallen mit extrem lauter Musik, Scheinhinrichtungen, Elektroschocks, absichtlich zugefügte Hundebisse, Schläge mit Hämmern und anderen Gegenständen, Fesselung in schmerzhaften Zwangshaltungen sowie Verweigerung von ärztlicher Hilfe bei Krankheit oder Verletzung.
Häftlinge wurden von den USA als „irreguläre Kämpfer“ klassifiziert
Die Zahl der Getöteten in Abu Ghraib belief sich auf mindestens 63, wobei allerdings 36 der Opfer nicht aufgrund der unmenschlichen Haftbedingungen und Mißhandlungen starben, sondern bei einem Granatwerferangriff irakischer Aufständischer. Besonderes Aufsehen erregte der Fall des Manadel al-Jamadi, der am 4. November 2003 von dem CIA-Mitarbeiter Mark Swanner zu Tode gefoltert und danach als „Requisite“ für perverse „Erinnerungsfotos“ mißbraucht wurde.
Um all diese Taten zu rechtfertigen, stuften die US-Militärbehörden die Häftlinge in Abu Ghraib als „irreguläre Kämpfer“ ein, welche nicht unter dem Schutz der Genfer Konventionen stünden, und verneinten parallel dazu auch die Geltung der US-Bundesgesetze gegen Folter, da das Gefängnis im Ausland liege. Dabei stützten sie sich auf ein entsprechendes Gutachten von Alberto Gonzales, dem Rechtsberater des Weißen Hauses, vom Januar 2002. Allerdings sind die Exzesse nicht allein dadurch zu erklären. Eine wichtige Rolle spielte auch die Überforderung des US-Wachpersonals, das der 372. Military Police Company der 800. Militärpolizeibrigade angehörte.
Die mental und fachlich komplett unvorbereiteten jungen Militärpolizisten waren der Situation in der überfüllten Haftanstalt in keiner Weise gewachsen. So klagte einer der Beteiligten an den Mißhandlungen: „Wir hatten keine Unterstützung, keinerlei Training. Ich fragte immer wieder nach bestimmten Dingen (…) wie Regeln und Vorschriften, und es geschah nichts.“ Deshalb orientierte man sich letztlich am Vorgehen der CIA-Agenten und Vernehmungsbeamten privater amerikanischer Militärdienstleister sowie der ägyptischen oder irakischen Dolmetscher, welche in Abu Ghraib ihre abnormen Triebe auslebten.
Medien in den USA berichteten ab April 2004
Die Nichtregierungsorganisation Amnesty International kritisierte die untragbaren Zustände in dem US-Militärgefängnis im Irak bereits im Sommer 2003. Das erregte aber zunächst genausowenig öffentliches Aufsehen wie eine entsprechende weitere Meldung der Nachrichtenagentur Associated Press vom 1. November 2003. Dann teilte das United States Central Command (CENTCOM) am 16. Januar 2004 mit, daß die Militärjustiz Ermittlungen wegen der Übergriffe in Abu Ghraib eingeleitet habe. Daraus resultierte der Bericht von Generalmajor Antonio Taguba, dem zufolge es in der Haftanstalt zu „zahlreichen (…) sadistischen, offenkundigen und mutwilligen kriminellen Mißbräuchen“ von Insassen gekommen sei.
Die Medien in den Vereinigten Staaten griffen den Skandal hingegen erst ab Ende April 2004 auf – beginnend mit der Veröffentlichung etlicher verstörender Bilder aus Abu Ghraib durch CBS News und einem Artikel von Seymour Hersh in The New Yorker. Dem folgten bis März 2006 zahlreiche weitere Enthüllungen auf der Grundlage immer neuen Materials. Am Ende wurden insgesamt 93 Videodateien und 1.325 Fotos aus Abu Ghraib mit vielfach schockierenden „Motiven“ publik. Dazu gehörten 546 Bilder von toten Irakern und 660 Aufnahmen, die sexuelle Demütigungen und Mißbrauchshandlungen zeigten. Dadurch konnten etliche der Täter wie Charles Graner und Lynndie England zweifelsfrei identifiziert werden, was zu deren späterer Verurteilung zu Haftstrafen von bis zu zehn Jahren führte. Dagegen blieb der Mord an Manadel al-Jamadi bis heute ungesühnt: Das diesbezügliche Ermittlungsverfahren endete 2012 ergebnislos.
US-Präsident Bush wiegelte Taten ab
Präsident George W. Bush entschuldigte sich am 7. Mai 2004 für die Übergriffe in Abu Ghraib und bezeichnete sie als „abscheuliche Einzelfälle“. Dem widersprach das Internationale Komitee vom Roten Kreuz: Die Gewalttaten seien keine spontanen beziehungsweise isolierten Grausamkeiten gewesen, sondern Teil eines Musters beziehungsweise Systems. Dies bestätigte die Gefängnischefin Karpinski im November 2006 gegenüber der spanischen Zeitung El País, wobei sie auf ein entsprechendes Schreiben des US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld zur Behandlung der irakischen Häftlinge verwies. Dabei urteilte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten im Fall Salim Ahmed Hamdan versus Rumsfeld später explizit, daß die Bestimmungen der Genfer Konventionen auch beim Umgang mit „ungesetzlichen Kombattanten“ bindend seien.
Die menschen- und völkerrechtswidrige Folter der Häftlinge in Abu Ghraib, welche Teil des „Krieges gegen den Terror“ sein sollte, erwies sich im nachhinein als Brandbeschleuniger, der zu einem verstärkten Auflodern des islamischen Terrorismus führte. So konstatierte der Viersterne-General und Oberkommandierende der US-Spezialtruppen im Irak und Afghanistan, Stanley McChrystal, später verärgert, seit 2004 könne jeder Dschihadist seine Teilnahme am Kampf gegen den „Teufel USA“ auch und gerade mit den für Amerika beschämenden Vorfällen in dem irakischen Gefängnis begründen.