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Die Verwandlung

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Ein Kleinstadtbahnhof, irgendwo im Nirgendwo, immerhin noch belebt genug, um einen Kiosk und eine ordentliche Bahnhofskneipe zu betreiben. Ansonsten war am Freitag vergangener Woche recht wenig los dort, außer mir verteilten sich vielleicht noch zehn, zwölf andere Reisende auf den Bahnsteigen. Ich trug meinen Koffer die Treppe herunter, unter den Gleisen her und dann wieder herauf, zum Gleis 2, wo ich mich auf einer Bank einrichtete, mein Smartphone hervorholte und auf dem kleinen Bildschirm die Kommentare zu meiner Kolumne der Vorwoche durchlas.

Und während ich so schmökerte, fielen mir plötzlich zwei junge Frauen auf, die einige Merkmale einer Subkultur an sich trugen. Welche genau, konnte ich schlecht bestimmen, aber sie hatten T-Shirts mit Band-Motiven, Piercings in Gesicht und Nase, dazu löchrige Jeans und die dazu passende Fußbekleidung. Das sind all’ die Dinge, die man für eine rebellische Anmutung zu benötigen scheint, also: fast alle. Was zunächst noch fehlte, war die Zigarette. Über Jahrzehnte war die Fluppe Pflichtprogramm für Rocker, Punks, Cowboys und junge, intellektuelle Querdenker; sie hatten schlichtweg zu rauchen, wenn sie denn in ihrer Rolle ernst genommen werden wollten.

Und heutzutage ist das Rauchen für einen funktionierenden, aufrechten Widerstand ja noch wichtiger geworden… in Zeiten von Rauchverboten allerorten, hanebüchenen Mietvertragskündigungen und peinlichen Diskussionen über das Rauchen eines Düsseldorfer Oberbürgermeisters in seinem eigenen Büro, weil es Teil eines öffentlichen Gebäudes ist. Eines der Mädels schien das auch verstanden zu haben, also wurde sie ihrer Verantwortung als Rebellin gerecht, entnahm ihrer Tasche eine Schachtel Kippen, zog eine davon heraus und – dann schockierte sie mich.

Die Faszination verrauchte augenblicklich

Denn sie verabschiedete sich mit einem angedeuteten Wangenkuß links und rechts bei ihrer Freundin, machte auf dem Absatz kehrt und ging zielstrebig in einen mit gelben Linien markierten Bereich des Bahnsteigs. Die dort aufgetragenen Zigarettensymbole kennzeichnen wenige Quadratmeter als Raucherzone, und sie setzte sich brav dort auf die Bank, um einen Zug nach dem anderen zu nehmen. Alles, was meine Faszination für Subkulturen in sie hineinprojiziert hatte, fiel augenblicklich von ihr ab. Plötzlich war sie nur noch ein nachlässig gekleidetes Mädchen mit Fluppe in der Schnute. Und noch nicht mal selbst gedreht.

Und dann liefen die Bilder all derer vor meinem inneren Auge ab, die sich in Grüppchen rauchend vor der In-Kneipe drängen, in eigens für Raucher angefertigten Glashäuschen vor öffentlichen Gebäuden frieren oder sich an anderen Bahnhöfen in gelb markierten Bereichen erniedrigen lassen. „Ihr seid süchtige Idioten“, sagen anonyme Funktionäre (ob sie es wollen oder nicht), wenn sie ihre Pflicht tun und die Verordnungen und Erlässe für den „Nichtraucherschutz“ umsetzen und (wahrscheinlich rauchende) Arbeiter die Farben auftragen und Glashäuschen errichten.

Je verregelter der Alltag ist, desto einfacher sind die Möglichkeiten, immer wieder den klitzekleinen Aufstand zu proben. Also spielte ich heftig mit dem Gedanken, die alten Zigarillos aus meinem kultigen Lederkoffer hervorzukramen und außerhalb der gelben Linie ein wenig zu paffen. Aber dann kam schon mein Zug, und der Sitzplatzsucher in mir verdrängte den rebellierenden Typen. Als ich dann endlich saß, ging’s wieder für den Rest der Reise.

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